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Ausgabe:

1908 Nr. 18

Spalte:

513-514

Autor/Hrsg.:

Strack, Hermann L.

Titel/Untertitel:

Die fünfte Ordnung des palästinischen Talmuds und S. Friedländer in Szatmárhegy 1908

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 18.

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ihr für einen Dank' ftatt Weizfäckers ,was ifts mit euerm
Guten'. Zuweilen handelt es fich bei folchen Abweichungen
auch nur um engeren Anfchluß an den deutfchen
Satzbau, z. B. Matth. 2,9 ,Da Tie aber' ftatt ,Sie aber, da'.
Ich habe zahlreiche Stichproben durch das ganze Werk
vorgenommen und folche, gewöhnlich im Intereffe des
fynoptifchen Zweckes bewerkflelligte, Änderungen niemals
unmotiviert, ftets aber die peinliche Sorgfalt bei
Herftellung eines guten deutfchen Textes bezeugend gefunden
. Befonders werden jene Kreife, für die die ,reli-
gionsgelchichtlichen Volksbücher' und die ,Lebensfragen'
benimmt find, es an dem gebührenden Dank dafür nicht
fehlen laffen, daß fie fich mit diefem Buch in der Hand
felbftändig und mit eigenem Urteil auf dem Gebiet der
Evangelienforfchung bewegen können.

Baden. H. Holtzmann.

Die fünfte Ordnung des paläftinifchen Talmuds

und

S. Friedländer in Szatmärhegy.

In Nr. 5 des Jahrgangs 1907 habe ich kurz berichtet,
was der Rabbiner S. Friedländer in Szatmärhegy über
das Daß und das Wie der Auffindung der bisher verloren
geglaubten 5. Ordnung des Paläftinifchen Talmuds
veröffentlicht hat. Die Tatfachen, daß fo hervorragende
Talmudkenner wie Salomo Buber (der zu den Fremdwörtern
eine in Friedländers Buche gedruckte Erläuterung
gefchrieben hat) und S. Schechter (der mit Fr. wegen
Ankaufs des Manufkripts unterhandelt hat) an die Echtheit
glaubten, ließen mich die Zweifel, zu denen der
romantifche Bericht Fr.s anregte, zurückdrängen. So unerquicklich
es nun ift, fich mit Fälfchungen befchäftigen
zu müffen (ich war fchon vor 35 Jahren in Rußland in
diefer Notwendigkeit: Abr. Firkowitfch), halte ich es
doch für Pflicht, hierdurch zu erklären, daß die von S. Fr.
erregten Hoffnungen als unhaltbar zu betrachten find.

Als von vertrauenswürdiger Seite über die Perfönlich-
keit Fr.s Unerfreuliches mir mitgeteilt wurde, hielt ich
es für das Befte, direkt an Fr. mich zu wenden. Ich
forderte ihn auf, dafür zu forgen, daß die Handfchrift,
wenn nicht in Berlin, fo doch in Budapeft (Szatmärhegy
liegt in Ungarn) oder in Konftantinopel (der Befitzer lebte
nach den Angaben Fr.s in der europäifchen Türkei)
einigen philologifch gefchulten und europäifch gebildeten
Gelehrten zur Prüfung vorgelegt werde. Ich verpflichtete
mich, dahin zu wirken, daß die erforderlichen
Mittel zur Verfügung geftellt würden, und erklärte mich
bereit, felbft einen Beitrag zu diefem Zweck zu geben.
Die Art, wie Herr Friedländer einer Prüfung fowohl des
angeblichen Originalmanufkripts als auch der Abfchriften
(einer angeblich alten und feiner eignen) auswich, ver-
ftärkte den Verdacht. Und jetzt kann wohl kein Zweifel
mehr fein, daß der veröffentlichte Text der Traktate
Chullin und Bekhoroth nicht ein bisher unbekanntes
Stück des paläftinifchen Talmuds ift, fondern großenteils
Excerpte aus den ftets bekannt gewefenen Teilen diefes
Talmuds enthält. Woher der Reff flammt und ob Friedländer
felbft alles gefalfcht hat oder (fo meinen tüchtige
jüdifche Gelehrte, welche die .Entdeckung' als folche
preisgegeben haben) irgendwie in feinen Befitz gelangte
Kollektaneen benutzt hat, ift für uns ziemlich gleichgültig
. Gegen Friedländer fchrieben namentlich B. Ratner
(in der hebräifchen Wochenfchrift Ha'olam, Köln 1907),
der Oberrabbiner Ritter in Rotterdam (in: Der Israelit,
Mainz 1907, Nr. 25. 27. 29. 31. 33. 35. 44. 46 undt 1908,
Nr. 6; ferner in der hebr. Wochenfchrift Ha-qol Ja aqob,
Warfchau 1908), und Prof. Wilh. Bacher (in der neuen
Vierteljahrsfchrift Hakedem mpn 1907). Bacher beab-
fichtigte keine Beftreitung, fondern verglich einfach den
Inhalt des neuen Textes mit dem bekannten, und dabei
zeigte fich einerfeits eine auffällige Menge wörtlicher oder
faft wörtlicher Übereinflimmungen, andrerfeits manches

I fprachlich Anftößige. Ich habe daher in der im Druck
| faft vollendeten Neubearbeitung meiner ,Einleitung in den

Talmud'(Leipzig, J. C. Hinrichs) die Angaben Friedländers

als unglaubwürdig betrachtet.

