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Ausgabe:

1908 Nr. 20

Spalte:

567-568

Autor/Hrsg.:

Uckeley, Alfred (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Urbanus Rhegius. Wie man fürsichtiglich und ohne Ärgerniß reden soll von den fürnemesten Artikeln christlicher Lehre 1908

Rezensent:

Bossert, Gustav

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567

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 20.

568

Gefahr befunden hat wie Erasmus im Sommer 1521 in
Löwen und Brüffel, Capito jahrelang am Hofe Albrechts'
(S 6; vgl. dagegen S. 59 Anm. 2 die Notiz ,über die
Prediger, die unter der Herrfchaft des Kardinals frei das
Wort Gottes verkünden durften')!

Das Gutachten C.s über die Annahme der Legatenwürde
durch Albrecht (S. 117 ff.) ift von K. felbft neuerdings
mit Rückficht auf einen Fund Fr. Herrmanns
(D. evang. Bewegung in Mainz im Ref. Z. A. 1907 S. 88
Anm. 213) auf Juli 1521 verlegt worden (vgl. Aleander
gegen Luther 1908 S. 115 Anm.). Die Bücher K.s find
bei der fatten Prägnanz feines Stils nicht leicht lesbar-,
darum darf in Kleinigkeiten um Erleichterung gebeten
werden: Von S. 7—16 fehlt bei allen für den Fortgang
der Erzählung in Betracht kommenden Datumsangaben
die Jahreszahl, und es wird zweimal (S. 7 u. S. 14) flill-
fchweigend auf ein neues Jahr übergefprungen; ,C.' heißt
S. 46 Anm. 2 u. 50 Anm. 1 nicht Capito, fonriern Cochläus.
Doch follen folche Ausheilungen und das prinzipielle Bedenken
den Dank nicht hintanhalten, den wir dem Verf.
für feine reichen Arbeiten zur Aufhellung der wichtigften
Jahre der Reformation fchuldig find.

Leipzig. H. Hermelink.

Urbanus Rhegius. Wie man fürlichtiglich und ohne Ärgerniß
reden ToiI von den fürnemelten Artikeln chriltlicher Lehre.

(Formulae quaedam caute et citra scandalum loquendi.)

Nach der deutfchen Ausgabe von 1536 nebft der

Predigtanweifung Herzog Ernfl des Bekenners von 1529

herausgegeben von Priv.-Doz. Lic. Alfred Uckeley.

(Quellenfchriften zur Gefchichte des Proteftantismus.

6. Heft.) Leipzig, A. Deichert Nachf. 1908. (96 S.)

8° M. 2 —

Die oft gedruckte Anweifung des Urb. Rhegius, welche
zuerft lateinifch bei Joh. Lufft 1535 erfchien, verdiente
den Neudruck, da fie ebenfo dogmenhiftorifches wie
praktifch theologifches Intereffe hat, wie Uckeley mit
Recht hervorhebt. Er gibt den Text der deutfchen Ausgabe
von 1536 unter Vergleichung des lateinifchen und
fchicktdie bis jetzt noch nicht gedruckte Predigtanweifung
des Herzogs Ernft von 1529 voraus, die den Titel hat
,Wie und was wir Ernft, von gots gnaden Hertzog zu
Braunfchwick und Leuneborg, unfers furftenthumbs phar-
hern und predigern zu predigen befohlen'. Auf diefe
kurze treffliche Schrift hatte zuerft Ad. Wrede 1888 auf-
merkfam gemacht. Ein Exemplar fand Uckeley im Staatsarchiv
Hannover; dasfelbe bietet leider keinen durchaus
korrekten Text, fodaß die Kritik hier erft Rat fchaffen
mußte. An diefes Zeugnis des befonnenen und konfer-
vativen Geiftes des frommen Herzogs fchließt fich Rhegius
in feinen Formulae caute loquendi an. Beide Schriften zeigen
uns die ungemeinen Schwierigkeiten, welche die Reformation
in der Heranbildung tüchtiger Prediger hatte, welche
die wahre Aufgabe der Predigt, die Erbauung der Gemeinde
, erkannten und löften, während andere mit dem
Zerbrechen des Alten ihre Schuldigkeit getan zu haben
meinten und die Gemeinde mit Kanzelpolemik auf Grund
eines aus dem Zufammenhang geriffenen Schriftwortes
abfertigten und durch unevangelifche Behandlung wichtiger
Lehrftücke fchädigten. Sehr bezeichnend ift, was Rhegius
(S. 32) aus Predigten über die guten Werke anführt: ,Es
ift nichts mit unfern guten wercken. Sie follen nichts.
Sie ftincken für Gott. Er wil ir nicht. Sie machen eitel
gleißner.'

