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Ausgabe:

1908 Nr. 2

Spalte:

39-40

Autor/Hrsg.:

Steinmetzer, Franz

Titel/Untertitel:

Neue Untersuchungen über die Geschichtlichkeit der Juditherzählung 1908

Rezensent:

Schürer, Emil

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39

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 2.

40

Athen. Mitteil. 3212 Z. 14). Ebenfo fehlt das der Bibel
geläufige -oai der Kontrakta den Papyri vielleicht nur,
weil Gelegenheit fehlt, folche Formen zu bilden; Mayfer
S. 328 weift wenigftens keine Gegenbeifpiele nach, wohl
aber ein analoges yagitlaai als 2sg. fut. Und daß fpeziell
-doai verhältnismäßig alt ift, folgt aus Theokrits kgdöai.
Wegen xaxaXeirpr/g (Fut.?) I Chron. 289 vgl. Mayfer S. 364.

Etwas weiter gelangt man, wenn man innerhalb der
Papyri fcheidet. Wo die des zweiten Jahrhunderts fich von
denen des dritten fondern, geht die Septuaginta mehrfach
mit den jüngern, was mir bedeutfam fcheint. In der
3. pl. Perfecti haben die Papyri -av ftatt -aOt erft von
170a an (S. 323): aber fchon der Pentateuch bietet (Dt. 117)
Imgaxav. Auch die Infchriften außerhalb Ägyptens fcheinen
-av nicht früher zu kennen; wie man mit dem Jiirpgvxav
des Lykophron (?) 252 und dem iogyav der Batracho-
machie 179. 181 fertig werden foll, ift eine Frage für fich.
Erft 117a treffen wir in den Papyri Aorift II mit a-Vokalismus
, und auch dies ift vereinzelt (ßovXauevog für
ßovXouevog [Mayfer S. 369] gehört natürlich nicht hierher,
fondern verdankt feinen Vokalismus dem Vorbilde des
finnverwandten 6vvatu£vog, gerade wie man im Ionifchen
des 4. Jahrhunderts laut der Infchrift von Teos 5633 19
Coli. ßovXzcovxai ft. ßovXcovxai nach övv&mvxai Jagte):
Formen wie jiagsX&äxo? hat fchon die Genefis. Ähnlich
ift es wohl zu beurteilen, wenn dem attifchen kvcpöiov
.Ohrring' eines Papyrus des 3. Jahrhunderts vom Pentateuch
an das helleniftifche ivmxtov gegenüberfteht; letzteres
z. B. in Delos um 180a bezeugt. (Vgl. Deißmann,
Bibelft. 148 A 6.) Umgekehrt ift etwa innerhalb der
Septuagintatexte zu fcheiden und ftehen nicht alle im
gleichen Verhältnis zur Papyrusüberlieferung. Das herr-
fchende ßoggä ßoggä ßoggäv ftimmt zu den Papyri (Mayfer
S. 252): ßoQSTjg ßogtov bei Pirach, ßogeav (neben ßoggä) bei
Hiob widerfpricht ihnen. Vgl. oben Sp. 38 über yeygäcpqxa.

Möge es dem Verf. vergönnt fein, bald einen weitern
Band, enthaltend die Syntax der Papyri, zu veröffentlichen.
Man kann fich nur Gutes von einer folchen Arbeit ver-
fprechen. Auch die Bibelforfchung wird Grund haben
dafür dankbar zu fein, wie fie es für das bereits Er-
fchienene fein muß.

Göttingen. Jakob Wackernagel.

Steinmetzer, D. Franz, Neue Unterluchungen über die Ge-
fchichtlichkeit der Juditherzählung. Ein Beitrag zur Erklärung
des Buches Judith. Leipzig, R. Haupt 1907.
(VII, 158 S.) gr. 8» M. 6 —

Die Quellenfcheidung ift jetzt an der Tagesordnung.
Allmählich werden wohl alle biblifchen und der biblifchen
Literatur irgendwie nahe flehenden Schriften dem Ge-
fchick verfallen, daß diefe Operation, die ja in manchen
Fällen uns wertvolle Einblicke in ihren Organismus eröffnet
, unerbittlich an ihnen vollzogen wird. Nach dem
Verfaffer obiger Unterfuchung find im Text des Judithbuches
folgende vier Schichten, von welchen immer
eine über die andere gelagert ift, zu unterfcheiden.

