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Ausgabe:

1908 Nr. 22

Spalte:

624-625

Autor/Hrsg.:

Mühlenhardt, Karl

Titel/Untertitel:

Gott und Mensch als Weltschöpfer. Philosophische Betrachtungen 1908

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 22.

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fragt und von hier aus die Elemente fucht, welche die
Erkenntnis konftituieren muffen (S. 101).

Der III. Teil trägt dieUberichrift,der Erkenntnisbegriff'.
Es ergibt fich, daß für Ariftoteles wie für Kant Wahrheit
und Irrtum nur im Urteil fich finden. Nach Ariftoteles
kann aber von Wahrheit des Urteils nur dann die Rede
fein, wenn dasfelbe ein Abbild der realen Wirklichkeit
darfteilt. Für Kant dagegen liegt das Kriterium der Wahrheit
im Wahrheitsbewußtfein d. h. eben im Bewußtfein
der Notwendigkeit der jeweiligen Verknüpfung der einzelnen
Vorftellungen im Urteil. Die reale Welt im Sinne
des Ariftoteles d. h. das Ding an fich im Sprachgebrauche
Kants, bleibt für den menfchlichen Verftand gänzlich
unerreichbar. Jedes Objekt ift bedingt einerfeits durch
ein reales Moment, die Empfindung, andererfeits durch
ein ideales, die Verftandesform, und nur beide Elemente
zufammen geben ein wirkliches Erkenntnisobjekt.

Einzelne kleine Ungenauigkeiten laufen mit unter. Die
ariftotelifche ,Materie' neben der Form, die als ,das Allgemeine
' den eigentlichen Gegenftand der Erkenntnis ausmacht
, auch als das ,Allgemeine' (S. 14) zu bezeichnen,
ift mißverftändlich. Auch daß der vovg ,identifch' mit
feinem Objekt wird (S. 21), trifft nicht völlig zu. Wird
auf die Schwierigkeiten des Kantifchen .Noumenonbegriffes'
eingegangen (S. 128), fo darf die Unterfcheidung des
Noumenons in ,pofitiver' und in ,negativer Bedeutung'
(Kr. d. r. V., Kehrbach S. 685 f.) nicht unberückfichtigt
bleiben. Alles in allem hat aber der Verf. feine Aufgabe
mit Gefchick und eingehender Sachkenntnis durchgeführt.
Die charakteriftifchen Züge der beiden Gedankenwelten
treten deutlich hervor.

Heidelberg. Th. Elfenhans.

Telfen-Wesierski, Prof. Dr. Franz von, Der Autoritätsbegriff
in den Hauptphafen (einer hiltorilchen Entwicklung. Paderborn
, F. Schöningh 1907. (VII, 143 S.) gr. 8° M. 2.80

Die vorliegende Schrift ftellt fich nicht die Aufgabe,
eine endgültige Definition des Autoritätsbegriffes zu geben,
fondern fie will nur den Verbuch machen, ,den Begriff der
Autorität in den Hauptpunkten feiner fyftematifchen
begrifflichen Zufammenfetzung hiftorifch zu erörtern'.
Dochlaffe fich aus der philofophifch-exegetifchen Behandlung
ein annähernd klares und fyftematifches Bild von
jenem wichtigen Begriff gewinnen. In einem L Kapitel
wird das Altertum behandelt, der Autoritätbegriff bei
(dem Xenophontifchen) Sokrates, die Idee der Autorität
in der Platonifchen Ethik, die fyftematifche und umfaffende
Darflellung des Autoritätsbegriffes bei Ariftoteles und
Ciceros praktifche Verwertung des Autoritätsbegriffes.
Das II. Kapitel befchäftigt fich mit dem Autoritätsbegriff
als theologifch-philofophifchem Begriff im Mittelalter, das
III. mit dem ,Kampf um die letzten philofophifchen
Prinzipien des Autoritätsbegriffes' und das letzte IV.
Kapitel ftellt die Refultate der hiftorifchen Unterfuchung
zufammen.

Der Verf. hat fich in feiner fleißigen Unterfuchung
eines der fruchtbarften Mittel, einen Begriff deutlich zu
machen, entgehen laffen: die Beftimmung feines Gegenteils
. Ein Blick auf diejenigen gefchichtlichen Epochen,
für welche die Oppofition gegen die bisherige Autorität
charakteriftifch ift, die Sophiftik, die Reformation, die
Aufklärung, hätte wohl zur fchärferen Umgrenzung des
Begriffes beigetragen. So wird uns zwar gelegentlich
eine Definition der Autorität gegeben als ,einer befonderen
qualitativen Befchaffenheit des Willens, durch welche ein
bewußt denkendes und frei wollendes Wefen auf Grund
feiner Überlegenheit berechtigt wird, eine Herrfchafts-
beziehung zwifchen fich und anderen Wefen effektiv her-
zuftellen' (S. 140b). Unter den Arten der Autorität finden
wir aber neben der ,fozialen Autorität' die ,Autorität des
Wiffens' und ,des Gewiffens' (S. 124fr.), wodurch die Unterfcheidung
zwifchen Autonomie und Heteronomie, zwifchen

! Entfcheidung auf Grund eigener Einficht und Unterwerfung
des Verftandes zum Schaden der begrifflichen Klarheit
verwifcht wird. Das Bewußtfein diefes Unterfchiedes ift
um fo notwendiger für eine Schrift, welcher die kirchliche
Druckerlaubnis' vorangeht.

