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Ausgabe:

1908 Nr. 18

Spalte:

518-519

Autor/Hrsg.:

Eckart, Rudolf (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Hundert Stimmen aus vier Jahrhunderten über den Jesuitenorden. 2 Bde 1908

Rezensent:

Bruckner, Albert

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Seite 1, Seite 2

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 18

518

einem Bericht des heffifchen Kanzlers Vigelius aus dem [
letzten Viertel des Jahres 1629 an den Landgrafen Georg II.
die Exifienz eines Vorentvvurfs der Reformatio beflätigt
zu finden (z. T. abgedruckt S. 125 fr.). Freilich gibt Vigelius
nur die Überfchriften der dem Entwurf angehörenden
Kapitel an, aber felbft bei vorfichligfter Abwägung laffen
diefe immerhin eine ganze Reihe wohl kreditierter Vermutungen
zu. Das bleibt allerdings bei Friedrich unklar,
ob die von ihm entwickelte Quellenfcheidung, die er vornimmt
, bevor er über die Auffindung des Vorentwurfs
berichtet, auch wirklich vorher fchon — in ihren Grundzügen
wenigllens — fich ihm ergeben hat, oder ob fie
nicht vielmehr durch den Vorentwurf ihm fortwährend
geftützt worden ift. In letzterem Falle hätte ich auch den 1
umgekehrten Weg der Datttellung gewählt.

In der jetzt vorliegenden Ordnung würden die Kapitel
des Vorentwurfs den Kapiteln I—3, 5 —Ii, 13, 14,
]6—19, 21 und 34 entfprechen, d. h. den prinzipiellen
Sätzen über den cultus Dci und über das Predigtamt,
fowie den Beflimmungen über das Abendmahl, über das
Gebet, die Schriftlefung und die Gelänge, über die Beichte,
den Gebrauch des Faftens, über die Fefle, die Bilder, die
Weihungen, die Taufe, den Ehefland und das Begräbnis,
über den Bann und die Abfolution, die jährliche Synode
und die Wahl der Vifitatoren, über die Ordination und
endlich über Mönche und Klöfler. Sieht man von den
Kapiteln 16—19 und 21 ab, fo tragen alle jene Kapitel
auch in der heutigen Ordnung noch fo fehr lutherifch.es 1
Gepräge, verbunden nur mit dem praktifch gerichteten i
evangelifchen Chriflentum Philipps von Heffen, daß
Friedrichs Hypothefe, der Vorentwurf fei eine der fäch- j
(ifchen Reformation eng verwandte Kirchenordnung Philipps
und feiner Räte noch ohne jede Einwirkung Lamberts
gewefen, ohne weiteres einleuchtet. So zeigt z. B. nach !
der leidenfchaftlich gehaltenen Einleitung, die jedenfalls
Lambert angehört, das i. Kapitel die ruhige Sachlichkeit I
der lutherifchen Kirchenordnungen, wird in echt Lutherfcher
Weife das Predigtamt das regimeji ecclesiae genannt
(Friedrich a. a. O. S. 16 Anm. 38) und vom Abendmahl I
durchaus lutherifch gelehrt.

Von den übrigen Kapiteln fcheidet fodann Friedrich
die Kapitel 12 {De infirmortim visitatione) und 27—33
{De otiosis, vagis et falsis fratribus; De peregrinis et
exulibus fratribus; De universali studio Marburgensi;
De scholis puerorum; De scholis puellarum; Pro studiosis 1
pauperibus; De Beueficiatis), alfo, wie Friedrich es ausdrückt
, fozial- und fchulpolitifchen Inhalts, als eine zweite
befondere Gruppe aus: da fie eine genaue Kenntnis
heffifcher Verhältniffe vorausfetzten, fo mache das ihre
Abfaffung durch Lambert unmöglich, der erft ganz kürzlich
nach Heffen gekommen war.

Die dritte Gruppe aber, die Kapitel 4 und 15—26,
verbleiben dann als des letzteren Eigentum. Dabei bilden
die Kapitel 16—26 im ganzen nur Umarbeitungen und
z. T. weitere Ausführungen der entfprechenden Kapitel
(der oben ausgefchiedenen 16 — 19 und 2l) des Vorentwurfs
; ganz neu aber ift das bedeutfame Kapitel 15, das
gerade die Regeln für die zu bildende Gemeinde der
Auserwählten enthält. Daß alfo die abfonderlichen Züge
der Reformatio gerade auf Lambert zurückgehen, hat
durch die Unterfuchungen Friedrichs eine neue Stütze
erhalten, wenn auch die Fragen noch offen bleiben, was
in feiner Entwickelung Lambert vor allem zu diefen Vor-
fchlägen mag beftimmt haben, und ob er fich vielleicht
hierbei von anderen in befonderer Weife hat leiten laffen. j

