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Ausgabe:

1908 Nr. 22

Spalte:

615-617

Autor/Hrsg.:

Zoepf, Ludwig

Titel/Untertitel:

Das Heiligen-Leben im 10. Jahrhundert 1908

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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6i 5 Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 22. 616

deutliche Vorflellung von dem Inhalte machen. Der j den Zweck des Heiligenlebens und benimmt denfelben
Wortlaut des Fragments ift: ! als in erfter Linie erbaulichen. Daneben dient aber die

Denique testatur propheta Helias vidisse. Ostendit, 1 Heiligenbiographie vielfach praktifchen Zwecken, der

inquit, mihi angelus domini convallem altam quae vocatur
gehenna, ardensque sulpkore et bitumine; et in illo loco
sunt multae animae peccatorum et taliter ibi cruciantur
diversis tormcntis. Paciuntur aliqui pendentes natura, alii
autem Unguis, quidam vero ocuUs, alii inversi pendentes;
et foeminae niammillis suis cruäabuntur etßivenes mani-
bus pendentes; quaedam in craticula virgines uruntur et
quaedam figuntur animae perpetuae poenae. Per ipsa vero
varia supplicia ostenditur uniuscujusque actus. Naturalium
dolores utique adulteri sunt et pederasti; qui autem Unguis
suspenduntur blasphemi sunt, falsi etiam testes; qui oculis
vero cremantur hii sunt qui in videndo scandalizati sunt,
respicientes in concupiscencia reatu gesta; qui vero inversi
pendebant, hii sunt odientes justiciam dei, pravi consilii,
nec qmsquam fratri consentit, merito et in poenis sentenciae
uruntur. Nam quod foeminae mammilhs torqueri jubentur,
istae sunt quae in ludibrio corpus suum tradidei'unt nias-
culis; ideoque et ipsi juxta erunt in tormentis manibus
pendentes propter hanc rem.

Es wird alfo gelchildert, wie die Sünder in der Gehenna
immer an demjenigen Gliede des Körpers geftraft
werden, mit welchem fie gefündigt haben. Kine ähnliche
Schilderung findet fich auch in der Apokalypfe des
Petrus. Aber die Einzelheiten find doch faft durchweg
andere. In der von Steindorff 1899 herausgegebenen
koptifchen ,Apokalypfe des Elias' finden fich dagegen
keine Parallelen. Dasjenige Stück, welches Steindorff als
chriftliche Überarbeitung der alten Elias-Apokalypfe betrachtet
, handelt überhaupt nicht vom jenfeitigen Gefchick
der Menfchen, und das andere Stück, welches er als

Begründung von Rechtsanfprüchen von Stiftern und
Klöftern oder der kirchlichen und politifchen Propaganda.
Z. gibt dann eine Einteilung der uns erhaltenen Heiligenleben
, bei der er Heiligenlegenden, Heiligenviten und
Heiligenbiographien unterfcheidet. Unter Heiligenlegende
verfleht er ein Heiligenleben, das von dem Verfaffer
ohneRückficht auf die hiftonfche Wirklichkeit frei erfunden
ift, unter Heiligenvita, eine Darftellung des Lebensganges
des Heiligen, die nicht von einem Zeitgenoffen des
Heiligen flammt und in der bereits Wunder, die der
Heilige zu feinen Lebzeiten tat, berichtet werden, und unter
Heiligenbiographie, eine Schilderung des Lebensganges
des Heiligen von einem dem Heiligen nahe flehenden
Verfaffer, in der Wunder zu Lebzeiten des Heiligen noch
fehlen. Diefe Einteilung, gegen die fich manches einwenden
läßt, halte ich nicht für befonders glücklich. Der
Verfaffer hat dies felbft gefühlt, indem er bemerkt, daß
man vielfach im Zweifel über die Zuweifung in die einzelnen
Kategorien fein kann. Mir würde eine Einteilung
der Heiligenleben in folche, die aus der perfönlichen
Bekanntfchaft mit dem Heiligen, und in folche, die lediglich
aus der Tradition fchöpfen, einfacher erfcheinen, wenn
fich auch hier wieder Mifchformen ergeben werden. Im
Folgenden bemüht fich Z. die typifchen Züge der Heiligenleben
von den individuellen zu fondern. Er leugnet nicht
folche typifchen Züge, wie fie uns in den Heiligenleben
in der wunderbaren Verkündigung der Geburt, der Frühreife
des Heiligen, feiner himmlifchen Berufung zu feinem
Amt, feinen Wundern und feinem friedlichen Abfcheiden
entgegentreten. Aber er kommt doch zu dem Refultat,

