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Ausgabe:

1908 Nr. 20

Spalte:

569-570

Autor/Hrsg.:

Hartmann, August

Titel/Untertitel:

Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom 16. bis 19. Jahrhundert. Gesammelt und erläutert. 1. Bd 1908

Rezensent:

Hermelink, Heinrich

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569 Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 20. 570

Hartmann, Auguft, Hiftorilche Volkslieder und Zeitgedichte
vom lechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. Gefammelt
und erläutert. Mit Melodien, herausgegeben von Hya-
cinth Abele. Erfter Band. Bis zum Ende des dreißigjährigen
Krieges. Mit Unterftützung der Hiflorifchen
Kommiffion bei der K. Bayer. Akademie der Wiffen-
fchaften. München, C. H. Beck 1907. (VII, 352 S.)

80 M. 12-

Diefe mit Unterftützung der hiflorifchen Kommiffion
bei der K. Bayer. Akademie der Wiffenfchaften veran-
italtete Sammlung von hiflorifchen Volksliedern ift ge-
wiffermaßen eine Fortfetzung der von Rochus Freiherrn

Gleich alfo wird geplaget

Die chrifllich G'mein

Von Feinden dein

Herr Gott! dir feis geklaget ufw.

von Carl Jörger (1620/23 S. 140) und das Klagelied auf
das einfam gewordene Turteltäubchen Hernais, den Gottesgarten
vor Wien, eine Jörgerfche Befitzung, wohin nach
Ausweis eines Stichs von Merian Taufende aus der öfter-
reichifchen Hauptftadt bis 1625 zur evangelifchen Predigt
wallfahrteten (S. 160).

Eine Gruppe für fich bilden die Lieder zum ober-
öfterreichifchen Bauernaufftand unter Stephan Fadinger
(1626), deffen religiöfe und foziale wie politifche Seiten

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wu. .,. Z . c__mi„„„ v,;a^r;r^v,„„ ln aen verfchiedenen Liedern famt der merkwürdigen

v Lihencron herausgegebenen Sammlung der niltonlcnen , . r . .,. , ... , . , , , .„ s

, .?u . ~ ,„ usJ. ,e. i„v,,i_____ i Fahneninfchnft deutlich zum Ausdruck kommen (S. 175—

Volkslieder der Deutfchen vom 13. bis 16. Jahrhundert.
Nur ift der Rahmen enger gefleckt: Der Stoff geht ,zu-
nächfl von meinem Heimatlande Bayern (in deffen heutigem
Umfang) aus, berührt aber auch viele andere
deutfehe und manche außerdeutfehe Gebiete'. Lieder,
welche in früheren Sammlungen fchon enthalten find,
fanden nur Aufnahme, wenn vollftändigere oder echtere
Faffungen geboten werden konnten, oder wenn fie an
Orten gedruckt find, wo man fie nicht vermutet. Für
nur neun Lieder in diefem Bande ließen fich die Melodien
nachweifen. Der Herausgeber, der durch frühere
Sammlungen von Volksliedern und Volksfchaufpielen
feinen Beruf dargetan, hat der Forfchung ein treffliches
und wertvolles Werk gefchenkt.

Der Wert folcher Liederfammlungen befleht ja für
unfere fpätere Zeit nicht darin, daß neue Ereigniffe und
Daten mitgeteilt würden; fondern wir werden näher über

255). Unter den Liedern des 30jährigen Kriegs ragt der
blutige Hochzeitsfpruch für Magdeburg hervor (1631 S.
279), und dann kommen wieder öfterreichifche Exulantenlieder
(S. 285—300). Erwähnung verdienen außerdem
das Zwiegefpräch zwifchen dem Baiern und Sachfen
(1556 S. 31—53), das die Situation in den beiden Ländern
trefflich fchildert (nam. S. 38 f., follte der Abt S.
36f. nicht namhaft gemacht werden können?); das Trauerlied
auf den verdienten Freiherrn Hans von Ungnad, der
die Bibel in den flavifchen Sprachen verbreitete (-j- 1564
S. 54ff.); endlich das Münchner Marienlied auf die,Patronin
übers Bayerland' (1616 S. ioöff.).

