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Ausgabe:

1908 Nr. 16

Spalte:

473-477

Autor/Hrsg.:

Strehle, F.

Titel/Untertitel:

Der metaphysische Monismus. Christentum und Zeitgeist 1908

Rezensent:

Rolffs, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 16.

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reiche Belege genützt: diefe füllen faft die Hälfte des
Buchs aus. Allerdings wird der aufmerkfame Lefer an
mehr als einer Stelle nutzen. Man wird beifpielsweife
fragen dürfen, ob die Behauptung, ,daß nur das Diesfeits
der Ort der Gerechtigkeit fei' (S. 37 f.), ausreichend fundiert
ift: es liegen doch unleugbar bei dem deutfchen Philo-
fophen anders orientierte Vorftellungsreihen vor. Man
wird in Zweifel ziehen können, ob die an dem fogenannten
,apofteriorifchen' Beweis geübte Kritik (S. 58 ff.) wirklich
in dem Grade nach Leibniz' Sinn ift, wie es aus der
Schrift hervorzugehen fcheint. Doch foll auf dergleichen
Einzelheiten und andere nicht zu viel Gewicht gelegt
werden. Man tut beffer, einfach einzuräumen: die Leib-
nizfche Religionsphilofophie läßt fich am Ende auf Grund
des herangezogenen Materials fo kennzeichnen, wie es
hier gefchieht. Aber ift darum die Befchreibung auch
wirklich befriedigend? Es ift ja möglich, durch eine
künftliche Konzentration der Beleuchtung einen Gegen-
ftand, ohne ihn felbft zu verändern, doch ganz anders
erfcheinen zu laffen, als er tatfächlich befchaffen ift.
Aber ift das ein Gewinn? Wir haben nur ein mäßiges

Geiftes etwa in der Weife an fich, in welcher die Einrichtung
eines Haufes den Charakter feiner Bewohner
widerfpiegelt oder ein Kunftwerk die Gedanken des
Meifters enthüllt' (S. 66). Eine befondere Stellung nimmt
der Menfch in der Natur ein. Für ihn ,genügt der allgemeine
Schöpfungsgeift Gottes nicht; er ift dazu befähigt
und benimmt, mit dem perfönlichen Lebensgeift Gottes
in Gemeinfchaft zu treten' (S. 67). ,Von Gott geht
jener allgemeine Schöpfungsgeift aus, zu dem der Menfch
als Naturwefen Beziehung hat. Aber auch der perfön-
liche Lebensgeift Gottes ift dem Menfchen erfchloffen'
(S. 68). Allerdings erfchließt er fich ihm nicht durch das
diskurfive Denken — die pantheiftilchen und deiftifchen
Philofophen arbeiten unbewußt mit dem Anfchauungs-
material der chriftlichen Überlieferung, — fondern durch
die Offenbarung in der Perfönlichkeit und dem Werk
Chrifti.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Strehle, der
feinen metaphyfifchen Monismus wiederholt (S. 93. 98)
als ,die in ein wiffenfchaftliches Syftem gebrachte Gotteslehre
der heiligen Schrift' bezeichnet. Allerdings zeichnet

Intereffe an der einfeitigen Herausarbeitung einzelner ! fich feine Beweisführung vor der Lubenows, den er an

Ideengänge Leibniz', die für die Gegenwart vielleicht
befonders anziehend find; viel wichtiger ift uns zu erfahren,
zu welchem Gefamtbilde eine Fülle oft ganz heterogener
Gedankenreihen im Geilte des Philofophen felbft tatfächlich
zufammenwirkte. Es gibt wohl kaum eine Schilderung
der Religionsphilofophie Leibniz', die fich nicht
genötigt fähe, durch zahlreiche von einander abweichende
Schattierungen die mannigfach abgeftufte Bedeutung recht
verfchiedener Betrachtungsweifen bei dem großen Denker
zu markieren. Wohl nirgends aber werden mit fo durchgreifender
Refolutheit wie hier einzelne Partien grell
beleuchtet, andere in völliges Dunkel getaucht. Wie viel
mehr vorfichtige Referve beobachtet da doch noch
Caffirers fchönes Buch ,Leibniz' Syftem in feinen wiffen-
fchaftlichen Grundlagen', auf das fich Görland in der
Vorrede beruft!