.anonyme Apokalypfe' bezeichnet, weift in feiner Be- daß eine Reihe von Heiligenbiographien des 10. Jahr-
fchreibung der jenfeitigen Vergeltung keine irgendwie | hunderts, wie die Biographien des hl. Bruno von Cöln von
nähere Berührung mit dem Würzburger Fragment auf. Ruotger, des hl. Johann von Gorze von Abt Johannes
Ich zweifle nicht, daß wir in letzterem ein echtes F"rag- von Metz, und des hl. Adalbert von Prag von Bruno von
ment der alten jüdifchen Elias-Apokalypfe haben, 1 Querfurt individuelle Perfönlichkeitsfchilderungen entwährend
die koptifche chriftliche Elias-Apokalypfe kaüm < halten, die zu den typifchen Hauptzügen des Heiligen-
in näherem Zufammenhange damit fleht. Die Schilderung I fchemas in bewußten Gegenfatz treten. Wohl ift auch
der künftigen Beflrafung der Sünder in dem neuen Frag- j im 10. Jahrhundert eine Reihe von Heiligenlegenden wie
ment bildet ein treffendes Gegenfiück zu der Schilderung i die Legende des hl. Magnus entflanden, die ein Beifpiel

der künftigen Herrlichkeit der Gerechten, aus welcher
offenbar das Zitat bei Paulus I. Kor. 2, 9 und bei Kirchenvätern
entnommen ift. Ich habe fchon in meiner Geich,
des jüd. Volkes 3. Aufl. III, 269 f. die Anficht ausgefprochen,
daß das Zitat bei Clemens Alex. Protr.X,g nicht aus dem
erften Korintherbrief, fondern direkt aus der Elias-Apokalypfe
gefchopft ift, weil hier die im erden Korintherbrief
zitierten Worte in eigentümlicher Form als Bedandteil
eines Gefprächs zwifchen dem Empfanger der Offenbarung
und dem Engel, der fie gibt, erfcheinen. Diefe Auffaffung
wird jetzt durch die Parallele in dem neuen Fragment
durchaus bedätigt.

Göttingen. E. Schürer.

Zoepf, Dr. Ludwig, Das Heiligen-Leben im 10. Jahrhundert.

(Beiträge zur Kulturgefchichte des Mittelalters und der
Renaiffance. Herausgegeben von W. Goetz. Heft 1.)
Leipzig, B. G. Teubner 1908. (VI, 250 S.) gr. 8° M. 8 —

Das vorliegende Buch id das erde Heft eines neuen
Unternehmens, das fich Beiträge zur Kulturgefchichte des
Mittelalters und der Renaiffance betitelt und von Profeffor
Goetz in Tübingen herausgegeben wird. Der Zweck der
Sammlung wird dahin beftimmt, irrige Schlüffe über das
geidige Leben des Mittelalters, die ihren Urfprung in
dem Mangel methodifcher Grundfätze haben, durch
Einzelunterfuchungen zu widerlegen. Das erde Heft von

Zoepf, das das Heiligenleben im 10. Jahrhundert behandelt, i Novellidik im Heiligenleben bringen, find fehr lehrreich.

für die fkrupellofe Art id, wie die Hagiographie ein
Heiligenleben erfinden kann. Im ganzen aber dellt er
die Hagiographie des 10. Jahrhunderts fehr hoch. Sie
bedeutet für ihn einen Höhepunkt, fofern die Wertung
der Heiligen auf rein menfchlich-ethifcher Bafis verfucht
und durchgeführt wird. Mir fcheint, als ob der Verfaffer
mit diefem Urteile die Hagiographie des vielgefchmähten
saeculum obscurum doch zu fehr in den Himmel erhoben
hat. Es id ihm gelungen, das alte Vorurteil zu widerlegen
, daß wir in den Heiligenleben des 10. Jahrhunderts
nur gefetzmäßige Typen ohne individuelle Züge befitzen,
aber er verfällt in die entgegengefetzte Einfeitigkeit, wenn
er behauptet, daß die Wertung der Heiligen auf rein
menfchlich-ethifcher Bafis verfucht oder gar durchgeführt
fei. Auch von den hervorragendden Arbeiten wie z. B.
von der Biographie des hl. Bruno von Cöln wird man
dies m. E. nicht fagen können. Ebenfo habe ich Bedenken
gegen die fcharfe Abgrenzung der Hagiographie
des 10. Jahrhunderts von der vorhergehenden und nachfolgenden
Epoche, die Z. vornimmt, indem er die Hagiographie
des 10. Jahrhunderts durch das Hervortreten
der drengen Askefe und des Martyriumsgedankens charak-
terifiert fein läßt; denn auch in den Viten des II. und 12.
Jahrhunderts tritt die drenge Askefe mindedens in dem-
felben Grade wie in denen des 10. Jahrhunderts hervor.
Die feinen Analyfen, die die folgenden Abfchnitte über
den Heiligenkultus, über die Anfchauung vom Jenfeits,
über die Wunder, über das Naturgefühl und über die

zeugt von gründlicher Belefenheit in den Quellen und [ Auf dem Gebiete des Wunders enthalten die Heiligen-
von fcharfem und ficherem Urteil. Z. unterfucht zunächft leben des 10. Jahrhunderts nichts Selbdändiges, fondern