In den Wiedertäufer- und Exulantenliedern ift viel
Kreuztheologie enthalten: ,Dann wer da will mit Chrifto
lebn, muß fein Leib zu kreuzigen gebn, Verfolgung,
Angft und Not leiden, Der Welt Wolluft und Pracht
meiden' (S. 28). Hart ringen die Verfaffer mit den

den Hintergrund der Ereigniffe und die Stimmungen 1 prnhfpmpn ',„„nm All' „TT0"" 77

im Volke aufgeklärt. So ilt diefer Band über die Zeit l'utn^Trl , T go"eingefetete Obrigkeit fo zu-
der Reformation und Gegenreformation für den Theologen : S,™ ff* Äg Hg"" Gott gerade ferne Gemeinde fo
befonders wertvoll. Er wird eingeleitet durch zwei Lands- f!^ s cj^S n dt%*»*a ?*P«
knechtlieder, woraus wir erfahren, daß ,unfer liebe Fraue' ( b> 258 Str" 4)" Das arme Sunderbewußtfein ift

mit ,Frau Nachtigall' und dem ,Kaifer' als Gefchütz ihre
Weifen ertönen läßt; auch Heilige (,St. Sebaldus', ,die
Apoftel') zogen fo mit in den Krieg (S. 4 und 6). Aus
den Wiedertäuferliedern find zwei mitgeteilt: eines, das
die fchon in Keßlers Sabbata befchriebene Marter von
Jörg Wagner in München befingt (1527, S. 7ff.; der Sinn
des vierten efchatologifchen Artikels feiner Irrlehre neben
Beichte, Taufe und Abendmahl ift mir nicht klar geworden
, Str. 11) und das wunderfchöne bisher unbekannte
Sterblied Andreas Zellingers (in Rofenheim 1578, S. 65 ff.).
Den Hauptinhalt des Bandes füllen Lieder, die irgendwie
mit der Gegenreformation zufammenhängen und die vom
Herausgeber z. T. mit großem Scharffinn lokalifiert worden
find: Nr. 5 und 6 von Simon Gerengel, Nr. 7 von
von Sebaftian Halteinfpiel, auch Nr. 14 weifen nach Salzburg
, Nr. 16 fpielt in Würzburg. Die Beziehung von
Nr. 13 auf Georg von Ungnad ift fehr unwahrfcheinlich.
Intereffant ift, wie die von Krems im J. 1610, als fie
den fremden Glauben annehmen mußten, ihre wahre
Überzeugung einer Säuleninfchrift (S. 94) oder auch einem
Hausfchtld (Reiteroffizier mit emporgehobenem Kelch)
anvertrauen. Als der falzburgifche Rat J. B. Fickler im
J. 1581 in einem Dorfwirtshaus auf weißer Mauer mit
Rötelftein einen lutherifchen Reimen fand, fchrieb er
eine langatmige katholifche Belehrung darunter (S. 69).
Ganz wunderfchön find die öfterreichifchen Exulantenlieder
, von denen Alb. Knapp eine Reihe in modernifierter
Form herausgegeben hat (Stuttgart 1861) und für welche
das Gräflich Giechfche Archiv zu Thurnau fowie ein neu
benutztes Exulantenliederbuch im Chorherrenflift zu St.
Florian befonders reiche Ausbeute gewährten. Die Bedeutung
der Familie Jörger für den Proteftantismus in
Ofterreich illuftriert das ergreifende:

Mitten wie auf dem wilden Meer

Ein Schifflein wird gejaget

Von viel Sturmwinden hin und her

wie auch anderwärts beobachtet werden kann, in lutherifchen
Gebieten vielfach Löfung der Theodizee (da wo
man fich mit dem Hexenglauben nicht begnügte). Von
einem katholifchen Verfaffer (vgl. S. 97 Str. 3) hören wir
die Mahnung:

Ihr geiftlich Potentaten
Gedenkt der armen G'main
Ihr Bifchof und Prelaten
Laßt euchs ein Warnung fein
Laffet aus eurer Hende
Allhie auf diefer Erd
Das weltlich Regimente

Und braucht das geiftlich Schwert! (S. 102).

Für die Gefchichte des Sakramentsgebrauchs hören
wir über Hans von Ungnad den Ruhm, daß in feinem
Haus ,all Monat faft' das Sakrament genommen wurde
(S. 55). Diefe Andeutungen mögen genügen, auf den
reichen Inhalt des Bandes hinzuweifen, für den wir Theologen
dem Herausgeber befonderen Dank fchulden.
Leipzig. H. Hermelink.

Eucken, Rudolf, Der Sinn und Wert des Lebens. Leipzig,
Quelle & Meyer 1908. (V, 162 S.) 8° M. 2.20

Die vorliegende Schrift Euckens ift deshalb fo intereffant
, auch für weitere Leferkreife, weil darin die
praktifchen Konfequcnzen feiner Philofophie befonders
deutlich zutage treten.

Der Verf. kennzeichnet zuerft die Antworten, die
auf die Frage nach dem Sinn und Wert des Lebens von
der .Religion' einerfeits, vom .immanenten Idealismus'
anderfeits erteilt worden find. Er meint aber, daß fowohl
diefer als jene fich heut desjenigen Kredits nicht mehr
erfreuen, deffen fie bedürften, um für die von ihnen angegebene
Löfung des Problems in voll ausreichendem
Maße einftehen zu können. Und er eröffnet nun eine