Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1908 Nr. 20

Spalte:

562-565

Autor/Hrsg.:

Moeller, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Kirchengeschichte. Dritter Band. Reformation und Gegenreformation. 3., überarb. u. verm. Aufl 1908

Rezensent:

Bossert, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

56!

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 20.

562

namentlich auch Aug. cp. 93, 12 und 105, 9, nicht bloß j
durch die eine ,Petil. II 203fr.', zu erweifen; bei dem ftatt
des bisherigen compages 138, 17 glücklich zu Recht
gebrachten canipagos wäre ein Hinweis auf den Thesaurus
lat. ling. III 208, 13—15 nützlich, freilich find dort gerade
2 Fehler zu verbeffern: c. Parm. 3, 2, 16 in 3, 6, 29 und j
als Lesart von Cafin. m. 2 compagos ft. canipagos. Einige
Male wird im Apparat auch Zufammengehöriges aus- 1
einandergeriffen: unter 109, 21 werden die Varianten zu
faciem dissimulantium, unter 109, 22 die von feriunt notiert, j
während fchon der Text von G (ferunt in faciem simu-
lantium) verrät, daß die drei Worte zufammen mißver-
ftanden worden find; 133, 9—15 liegt ein ähnlicher Fall [
vor. Und über 23, 19 wäre vielleicht felbft das Referat
auf S. XI durchfichtiger und minder heftig ausgefallen j
(stolidc scriptum!), wenn P. nicht über die Entftellungen j
von i/iccrta und die von crimina je für fich gehandelt
hätte, fondern dem Lefer mit etwas mehr Buchftaben
veranfchaulicht hätte, wie das erfte incerta crimina pro
certa pace (durch ein Abweichen des Auges von incerta
auf pro certa und halbe Korrektur des Fehlers) über pro
certa mina (= pro certamina) fich in das allerdings grund-
falfche, aber doch zu verftehende certa crimina p. c. p. j
verwandelte. Die Tilgung von pro war dabei fo wenig •
ftolide wie die Ergänzung von mina zu crimina; nur für
die Reftitution von incerta reichte der Scharffinn nicht
mehr aus. Ähnlich fteht es p. XII, wo P. die Lesart
recentissima liacrcsis erat (113, 8) an Stelle des von ihm
aus D glücklich hergeftellten recentissimae res erant, als
ganz dumme Interpolation ausfchilt; aber in einer gegen
liacrcsis und scliisma eifernden Schrift konnte felbft ein
anfehnlicher Scharffinn das etwa in D ihm vorliegende
cum recentissima eres erant, das er nicht verftand, durch
Ergänzung von is hinter eres und Streichung des n in
erant zu heilen glauben.

Der von Petfch. konftituierte Text wird dem urfprüng- 1
liehen Text Auguftins außerordentlich nahe kommen;
felbft die befte bisherige Ausgabe ift durch ihn antiquiert, j
Für ,dc baptismo' verfügten die Mauriner über vortreff-
liehe Quellen; da hat denn auch P. trotz der Erweiterung I
des Materials nicht allzu viel beffern können. Mehr am |
psalmus, wo indes nach wie vor manches unbefriedigend
bleibt: die p. VII von P. vermutete Ergänzung von 2
Verfen in der Q-Strophe ift wenig einleuchtend, weil man
dafür mehr als 2 Zeilen brauchte. — Um fo glänzender
ift der Gewinn bei der Streitfchrift gegen Parmenian.
Genützt auf 3 Handfchriften des II. und 12. Jhdts., deren
Archetyp aber weit zurück liegt, vermag P. die Rezen-
fion der Mauriner an mehr als 1200 Stellen zu verbeffern
! Auch wenn wir die Kleinigkeiten abziehen,
wie andere Wortftellung, iis ftatt Iiis und dgl., bleibt ein
riefiger Reft, und daß trotzdem noch einzelne Sätze in
dem ohnehin nicht forgfältig ftilifierten Buche Auguftins j
rätfelhaft klingen, ift kein Vorwurf für Petfchenig. S. 130,
6—13 fcheint mir z. B. unerträglich, auch 133, 10—15
noch nicht endgültig geordnet. Wenn Petfch. 40, 23
gegen das beftbezeugte pro/errentur ein proferebantur in
den Text fetzt, follte er erft recht mit P 132, 7 separa-
bat dem separaret in B. 24, 20 communicabat dem com-
municaret der Handfchriften vorziehen; hier Rheinen kontrahierte
Formen (daher auch das Schwanken in der
bellen Gruppe zwifchen quae, quod, quia, quam) eines
alten Manufkripts falfch aufgelöft werden zu fein. Im
wefentlichen darf das, was Petfch. hier zuftande gebracht
hat, eine Wiederherftellung des Urtextes heißen.
Gleichwohl halte ich die ftrengen Worte für nicht gerechtfertigt
, mit denen P., fonft aller Polemik gegen feine
Vorgänger abgeneigt, die Leiftung auch der Mauriner I
auf S. VI beifeite fchiebt. Daß ihre Ausgabe modernen 1
Anfprüchen nicht genügt, ift felbftverftändlich, aber den
Vorwurf mangelnder diligentia hätte ich ihnen erfpart.
P. hat, wie es fcheint, ihre Anmerkungen gar nicht beachtet
und fich nicht erinnert, aus welchem Grunde fie

