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Ausgabe:

1908 Nr. 23

Spalte:

643-644

Autor/Hrsg.:

Müller, Johannes

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Erklärung und Kritik des Buches Tobit 1908

Rezensent:

Schürer, Emil

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643

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 23.

644

Müller, Johannes, Beiträge zur Erklärung und Kritik des
Buches Tobit.

Smend, Rudolf, Alter und Herkunft des Achikar-Romans und
lein Verhältnis zu Aelop.

(Beihefte zur Zeitfchrift für die altteftamentliche
Wiffenfchaft. XIII.) Gießen, A.Töpelmann 1908. (III,
225 S.) gr. 8° M. 4.40

Die erde der in diefem riefte vereinigten Arbeiten
ift eine Göttinger Doktot-Differtation (1907). Sie erörtert
folgende Probleme inbetreff des Buches Tobit: 1) fein
Verhältnis zum Märchen vom dankbaren Toten, 2) fein
Verhältnis zum Achikar-Roman, 3) die Abfaffungszeit, 4) die
Heimat des Buches, 5) die Urfprache, 6) das Verhältnis
der verfchiedenen griechifchen Texte zu einander. Alle
Fragen find mit philologifcher Akribie und umlichtigem
Urteil behandelt. Bei Nr. 1 kommt der Verf. zu dem
Refultate, daß dem Buche Tobit eine ältere Erzählung
zugrunde liegt, welche mit dem Märchen vom dankbaren
Toten nahe verwandt war. Die Bezugnahmen auf den
Achikar-Roman dagegen (l,2lf 2, IO. 11,17. T4>IO) hält
M. fämtlich für interpoliert. Die Gründe für ditfe Annahme
fcheinen mir nicht durchfchlagend, auch nicht
bei 14. 10, wo ich den Hinweis des fterbenden Tobit auf
die Gefchicke des Achikar keineswegs ,undenkbar' finden
kann (S. 13). Den Kern der Arbeit bilden die Unter-
fuchungen zu Nr. 5 und 6. Mit Vorficht äußert fich der
Verf. über die Urfprache (S. 24—33), glaubt aber doch
mit ziemlicher Beftimmtheit ein femitifches (hebräifches
oder aramäifches) Original annehmen zu dürfen. Mir
fcheint das jetzt auch das wahrfcheinlichere, nachdem ich
früher mich der Annahme, daß das Griechifche Original
fei, angefchloffen hatte. Die Frage hängt eng zufammen
mit der anderen, welcher der uns überlieferten griechifchen
Texte der urfprünglichere ift, der Vulgärtext oder der

Die Arbeit von Smend über den Achikar-Roman
ift die eindringendfte literarhiftorifche Unterfuchung über
diefen Roman, die wir bis jetzt haben. Sie gewinnt
namentlich dadurch, daß fie auf die darin enthaltenen
Sprüche und Fabeln näher eingeht, wichtige Anhaltspunkte
zur Beftimmung der Abfaffungszeit. Als wertvoll
erweift fich zunächft die Bemerkung des Clemens Alex.
Strom. I, 15, 69, daß Demokrit Sprüche des Achikar
feinen eigenen einverleibt und für fein Eigentum ausgegeben
habe. Smend weift nun nach, daß von den bei
dem arabifchen Schriftfteller Sharaftäni als demokritifch
uberlieferten Sprüchen fich dtei in unferem Achikarbuche
finden. Da fie femitifchen Charakter tragen, find lie ficher
unecht. Alfo wird Clemens in der Hauptfache recht
haben: es hat einen Pfeudo-Demokrit gegeben, der von
Achikar abhängig ift. Achikar ilt fomit ein gutes Stück
älter als Clemens AJexandrinus. Er ift aber auch älter
als die griechifche Äfop-Literatur. Zunächft ift in der
griechifchen Vita Aesopi ficher unfer Achikar benützt
(nicht umgekehit). Aber Smend weift nach — und diefem
Nachweis ift ein erheblicher Teil feiner Unterfuchung
gewidmet — d«ß auch manche Fabeln des Äfop auf
unfern Achikar zurückgehen (der Nachweis der Priorität
Achikars fcheint mir auch hier gelungen). Nun wiffen
wir freilich über die Entltehungszeit der äfopifchen
Fabeln recht wenig. Aber fpäter als um 200 nach Chr.
werden fie nicht zu fetzen fein. So wird das aus Clemens
Alexandrinus gewonnene Refultat beftätigt. Damit ift
auch fchon gegeben, daß die Achikargefchichte nicht erft
ein chriftliches Produkt fein kann, wie man früher wohl
gemeint hat. — Was das Verhältnis zu Tobit anlangt,
fo ftimmt hier Smend der Anficht Müllers bei, daß die
Achikar-Stellen interpoliert feien. Er hält aber die Interpolationen
für fehr alt ,wohl eher aus vorchriftlicher als
aus nachchrifllicher Zeit' (S.63). — Zu einer noch früheren
Anfetzung führt die Unterfuchung über den religiöfen
Charakter der Achikargefchichte überhaupt. Smend weift