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Strehle, Paft. F., Der metaphylifche Monismus. Chriften-
tum und Zeitgeift. Hefte zu ,Glauben und Wiffen'.
Seriell. Heft 3. Stuttgart, M. Kielmann 1907. (127 S.)

crr 8« M. 2 —

Lubenow, Superint. u. Kreisfchulinfp. H., Monismus mit und

Ohne Gott. Gütersloh, C. Bertelsmann 1907. (IV, 227 S.)

gr. 8° M- 2-8°; geb- M- 3-50 Theologen', die neben vielen andern Gebildeten materi

Belefenheit und Spezialkenntniffen auf naturwiffenfchaft-
lichem Gebiet übertrifft, nicht gerade durch Gefchlolfenheit
und Sachlichkeit aus. Er geht aus von dem Widerfpruch
gegen das Chriltentum im allgemeinen, den er als durch
fein Wefen bedingt und als ,ftarke Beglaubigung feiner
Göttlichkeit' anfleht, ohne diefe Behauptung anders als
durch zufammenhanglofe Zitate aus den Werken einiger
— abgefehen von Haeckel — längft veralteter Materialiften
zu belegen, während er fich doch die Aufgabe zu
ftellen gehabt hätte, den Widerfpruch gegen das Chriften-
tum durch die ganze Kirchengefchichte zu verfolgen, —
um fo mehr als er ihn auf ,moralifche Beweggründe'
zurückführt, deren Identität in allen Epochen darzutun
gewefen wäre. Ganz unverftändlich bleibt, warum Nietz-
fche nicht erwähnt wird, der einzige, der das Chriltentum
zugestandenermaßen aus ,moralifchen Beweggründen' bekämpft
. Wahrfcheinlich hätte der ihm das Konzept
verdorben, da er feine ganze Beweisführung auf den
Materialismuszufchneidet und feineKritik des theoretifchen
Materialismus damit beginnt, daß er ihn auf den prak-
tifchen zurückführt, was bei Nietzfche nicht gut möglich
ift. Bei einer folchen Taktik, die dadurch nicht ehrwürdiger
wird, daß fie fchon von den Kirchenvätern geübt wurde,
kann es nicht fonderlich überrafchen, wenn die von neuen
Gefichtspunkten völlig verlaffene Kritik des Materialismus
fchließt mit einer Polemik gegen die ,neumodifchen

In beiden Schriften wird der Verfuch gemacht, dem
materialiftifchen Monismus einen chriftlichen gegenüberzustellen
. Sie beginnen daher beide mit einer Kritik des
erfieren, den Lubenow einfach mit dem Darwinismus
identifiziert, um diefen wieder mit dem Evolutionismus
gleichzufetzen. Für ihn ift der Entwicklungsgedanke in
feiner Anwendung zur Erklärung der Entstehung der
organifchen Welt unhaltbar, da Entwicklung fich nur an
einem einheitlichen Individuum vollziehen könne (S. 5).
Er fieht die Arten als in fich abgefchloffene, unveränderliche
Formen des organifchen Lebens an, ohne die
Erfcheinungen zii berücksichtigen, um deren Erklärung
der Darwinismus fich bemüht. Offenbar hat er nicht
das mindeste Verständnis für die Frage, wie eine Theorie,
die ihm als bare Verirrung erfcheint, jahrzehntelang die
Naturforfcher faszinieren konnte. Sonlt müßte er wenig?
ftens den Wert des Darwinismus als heuriftifche Hypothele
anerkennen. Unter fcharfer Ablehnung des Evolutionismus
in jeder Form konstruiert er einen theozentrifchen
Monismus, indem er das unerklärliche Etwas, das übrig
bleibt, wenn man von einem Ding fämtliche finnenfällige
Merkmale abzieht, als ,den allgemeinen Schöpfungsgeift
Gottes' definiert, den er als bewußtlos und unperfönlich
anfieht. ,Die Natur trägt den Stempel des göttlichen

a-

liftifch angekränkelt fein follen. Sie follen durch eine
unklare Identifizierung von /Evolution' und Entwicklung'
auf den Jrrfinn' einer .Fortbildung der Religion' verfallen
fein. ,Religion ift immer etwas hiftorifch Gegebenes
und beanfprucht ftets, gefchichtlich begründet zu fein.
Hiftorifche Fakten aber laffen fich nicht fortbilden. Der
fiebenjährige Krieg oder die Schlacht bei Bellealliance
laffen fich nicht fortbilden' (S. 52). Über die .Fortbildung
der Religion' — ein Schlagwort, das übrigens nicht von
,neumodifchen Theologen', fondern an viel höherer Stelle
geprägt ift — kann man allerdings fehr verfchiedener
Anficht fein; die meiften ,neumodifchen Theologen' haben
genug Religionsgefchichte studiert, um zu wiffen, daß
fie nicht Aufgabe der Theologie fein kann. Aber darüber
dürfte weitgehendes Einverständnis herrfchen: wer
ihre Möglichkeit mit folchen Gründen bestreitet wie
Strehle, der diskreditiert feine Theologie ebenfo wie er
fein Deutfch diskreditiert, wenn er fchreiben kann: ,Eine
Fortbildung der christlichen Religion wäre nur möglich
auf Grund fchlechten Deutfehes (sie!), das bekanntlich
fort (weiter) noch immer mit weg (hinweg) verwechfelt'
(S. 53). Damit vergleiche man noch etwa folgende Wendung
(S. 92): — ,Weltfeele —, die dann zugleich als
Gott verausgabt wird' (f. auch S. 120 Z. 13 v. o.).