Großlichterfelde W. Hermann L. Strack.

Knieb, Philipp, Gelchichte der katholifchen Kirche in der
freien Reichstädt Mühlhaufen in Thüringen von 1525—1629.

Nach archivalifchen und anderen Quellen bearbeitet.
(Erläuterungen und Ergänzungen zu Janffens Gefchichte
des deutfchen Volkes, Herausgegeben von Ludwig
Paftor. V. Band, 5. Heft.) Freiburg i. B., Herder 1907.
(XIV, 151 S.) gr. 80 M. 3.30

Knieb gibt eine fleißige, aus gründlicher Durchfor-
fchung der Archive in Mühlhaufen, Dresden, Magdeburg,
Marburg, Weimar und Wien und einer handfchriftlichen
Chronik gefchöpfte Darfitellung der katholifchen Kirche
in Mühlhaufen von 1525—1629 und bemüht fich fichtlich,
objektiv zu bleiben.

Er will zur Widerlegung der Anfchauung, ,daß die
neue Lehre vom Volk mit offenen Armen, ja mit Jubel
und Frohlocken aufgenommen worden fei', an Mühlhaufen
zeigen, daß das Volk durch Gewaltmaßregeln der Purften
von der katholifchen Kirche losgeriffen und dem Prote-
| ftantismus zugeführt worden ift. Er hat deswegen auch
j die Zeit bis 1525 nur im Eingang behandelt. Denn fie
war die gründlichfte Widerlegung feiner Thefe.

Am Anfange des Bauernkrieges war Mühlhaufen
j völlig von der alten Kirche losgeriffen, die letzten kath.
Priefter waren Ende Febr. 1525 vertrieben (S. 6), ohne
daß irgendwie fürftliche Gewalt etwas dazu beigetragen
hätte. Wie war es möglich, daß Heinrich Pfeiffer und
Thomas Münzer die anfehnliche Stadt fo ganz in die Gewalt
eines ftürmifch reformatorifchen Geiftes bringen konnten?
Knieb gefteht uns, ,der Welt- und Ordensklerus hatte fich
I die Unzufriedenheit, teilweife fogar den Haß und die Verachtung
des Volkes zugezogen'. ,Dazu kam, daß die
I Deutfchordenspriefter' — die beiden Pfarrkirchen gehörten
I dem Deutfehorden — ,fich der Seelforge wenig annahmen,
daß fie insbefondere das Predigtamt andern Prieftcrn überließen
, weil fie felbft nicht fähig waren, es zu verwalten.
Noch fchlimmer wirkte der Mißbrauch der geifflichen
Gewalt und das fittenlofe Leben vieler Priefter und Ordensleute
, für welches der ganze Stand verantwortlich gemacht
wurde'. So zu lefen auf S. 3 u. 4, wo auch draftifche
Beifpiele für den tiefen Stand des Pflichtbewußtfeins
der Geiftlichkeit und den argen Verfall der Klofterzucht
gegeben find. Dabei überfah Knieb, daß der Haß des
Volkes gerade in den Gebieten des Deutfehordens aufs
heftigfte entbrannte. 1525 hören wir den Deutfchordens-
kommentur zu Mergentheim klagen, niemand fei hitziger
| den Orden zu fchädigen, als die eigenen Leute. (Öchsle,
j Beiträge zur Gefchichte des Bauernkrieges in den fchwä-
| bifchfränkifchen Grenzlanden, ein treffliches, heute noch
unentbehrliches Buch, S. 139.) Auch in der Gegend von
Heilbronn waren die Deutfchordensleute die wütendften
1 Gegner der Geiftlichkeit und die wilderten Aufrührer,
deren Lofung war ,die Geiftlichkeit (trafen'. Es kann
nicht überrafchen, daß die katholifche Kirche von Muhlhaufen
1524/25 aller Widerftandsfähigkeit und Lebens-
| Fähigkeit entbehrte, da die Hüter derfelben gar nicht
i geeignet waren, fie zu fchützen. Der entartete Deutfehorden
hatte 2 Komtureien in der Stadt!

Nach der Schlacht von Frankenhaufen wurde der
Katholizismus reftauriert und der Proteftantismus unterdrückt
. Wie ging das zu? Knieb fcheint feinen Spruch
von Gewaltmaßregeln der Fürften, welche das Volk dem
Proteftantismus zuführten, ganz vergeffen zu haben, als
er in der offenherzigften Weife fchilderte, wie Herzog Georg
von Sachfen mit Gewalt das alte Wefen wiederherftellte
und bis zu feinem Tod aufrecht hielt, obwohl er nur einer

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