Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1908 Nr. 1

Spalte:

540-542

Autor/Hrsg.:

Schiele, Friedrich Michael

Titel/Untertitel:

Die Reformation des Klosters Schlüchtern 1908

Rezensent:

Köhler, Walther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

539 Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 19. • 540

reife dar und zeigt die mannigfachen Spuren des Luthertums
in dem nach dem gefcheiterten Reformationsverfuch
Hermanns von Wied dem Katholizismus wieder zugeführten
Gebiete. Stenger gibt die fogenannte ,Darftellung
der Evangelifchen' etwa aus dem Jahre 1670, verfaßt von
Henrich ßeurhaus, wieder, die auf Grund beigefügter
wichtiger Urkunden die Anfprüche der Lutheraner an
die Kirche Mengede zu beweifen verfucht. Hoffentlich
bringt der nächfte Jahrgang des Jahrbuchs' nun auch
die von dem Propfte zu Scheda verfaßte entfprechende
,Darftellung der Katholifchen'. Ein wertvolles Zeugnis
dafür, in welchem Umfange des Proteftantismus in der
Diözefe Münfter am Ausgange des 17. Jahrhunderts noch
vorhanden gewefen ift, iß der von Eickhoff (IX S. 203 ff.)
mitgeteilte Bericht des Suffraganbifchofs Nikolaus von
Titiopolis, der in den Jahren 1680—1683 im Auftrage des
Bifchofs eine eingehende Vifitation der Uiözefe abgehalten
hatte. Mehrere Artikel führen ins 18. Jahrhundert. Zu-
nächft gehören hierher die interelfanten Notizen über 1717
und 1730 in der Graffchaft Mark abgehaltene Reformationsjubiläen
aus E. Salv. Cyprians Hilaria evangelica,
Gotha 1719, und Rademachers Diarium, mitgeteilt von
Niemöller und dem Herausgeber des Jahrbuchs' (X S.
121 ff.). Einen höchfl inßruktivn Beitrag zur ,Gefchichte
der Schule in der Mark im 18. Jahrhundert' bietet Stenger
(IX 'S. I9ff.). Er zeigt die Sorge der märkifchen Synode
um das Schulwefen und orientiert über die Lehrergehälter,
über die Begründung des erlten Lehrerfeminars für Rheinland
und Weßfalen in Wefel im Jahre 1783, über den
Einfluß der Aufklärung auf Schule und Lehrerfchaft, über
Schulbücher und Lehrmittel und wirft auch auf die Ver-
hältniffe der Duisburger Hochfchule einen Blick. Mofers
Artikel (IX S. 56fr.) über Joh. Moritz Schwager, Pfarrer
in Jöllenbeck (geft. 1804) zeigt uns den Hexenwahn des
18. Jahrhunderts. Im wefentlichen gibt er Referate aus
drei Schriften Schwagers, aus ,Beitrag zur Gefchichte
der Intoleranz oder Leben, Meinungen und Schickfale
des reformierten Predigers in Amfterdam Balth. Bekker',
Leipz. 1780; aus: ,D. B. Bekkers Bezauberte Welt', 1781,
und ,Verfuch einer Gefchichte der Hexenprozeffe', Berlin
1784. Dem Jahre 1807 gehören zwei Artikel Schumachers
zur Gefchichte Höxters bezw. des Fürftentums Corvey
an, über Unruhen gelegentlich der Einführung des Ber-
gifchen Gefangbuchs in der Zwifchenzeit zwifchen der
Regierung des Prinzen Wilh. Friedrich von Oranien und
des Königs Jerome Napoleon (IX S. 40ff.) und über einen
beim Regierungsantritt des letzteren angeordneten Dank-
gottesdienft (X S. 159 ff.). Endlich werden wir auch in
die allerneueße Zeit geführt, da laut Befchluffes der Ver-
fammlung des Vereins im Jahre 1906 in Zukunft alljährlich
eine Chronik der kirchlichen Verhältniffe in Weftfalen
über das letztvergangene Jahr gegeben werden foll. Die
vorliegenden Jahrgänge des Jahrbuchs' enthalten die
Chroniken der Jahre 1905 (IX S. 2i8ff.) und 1906 (X S.
162fr.) und berichten über die kirchlichen Behörden, die
Gemeinden, die kirchlichen Vereine, die kirchliche Preffe,
über kirchliche Verfammlungen und Felle, über Schenkungen
und Vermächtniffe und den Ertrag der Kollekten:
eine dankenswerte Einrichtung, die andere ähnliche Vereine
(ich vielleicht zum Vorbild nehmen.

Über weitere Zeiträume führen die Gefchichten einiger
Gemeinden und Kirchen, nämlich des Kirchfpiels Röding-
haufen vom Herausgeber, Paftor Rothert in Soeft, des
Kirchfpiels Hörfte von Möller (X S. 34fr. und 150fr.) und
der Hauskirche auf Bockel, Kirchfpiel Bünde (IX S. I ff.).
Nicht klar wird, weshalb die Gefchichte der Familie von
Strünckede vom Reg.-Affeffor Dr. Rothert (IX S. 55 fr.) im
Jahrbuch des Vereins für Kirchengefchichte Weftfalens
Aufnahme gefunden hat.