Die urfprüngliche Erzählung fchildert Ereigniffe aus
der Zeit des affyrifchen Königs Affurbanipal (S.41—59).
Sie ift um 600 vor Chr. verfaßt (S. 109). Eine fpätere,
etwa hundert Jahre jüngere Schicht fchildert den Zug
des Kyros gegen Lydien (S. 6off.): Ihr gehören die
Stücke 1, ib—4. 13b—14; 2, 13—24; 16, 10 und alle jene
Stellen an, die den Holofernes als Feldherrn einführen
(S. 108). Die dritte Schicht bezieht fich auf die Zeit bald
nach dem Exil, als die Gemeinde fich neu konftituierte
unter dem Hohenpriefter Jojakim, dem Sohne des Jofua
(Nehem. 12, 10. 26). Diefer ift nämlich unter dem im
Buch Judith 4, 6. 8. 14. 15, 8 vorkommenden Joakim zu
verftehen (S. 76ff.). Die Äbfaffung diefer dritten Bearbeitung
ift um 350 vor Chr. zu fetzen (S. 109). Endlich
eine vierte und letzte Geftaltung des Textes nimmt

deutlich auf Antiochus Epiphanes und die Kämpfe
der Makkabäerzeit Bezug (S. 99ff). Sie ift um 150 vor
Chr. entstanden (S. 109f.). In einem Anhang (S. 127—153)
gibt der Verf. eine vollftändige deutfche Überfetzung des
Buches und kennzeichnet dabei die vier Schichten des
Textes durch vierfach verfchiedenen Druck. Eine reinliche
Herftellung des vollftändigen Beftandes jeder Text-
Periode ift dabei freilich nicht möglich, da die fpäteren
Bearbeiter nicht nur hinzugefetzt, fondern auch modifizierend
eingegriffen haben. So hat z. B. der urfprüngliche
Text überhaupt keine Eigennamen enthalten (S. 43,
95). Auch der Name der Stadt Betylua oder Bethulia
gehört erft der dritten Periode des Textes an. Der
Bearbeiter diefes Textes fchrieb imlntereffe des Stammes
S meon und wollte zeigen, wie ungerecht die Abneigung
der übrigen Stämme gegen den feinen fei (S. 95). Daher
verlegt er die heldenmütig verteidigte Stadt in das Gebiet
des Stammes Simeon und nennt fie Bethuel (Jofua
19, 4; I Chron. 4, 30), während im urfprünglichen Text
der Name nicht genannt und eine Stadt in der Nähe der
Ebene Esdrelon gemeint war (S. 95—97). So erklärt
fich ,weshalb man fo lange vergeblich nach der Lage
Bethulias gebucht hat; es ift eben anderswo der Ort,
anderswo der Name zu buchen' (S. 98). — An der Ent-
ftehung des Textes find übrigens noch weit mehr als
vier Hände beteiligt. ,Der Ubergang von einer Stufe
zur anderen hat fich nicht fchroff, fondern ganz unmerklich
vollzogen, indem er durch zahlreiche Zwifchenftufen
vermittelt wurde, die im einzelnen fich nicht mehr nachweifen
laffen' (S. 106).

Das merkwürdigfte an diefer Kritik, deren Zucht-
lofigkeit nur durch ihre Unklarheit übertreffen wird, ift
dies, daß fie im apologetifchen Intereffe unternommen ift.
Der Verf. ift katholifcher Theologe (nach S. 30 fpricht
gegen die Annahme, daß Hieronymus bei Wiedergabe
des chaldäifchen Textes Stellen ausgelaffen habe, ,abge-
fehen von der fonft bewährten Treue des Heiligen' auch
der und der Umftand etc.). Er meint, indem er die
Widerfprüche und hiftorifchen Unmöglichkeiten der Erzählung
durch Annahme verfchiedener Text-Schichten
erklärt, die Ehre des infpirierten Buches gerettet zu haben.
Die urfprüngliche Erzählung, die zur Zeit Affurbanipals
fpielt, ift ja hiftorifch! Während er aber in der Verlegung
der Gefchichte in die Zeit Affurbanipals den katholifchen
Apologeten (Robiou, Delattre, Vigouroux, Palmieri,
Brunengo u. a.) folgt, nimmt er zugleich die Gefichts-
punkte der proteftantifchen Kritik auf, welche in der
Erzählung die Verhältniffe der Makkabäerzeit widerge-
fpiegelt findet, und vermehrt die Mannigfaltigkeit diefer
Äuffaffung noch durch Einfchiebung zweier Zwifchen-
glieder.

Auch in Einzelheiten ift der Verf. nicht immer exakt.
Die Namen von Autoren, deren Werke er benützt, werden
öfters falfch gefchrieben, fo Roubiou S. 10. 17. 46. 49b
(nur S. 41 richtig Robiou), Sabbatier S. 27 fr. (ft. Saba-
tier), Dellattre S. 41 (fonft richtig Delattre S. 10. 13. 17.
46). Die zweite Aufl. von Scholz ift nicht 1898 (fo S. 11
und im Verzeichnis der Abkürzungen) fondern 1896 er-
fchienen; der Band der Notices et Extraits, in welchem
Berger Nachweife über die Handfchriften des latei-
nifenen Textes gibt, nicht 1895, fondern 1893, auch
müßte die Bandzahl genannt fein. In derfelben Anm.
(S. 29) wäre für die lateinifchen Handfchriften auch auf
| Thielmann, Sitzungsberichte der Münchener Akademie,
; philof.-philol. und hift. Cl. 1899, Bd. II, S. 224—227,
| 231b zu verweifen gewefen.

Göttingen. E. Schürer.