Zugleich gibt, wie Uckeley mit Recht betont, die
Schrift von Rhegius einen Abriß der religiöfen Vorftellungs-
welt des kleinen Mannes. Wie er die gehörten Predigten
auffaßte, welche Gedankenentgleifungen ihm dabei begegneten
, wie fich das Volk den kirchlichen Lehrinhalt
praktifch zurechtlegte, das zeigen die Formulae von

Rhegius, während für Herzog Ernft bezeichnend ift, daß
ihm der Gehorfam gegen die Obrigkeit unter den Be-
weifen des Glaubens oben anfleht. Uckeley weift nach,
daß die Schrift des Rhegius dem Corpus doctrinae Wil-
helminum und Corpus Julium der Herzöge von Braun-
fchweig-Lüneburg und Wolfenbüttel 1576 als Anhang
i beigegeben war, aber keineswegs ,fymbolartiges oder
j halbfymbolifch.es' Anfehen genoß, wie Uhlhorn meinte.
Sehr beachtenswert ift, daß in jenem Anhang das
16. Kapitel ,Wie man recht reden fol von der Heiligen
! ehre' fehr ftark verkürzt wiedergegeben wurde, da man
I 1576 die Pietät nicht mehr verftand, welche Rhegius 1535
I noch befeelte und ihn in den Wegen der Kirchenväter
i gehen ließ, die er zahlreich zitiert.

Uckeley hat mit großer Hingabe die Texte bearbeitet
und erläutert und die Zitate aus den Kirchenvätern nach-
j gewiefen, aber philologifch war er nicht genügend ge-
j rüftet, was fich fowohl in der Textkritik, wie in den fprach-
| liehen Erklärungen bemerklich macht. Namentlich hat
I er nicht genügend berückfichtigt, daß Rhegius fchwäbifch
I fpricht. Hier gibts noch zu beffern. Z. B. S. 9 Z. 5 ift
| zu lefen eyner ftatt eynen. S. 10 S. 17 ift der Text nicht
verftändlich. Statt der widerwertigen wird zu lefen fein
die widerwertigen, nach welchem ein Komma zu fetzen
ift. Die Widerwärtigen find die Altgläubigen. Statt
vileicht wird vilmehr zu lefen fein. S. 10 Z. I ift ,vor-
ftellen' der Erklärung bedürftig, noch mehr als Z. 3 ,vor-
lefche'. Denn es paßt in unferem heutigen Sinn nicht
in den Zufammenhang, fondern ift unfer, ,verftellen'. Die
Mißbräuche können fich nicht verftellen, nicht befchönigen
i und entfchuldigen, fobald das Licht des Wortes Gottes
im Mittelpunkt fleht, S. 9 Z. 8 ff. S. 11 Z. 2 ift ,die be-
weren' nicht Hauptwort, fondern Zeitwort, und vorher
ein Komma zu fetzen. Rhegius unterfcheidet 3 Stücke:
I. reden — 2. beweifen — 3. dem Volk einbilden. S. 12
Z. 6 ift ßunder nichts anderes als unfer ,fondern'. S. 14
I Z. 25 L ftatt des finnlofen ,unfent' ,unft rt'. S. 17 Z. 4
ift vorhmert zwifchen erfunden und vorteydigt kaum =
I vermehrt, multißlicata, fondern vermährt, praedicata,
J enarrata. Grimm Vi 1,1624. Schmeller, bayrifches Wörter-
j buch 1, 1635. Zu S. 18 Z. 31 ift Mat. 6,7 zu vergleichen.
S. 21 Z. 1 ift ,In gehen' ficher in der Kopie falfch ge-
lefen, und entweder in geheim oder beffer in gemein.
S. 32 Z. 5 ,fie follen nichts' ift fchärfer zu faffen ,als
{ helfen, nützen, taugen, wert fein'. Anm. 1. Die unge-
j fchickten Prediger fagen: ,Die guten Werke' gehören
nicht in den Kreis der Chriftenpflichten des chriftlichen
| ,du follft', fie find zwecklos, indem fie von dem mittel-
1 alterlichen Begriff der guten Werke ausgehen und dabei
flehen bleiben. S. 44 Z. II 1. ,gedemutigte' oder mit
Abwerfung des Präfixums ,demutigte' (Franke, Grundzüge
der Sprache Luthers S. 205, § 233). Jedenfalls ift
,gemutigte' unhaltbar. S. 44 Anm. 1. ,unvermasget' ftatt
unvermasger. Vgl. 1 Petr. 1,19. Flecken heißen fchwäbifch
Mafen, nicht Mafer. Das Zeitwort ,vermasgen' findet fich
z.B. bei Keßler, Sabbata ed. Egli. S. 53 Anm. 1: ,tröfl-
! liehen' ift nicht Plural, fondern Akkufativ. Vgl. Franke
a. a. O. S. 190 § 211. S. 63 Z. 11 ift ,find' = feid 2. Perf.
PI. nicht Druckfehler, fondern echt fchwäbifch. S. 74 Z. 3
ift das Komma nach Gebet zu tilgen. S. 79 Z. 20 fodder-
' lieh wäre mit rafch, bald zu erklären. Die Feftftellung des
! alten Parifer Magifters und Predigers mit 40 Dienftjahren,
I welcher einen den Frondienft weigernden Bauern gegen-
I über der Äbtiffin von Lindau mit Berufung auf die Freiheit
durch Chriftum verteidigte S. 35 ff., fei den Freunden
| der bayrifchen Kirchengefchichte empfohlen.

Stuttgart. G. Boffert.