Niederfachswerfen a. Harz. Ferdinand Cohrs.

Schiele, D. Friedrich Michael, Die Reformation des Klolters

Schlüchtern. Tübingen, J. C. B. Mohr 1907. (VII, 141 S.)
gr. 8° M. 4.50

Seine Lehrtätigkeit am Schlüchterner Seminar hatte
Schiele fich mit der Gefchichte des dortigen Kloßers
befchäftigen laffen, in der ,Chrißl. Welt' 1899 legte er
einen Aufriß feiner Studien nieder, dem jetzt das ausgemalte
Bild folgt, foweit an der Pland der Akten hier ein
Abfchluß überhaupt z. Z. möglich war (f. das Vorwort).
Kloßer Schlüchtern geht wohl bis in die Karolingerzeiten
zurück, es ßand unter Würzburger Lehnshoheit. Bedeut-
! fam für die weitere Entwicklung wird das Fußfaffen
Hanaus in Schlüchtern im 14 Jahrhundert, die Befitzver-
hältniffe find im einzelnen fehr verwickelt (f. S. 5 ff.), für
I die weitere Entwicklung in der Reformationszeit kommen
aber nur in F"rage Würzburg und Hanau, die geißliche
und weltliche Macht, deren Reibung an einander die Gefchichte
von Kloßer Schlüchtern bedingt. Hanau zieht
gegen Ausgang des Mittelalters die Zügel immer ßraffer
an, es verpflichtet fich feit 1457 die Schlüchtener Äbte
durch eine die Abhängigkeit ins klarße Licht ßellende
Formel. Und im ganzen Amt Schlüchtern hat Hanau
1 zuBeginn des iö.Jahrhunderts ausfchließlich die Huldigung.
Um fo fchwieriger wird die Frage der Rechtsabgrenzung
zwifchen Hanau und Würzburg. Die Abtwahl im Kloßer
z. B. gefchieht unter Leitung eines Hanauifchen Amt-
; manns, die Beßätigung des Gewählten aber hat der
Bifchof; der Abt hat in Schi, eigene Gerichtsbarkeit,
! aber Hanau beauffichtigt fie, und die vom Abte gewählten
J Beamten find Hanauifche; dann wieder hat der Abt
Gebühren nach Würzburg zu zahlen, aber Hanau ver-
1 drängt Würzburg z. T. auch hier. Feß und ficher waren
die Verhältniffe aber alle nicht, Gelegenheit zu ,Irrung
j und Mißverßand' gab es genug. Und wenn nun die
beiden Rivalen Würzburg und Hanau aneinander ge-
' rieten, fo ßand für das Kloßer die Prognofe fo: .nützt
I das Kloßer die Doppelßellung (zwifchen Würzburg und
Hanau) gefchickt aus, läßt es dort den Bifchof befürchten,
| daß er Rechte an den Grafen verliert, und hält es hier
| die Begehrlichkeit des Grafen durch die Sorge, daß er
Gerechtfame an den Bifchof einbüßen könne, im Zaum,
j fo kann es fich gerade in unfichern Zeiten eine gewiffe
Selbßändigkeit bewahren' (S. 22). Solche unficheren
Zeiten bringt das Eindringen der Reformation.

Seit 1523/24 mit der Anßellung des Magißers Adolf
! Arbogaß zum Pfarrherren von Hanau beginnt hier die
I Evangeliumspredigt, Hanau fchützt das im Bauernaufruhr
| arg mitgenommene Schlüchterner Klofler nach Kräften.
I Im Kloßer aber übernimmt jetzt die Führung der junge
Pfarrer Peter Lötz (Lotichius), 1501 geboren, deffen Autobiographie
wichtigße Quelle wird für die Schlüchterner
Gefchichte. Sein erßes Ziel iß: Erfatz fchaffen für den aus-
' ßerbenden Konvent, er verbindet damit den großen Plan
einer klößerlichen Erziehungsanflalt. 1534 zum Abt gewählt
, fchreitet er zur Ausführung. Er will eigene Kloßer-
pfarrer heranziehen. Es gelingt, durch den Erfurter
Johannes Femel humanißifchen Geiß in die Kloßerreform
hineinzutragen, die alten Formen der Benediktinerregel
werden beibehalten, aber ihr Inhalt modernifiert, neben
| dem Studium der Theologie wird auch eine Schule nach
forgfamem Lehrplane (S. 60 ff.) eingerichtet. Aber das
j ganze Werk iß überaus fchwierig. Nicht nur daß Lehrer
und Schüler zu wünfchen übrig laffen, rechtlich ergab
I fich das Problem, die für den Pfarrdienfl notwendige Ordi-
I ration der Zöglinge zu erzielen, ohne durch Würzburg
das ganze Werk gefährden zu laffen; es gelingt unter
Anwendung des fogen. titulus mensalis. Sehr hübfch
zeigt Sch., wie die Reformbeßrebung des Lotichius auch
in den Gang der großen Politik hineingezogen wird bez.
der Abt ihn zu nutzen weiß. Die Vermittlungsbeßrebungen
zwifchen den konfeffionellen Gegenfätzen find ihm,
der nur durch beßändiges Lavieren fein Schifflein weiter