Und auch fonft bleiben im einzelnen noch manche ,
Fragen ohne befriedigende Klärung, z. B. die Herkunft
der Kapitel, die fich nicht ohne weiteres einer gefchloffenen
Gruppe angliedern, wie Kap. 4 und 12 (vgl. S. 33 Anm. 1
u. S. 54). Solche Schwierigkeiten werden vielleicht fchon
eher lieh löfen laffen, wenn zu den Überfchriften des
Vorentwurfs diefer felbft noch einmal follte aufgefunden
werden; bisher find alle Nachforfchungen vergeblich ge- I

wefen (f. S. 70 Anm. 1). Im ganzen find aber Friedrichs
Ausführungen über die Zufammenfetzung der Reformatio
überzeugend, vorausgefetzt, daß die gegen die Authen-
tie der Vigeliusfchen Nachrichten erhobenen Bedenken
(f. S. 67 Anm. 4) hinfällig find, was ich bisher unbedingt
annehme.

Nicht fo einleuchtend aber, wie die Quellenfcheidung,
will mir die mit ihr Hand in Hand gehende zeitliche
Fixierung der einzelnen Schichten der Reformatio er-
fcheinen. Friedrich konfluiert fie fo: der Synode von
Homberg fei am 20. Oktober 1526 der Vorentwurf vorgelegt
und am gleichen Tage von ihr angenommen worden.
Auf Grund der auf der Synode am zweiten und dritten Tage
ftattgefundenen Disputationen fei der Vorentwurf dann
von Lambert umgearbeitet und in diefer Geftalt Luther
überfandt worden; nach deffen Ablehnung fei die Ordnung
von Philipp und feinen Räten felbft einer weiteren
Umarbeitung unterzogen und um die letzten Kapitel
vermehrt worden, und fo — früheftens Ende 1526 — fei
die Reformatio entftanden, die uns heute vorliege.

Ohne weiteres fcheint der letzte Termin mir noch
erheblich heruntergerückt werden zu müffen, oder die
von Friedrich angenommene Revifion durch Philipp und
feine Räte muß unabhängig von Luthers Warnungsfehreiben
vorgenommen fein, denn diefes datiert doch
erft vom 7. Januar 1527. Aber überhaupt fchwebt mir
hier alles zu fehr in der Luft, da die urkundlichen Handhaben
fo gut wie ganz fehlen, während für die Quellenfcheidung
in dem Schema des Vorentwurfs doch eine
fichere Grundlage vorhanden ift. Es foll aber auch noch
ausdrücklich ausgefprochen werden, daß der Herr Ver-
faffer fich durchaus nicht den hier beftehenden Unficher-
heiten gegenüber verfchließt, vielmehr an das Ende feines
Buches deutlich ein doppeltes Non liqitet fetzt.

Beigegeben ift (S. 79 ff.) ein revidierter Text der
Reformatio, wie ihn Friedrich in feiner Differtation von
1894 S. 38 fchon in Ausficht geftellt hatte.

Ohne Zweifel trägt das Buch zur ferneren Kläruno-
der aufgeworfenen Fragen Bedeutfames bei und hätte
nicht die fpäte Anzeige verdient, die ich ihm habe zuteil
werden laffen. Ift fie auch nicht beabfichtigt gewefen,
fo möchte ich doch den Herrn Verfaffer ihretwegen
noch ausdrücklich um Entfchuldigung bitten.

Niederfachswerfen a. Harz. Ferdinand Cohrs.

Hundert Stimmen aus vier Jahrhunderten über den lehnten-
Orden. Gefammelt und herausgegeben von Rudolf
Eckart. 2 Bände. Leipzig, G. H. Wigand's Verlag
(1908). gr. 80 M. 5 —

I. Band. Der Jefuitenorden im evangelifchen Urteil. (VIII
192 S.) — 2. Band. Der Jefuitenorden im katholi fchen Urteil
(VIII, 164 S.)

Mit diefen beiden Bändchen will der Verfaffer
namentlich das katholifche Deutfchland zum Auffehen
mahnen gegenüber der Gefahr, die die Rückkehr der
Jefuiten für das Gedeihen des deutfehen Vaterlandes
bedeutet, damit der gefährliche Orden fobald als möglich
wieder ausgewiefen werde. Da es unter dem evangelifchen
wie katholifchen Volke Taufende gibt, die den
Orden und feine verderbliche Wirksamkeit nicht oder
nur von flüchtigem Hörenfagen kennen, ift eine folche
Publikation, die die fchärfften und erbittet tften Ausfagen
von Proteftanten und Katholiken über den Orden in
gutem Druck und überfichtlicher alphabetifcher Anordnung
zufammenftellr, erfreulich und nützlich; aber man
wird fich bei der Lektüre der beiden Bändchen doch
flets gegenwärtig halten müffen, daß wir es hier mit einer
tendenziöfen Auswahl zu tun haben, die uns kein völlig
objektives Bild von dem vielgehaßten, aber auch viel-
gepriefenen Orden darbietet. Das erfte Bändchen enthält
54 evangelifche, das z werte 46" katholifche Stimmen.