vieles, was fie als richtig erkannten, nur unter dem Text
publizieren durften. In mindeftens 100 Fällen fteht dort
das Richtige, bisweilen, z. B. 109, 21 haben die Mauriner
den durch Petfchenigs neue Handfchriftenfunde entdeckten
Text fchon als Konjektur vorgefchlagen. Es find auch
nicht immer bloß wertlofe Varianten oder Interpolationen,
die man aus ihren Noten kennen lernt, während fie im
Apparat der Wiener Ausgabe keinen Platz erhalten haben.
Mag diefe für die Herftellung des Textes nahezu ab-
fchließende Arbeit darfteilen, für die Gefchichte feiner
Überlieferung, die bei Auguftins Werken auch ein großes
Intereffe verdient, konnte fie mehr leiften. Daß Petfch.
die Randgloffen beim cod. K (6. Jhdt.l) von de bapt. als
völlig wertlos S. XIV fortgelaffen hat, bedaure ich, weil
er fchon S. XV berichten muß, daß er eine diefer Gloffen
als Textftück im cod. Sangallensis (9. Jhdts.) wiedergefunden
habe: follten bei ftark interpolierten Texten uns
folche Gloffen nicht öfter zur Herftellung von Verbindungslinien
dienen können?

Mich wundert endlich, daß P. der Verfuchung wider-
ftanden hat, die Handfchriften für c. epist. Parm. voll-
ftändiger zu unterfuchen und ihre Familienverhältniffe
aufzuklären. Daß der Casinensis 167 zur interpolierten
Gruppe EFGHI (= «) gehöre, würde ich aus Reiffer-
fcheids BPLI nicht erfehen; und auch bei anderen gleichaltrigen
oder etwas jüngeren hätte ich an ein paar charak-
teriftifchen Stellen nachgeprüft, ob fie allein von dem
für die Gruppe a (fchon bloß durch die falfche Stellung
des Satzes 24, 25—27) geficherten Archetyp abhängen
oder wie M daneben aus anderer Quelle fchöpfen. Ganz
ausgefchloffen ift Petfchenigs Idee (S.XII), wo die übrigen
Manufkripte, felbft P (und M), befferes als D böten,
hätten fie das durch Konjektur gefunden. Als ob die
von Petfchenig vor der Einlieferung der P-M-Kolla-
tionen konjizierten und dann durch diefe beftätigten
Verbefferungen des Textes von D auch fchon einem
mittelalterlichen Schreiber gelungen fein müßten! Nein,
wie bei M die Kontamination einer a Handfchrift (f. z. B.
41, 13f. die Auslaffungl) mit einer P verwandten auf der
Hand liegt, fo hat P z. B. 40, 19 die von D M ausge-
laffenen beiden Worte ,ct tenerent' nicht erraten, fondern
aus einer hier gegenüber D vollftändigeren Vorlage ge-
fchöpft. Und über die Entftehungsgründe der Interpolationen
' in « belehren uns Stellen wie 42, 5; 27, 28; 62, 22.
Der Schreiber des Archetyps verftand den Text nicht,
der in einer liederlich gefchriebenen und vielfach lückenhaften
Handfchrift vorlag: die Interpolationen find meiftens
ungefchickte Verfuche, ihn halbwegs lesbar zu machen.
Marburg. Ad. Jülicher.

Moeller, f ord. Prof. Dr. Wilhelm, Lehrbuch der Kirchen-
gefchichte. Dritter Band. Reformation und Gegenreformation
, bearbeitet von Konfift.-Rat Prof. Dr.
Guftav Kawerau. Dritte überarbeitete und vermehrte
Auflage. (Sammlung theologifcher Lehrbücher.) Tübingen
, J. C. B. Mohr 1907. (XVI, 496 S.) gr. 8°

M. 11 —; geb. M. 13.50
Nach heben Jahren tritt das allfeitig in feinem Wert
anerkannte Lehrbuch der Kirchengefchichte III. Band-
Reformation und Gegenreformation von G. Kawerau in
dritter Auflage in die Öffentlichkeit, während die zweite
Auflage fchon nach 5 Jahren (1899) der erften (1894)
gefolgt war. Der größere Zeitraum war für das Buch
felbft ein großer Gewinn, denn gerade in den letzten 7
Jahren war auf dem Gebiet der Reformationsgefchichte
ungemein viel gearbeitet worden. Dazu waren tief ein-
fchneidende Fragen auf der einen Seite durch Denifles
Luther und Luthertum, auf der andern Seite durch
lroltfch und Barge angeregt, die ihre gründliche Beantwortung
forderten. Hier galt es ebenfo nüchtern prüfen
wie klar und entfehieden den evangelifchen Standpunkt

**