Heidelberg. Th. Elfenhans.

Mühlenhardt, Karl, Gott und Men(ch als Weltfchöpfer. Phi-

lofophifche Betrachtungen. Berlin-Wilmersdorf (Wei-
marfche Straße 2), Selbftverlag. (241 S.) gr. 8° M. 3 —

Was der Verf. darbieten will, ift eine Metaphyfik,
das heißt, eine auf wiffenfehaftlicher Grundlage aufgebaute
Weltanfchauung, deren Hauptzüge fich etwa in folgenden
Sätzen zufammenfaffen laffen.

Die Welt ift nicht das Werk eines ,blinden Zufalls'.
Sie ift vielmehr ,identifch' ,mit der noch immerfort verrichteten
fchöpferifchen Tätigkeit einer einzigen, in fich
einheitlichen Kraft, die wir uns als völlig felbftändig und
unabhängig zu denken haben', die zugleich fich ihrer
felbft als ,des abfoluten Ich' bewußt ift und weiß, was
fie will und was fie tut. Diefe ,fchöpferifche Tätigkeit
kann nur dadurch ihre Vollendung erlangen, daß fie von
Geiftern, und zwar von möglichft vollkommenen Geiftern
anfehauend erkannt wird'. Zweck der Welt ift daher die
Herftellung eines Reichs von Geiftern, die fich einen
Organismus bilden als die unumgängliche Vorausfetzung
für ihre höchfte und abfchließende Tätigkeit, die des Erkennens
. Wie die betreffenden Geifter mit pfychologifcher
Notwendigkeit zunächft der Sünde verfallen, fo muß auch,
um zu erklären, daß die Welt nicht von Ewigkeit her
gefchaffen worden ift, fondern einen Anfang gehabt hat,
i angenommen werden, daß die weltfchöpferifche Kraft
urfprünglich mit einer inneren Unvollkommenheit behaftet
gewefen fei. Wie aber die Gottheit folchen Mangel in
fich überwunden hat, fo will fie auch die endlichen Geifter
von ihrer Sünde erlöfen und fie zum Ziele, zur Vollkommenheit
führen.

Die vorgetragene optimiftifche, mit einem bewußten
j Weltgrund rechnende Metaphyfik fucht der Autor in
j einer längeren Erörterung zu verteidigen gegen die Ein-
1 wände, die fich aus den Lehren Schopenhauers, E. von
1 Hartmanns und Drews' ergeben. Ebenfo fetzt er fich
! mit der chriftlichen Weltanfchauung auseinander. Be-
j rechtigt findet er in diefer nachftehende Gedanken: ,daß
eine einzige, fich ihrer felbft und ihres Tuns vollbewußte
Kraft, nämlich Gott, Schöpfer der Welt und auch der
Seelen und Geifter fei; daß ferner diefe letzteren trotzdem
in Gottentfremdung, d. h., in Sünde gefallen feien,
und daß eben diefe Sünde als Urfache ihrer Unvollkommenheit
und ihrer Leiden angefehen werden müffe.
Die Sünde könne aber wieder überwunden und fo auch
das wbel befeitigt werden, — dadurch nämlich, daß die
Seelen und Geifter aus der Gottentfremdung wieder heraustreten
und fich Gottes Willen freudig unterordnen.
Das fei jedoch nur erreichbar unter der Führung und
umfaffenden Hilfe des Schöpfers felbft. Diefer gewähre
folche und fungiere fo zugleich auch als Erlöfer'. Dagegen
wird als Hauptfehler der chriftlichen Weltanfchauung
die mangelhafte Formulierung der Lehre von Gott als
dem Weltfchöpfer bezeichnet. ,Anftatt die im Räume
daftehende materielle Welt als die noch fort und fort
verrichtete Schöpfertätigkeit Gottes anzufehen, machte
man die Weltfchöpfung zu einem zeitlich begrenzten
Akt und behielt Gott nur noch die Erhaltung der Welt
vor'. Ja, man riß wohl in dualiftifcher Weife Gott und
j Welt auseinander. Die Folge war die Notwendigkeit, als
Erlöfer ftatt des Schöpfergottes noch einen Gott ,in
j Menfchengeftalt' anzunehmen.

So viel zur Charakteriftik des Buchs! Wie bei jeder
Metaphyfik, fo ift auch bei dem Aufbau der hier dargebotenen
Weltanfchauung nicht nur die wiffenfehaftliche
Erkenntnis, fondern in hohem Maße die Phantafie beteiligt.