des cod. Sinaiticus (hierüber Müller S. 33—53). M. er- vielfache Berührungen mit Jefus Sirach nach. ,Schon
kannt an, daß keiner der beiden Texte gegenüber dem das führt zu der Vermutung, daß Achikar und Sirach

andern fchlechthin als der urfprüngliche betrachtet werden
kann. Beide weifen Spuren nachträglicher ftiliftifcher
Emendation auf. Bei dem Vulgärtext find diefe aber
viel häufiger als bei Sin. (S. 34, 52). Letzterer hat ,an
manchen Stellen die femitifierende Sprache derLberfetzung
treuer bewahrt' (S. 52). Trotzdem gibt M. dem Vulgärtext
im Großen und Ganzen den Vorzug. Die zahlreichen
Stellen, an welchen Sin. einen ausführlicheren Text gibt
als die übrigen Handfchriften, hält er für ,Ausmalungen
und Steigerungen, die der Eifer der Diaskeuaftcn dem
urfprunglichen Beftande hinzugefügt hat' (S. 45). Ich habe
nach früherem Schwanken bereits in meiner Anzeige von
Neftle's Septuagintaftudien III (Theol. Litztg. 1899, 625)

ungefähr gleichzeitig find. Ein Unterfchied fällt freilich
in die Augen: das religiöfe Moment tritt im Achikar
zurück, und die Weisheit ift hier viel mehr Lebensklugheit
als bei Sirach' (S. iCXjf.). Smend fetzt ihn darum noch
in vormakkabäifche Zeit, um 200 vor Chr. (S. 116).

Gegen den jüdifchen Urfprung des Buches, der hiernach
anzunehmen ift, find von Lidzbarski und Bouffet
einige Stellen der armenifchen Verfion geltend gemacht
worden, welche für polytheiftifchen Urfprung zu fprechen
fcheinen. Smend fucht zu zeigen, daß fie nicht wirklich
beweiskräftig find; und man wird ihm angefichts des Ge-
famtcharakters des Buches beizuftimmen haben. Dabei
will Smend keineswegs in Abrede Hellen, daß letztlich

mich für die entgegengefetzte Äuffaffung ausgefprochen ! Sagenftoffe heidnifchen Urfprungs zugrunde liegen,
und bin darin durch erneute Prüfung nur aufs entfchie- Der philologifchen Einzel-Unterfuchung über den

dentte beltärkt worden. Es fcheint mir kaum zweifelhaft, j Wortlaut der Spruche, die mit minutiöfer Sorgfalt geführt
daß in der großen Mehrzahl der Fälle der kürzere Vul- ! ift, ift Smends Beherrfchung der femitifchen Dialekte in
gärtext nicht das Urfprüngliche ift, fondern ftilifnrende j befonderem Maße zu Gute gekommen.
Verkürzung der umftändlicheren und breiteren Ausdrucks- ! Göttingen. E. Schürer.

weife von Sin. Das Verhältnis ift oft ganz analog dem
des Lukas und Matthäus zu Markus. M. kann auch in

einzelnen Fällen nicht verfchweigen, daß die Kürze des Henle, Bifch. Dr. Franz Anton von, Der Ephefierbrief des
gewöhnlichen Textes ,Verdacht erweckt' (S. 47) oder ,hart n|t Apoltels Paulus, erklärt. Zweite verbefferte und ver-
erfcheint' (S 48) Er hätte diefen Beobachtungen um fo mehrte Aufl Augsburg, Literarifches Inltitut von
mehr Gewicht beilegen follen, als er ja lelblt unumwunden I7 0 „ ,VTT c . on „ , „„ 0

anerkennt, daß der Vulgärtext gegenüber dem anderen ! Dr- M- Huttler ^ (XIL 38o S.) gr. 8° Geb. M. 8-
vielfache Spuren nachträglicher Stilifierung aufweift. Be- j Der Verf. bekennt fich in der wieder abgedruckten
deutfam erfcheint mir auch, daß bei Aufzählung der ge- 1 Vorrede zur erften, 1890 erfchienenen Auflage ebenfo be-
fetzlichen Abgaben, welche Tobit geleiftet hat (1, 6—8), I ftimmt zu dem ,Grundfbatut der katholifchen Exegefe'
fich inbetreff des Viehzehntes und des Armenzehnts fach- wie zu den Grundfätzen einer hiftorifch-philologifchen
liehe Differenzen finden, wobei die Faffung des Sin. der J Exegefe. Gehorfam den ,Gefetzen der wiffenfehaftlichen
älteren, die des Vulgärtextes der fpäteren Praxis entfpricht. 1 Objektivität' läßt er auch proteflantifche Ausleger aus-
Ich hoffe, darauf an anderem Orte etwas näher eingehen : giebig zum Wort kommen, und zwar nicht immer nur
zu können. i als Gegenftände feiner Polemik. Die fehr einfache, in