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Ausgabe:

1908 Nr. 16

Spalte:

472-473

Autor/Hrsg.:

Görland, Albert

Titel/Untertitel:

Der Gottesbegriff bei Leibniz. Ein Vorwort zu seinem System 1908

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 16.

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das Briefmaterial der Verteidiger des alten Glaubens bis
jetzt noch ift, um fo willkommener ift die große Zahl
von 45 Briefen, welche O. Clemen hier bietet, nämlich
22 von Menfing, 9 von Cochläus, 8 von Rauch, 3 von
Emfer und 3 von Fürft Georg. 15 find an die Fürftin
Margarete von Anhalt, 24 an ihren Sohn Fürft Johann
und 3 an ihren zweiten Sohn Fürft Georg und 3 von
letzterem an Cochläus gerichtet. Sie entflammen alle
dem Zerbfter Haus- und Staatsarchiv. Wir lernen hier
die Fürftin Margarete als treue Anhängerin des alten
Glaubens kennen und ihren Edelfinn und ihre aufrichtige
Frömmigkeit achten, fehen aber mit ihrem Tod die
lutherifche Partei am Anhaltifchen Hof nach und nach
Oberhand gewinnen, während die altgläubige Partei mehr
und mehr Boden verliert. Es kann freilich diefer Wechfel
nicht überrafchen. Denn die geifdichen Berater und
Führer der Altgläubigen in Deffa.11 haben nicht gelernt,
über die babylonifche Mauer der kirchlichen Tradition
hinauszufehen oder auch nur deren Riffe und Lücken
recht zu bemerken. Zwar find fie voll Eifers und befon-
ders Cochläus voll Bitterkeit gegen die Neugläubigen,
aber fie unterfchätzen ihre Gegner und kämpfen mit
verrotteten Waffen. Die beiden verfänglichen Fragen,
welche Cochläus an Fütft Johann nach dem Übertritt
zum Proteftantismus richtete, S. 63, gleichen den Ge-
fchützen aus der Zeit Solimans zur heutigen Verteidigung
der Dardanellen. Von Zuverficht in die Siegesgewalt der
eigenen Sache ift nicht viel zu bemerken, eher klingt
fchmerzliche Refignation durch die Briefe. Vgl. S. 9 ,die
junge weit wil ymmer hynanen an das newe wefen; die
alten magiftri vnd lerer haben wenig oder keyn gehör,
darumb fie auch nicht wollen die alten künfte leßen'.
S. 2of. ,doch yhne (den unfern) nymant geleubet oder
wenig'. Vgl. S. 18 Z. 19. Aber diefe Männer, welche fich
bemühen, die Anhalter Fürften beim alten Glauben zu
erhalten, find ungemein fleißige, rührige Leute. Wir
lernen ihre fchriftflellerifche Tätigkeit genauer kennen.
Auch bieten ihre Briefe manche gute Nachrichten über
Zeitereigniffe, z. B. den Augsburger Reichstag und die
Türkenkriege und den Landtag in Zwickau.

Clemen hat den Briefen willkommene Erläuterungen
aus dem reichen Schatz feiner Kenntnis der Literatur
der Reformationszeit und ein Regifler beigegeben. Doch
wäre da und dort noch eine Erläuterung erwünfcht ge-
wefen. Z. B. S. 6 Z. 10 der konnig von den/marcken
(Friedrich von Dänemark); S. 19, Z. 6 .gemauert', 39 ,mauer
ampt'; S. 44 Z. 21 ,Das er fich darynnen vol mauer' (im
Badflüblein). S. 19 Z. 16 ,der newen Danieler zu Witten-
bergh fwyrmey', was fich auf Luthers Überfetzung des
Daniel bezieht (Köftlin-Kawerau 25, 156). S. 27 Z. 7 ollanda
(Landau?), Z. 8. Reftchhaym (Rosheim?), S. 56 Lic. Bartholomäus
. S. 67 1. Sp. follte zu ,Straßburg Wilhelm v.'
Bifchof hinzugefügt fein.

S. 4 Z. 14 ift .achtend' nicht abend, fondern octava.
S. 5 Z. 30 1. Sachsen. S. 18 Z. 8 v. u. 1. vns. Der Brief
Nr. 18 kann nicht vom S.Jan. 1530, fondern nur von 1531
fein, da Luthers Überfetzung des Daniel erft im E"ebr.
oder März crfchien (Enders 7, 232, 233), und die Schrift
von Wimpina, Menfing, Redorffer, Elgersma gegen die
Schwabacher Artikel in die Zeit vor dem Augsburger
Reichstag fällt (Ficker, die Konfutation S. XXI). Bruder
Peter hatte am 5. Jan. 1531 noch den alten Kalender.
S. 24, Z. 4 ift ,hochmeifler' vielleicht Dativ. Denn unmöglich
konnte Menfing den Heilbronner Kommenthur Eberhard
von Ehingen, für den Hochmeifter zu Horneck
halten. Übrigens war Horneck feit der Zerftörung durch
die Bauern am 5. Mai 1525 nicht mehr Refidenz des
Deutfchmeiflers (der überfle hie vnd am reyn), der jetzt
Hochmeifter an Stelle Albrechts von Preußen wurde,
fondern Mergentheim. Z. 8 1. hochmeifter. Zu den Nachrichten
über die Wiedertäufer in Gmünd S. 28 ift die
fchöne Gcfchichte der Reformation in Gmünd von E.
Wagner W. Vierteljahrsheft 1881, 81, i8off. zu vergleichen.

Dort ift Mart. Maler als Zehentmayer von Langenmofen
bei Inchenhofen in Bayern nachgewiefen. Der Knabe
war vierzehn Jahre alt. Die Hinrichtung gefchah am 7.
Dez. 1529. Mag. Paulus S. 64 kann als Stieffohn des
Buchdruckers Nik. Wolrab nicht unter dem Namen Paul
Wolrab in der Leipziger Matrikel gefucht werden.

Die hier veröffentlichten Briefe erwecken den lebhaften
Wunfeh, daß doch weitere Briefe aus den Reihen
der Verteidiger der alten Kirche, aber nicht befchnitten
und in UStttH Delpliini gekämmt veröffentlicht werden
möchten. Wir begegnen doch in diefen Briefen manchmal
fympathifch berührenden, felbft evangelifch klingenden
Stellen, z. B. S. 22 über Margaretas Tod. S. 43 Z. 1 ff.
,wyr follen vns nicht aufif vielen pferden vnd volcke ver-
laffen, fondern auff gottes hulffe' etc.

Stuttgart. G. Boffert.

Görland, Dr. phil. Albert, Der Gottesbegriff bei Leibniz.

Ein Vorwort zu feinem Syftem. (Philofophifche
Arbeiten, herausgegeben von H. Cohen und P. Natorp.
I. Band 3. Heft.) Gießen, A. Töpelmann 1907. (VI,
138 S.) gr. 8° M. 3.60

Eine mindeftens anregende und intereffante Schrift;
auf alle Fälle keine triviale. Sie behandelt die Gotteslehre
des großen deutfehen Philofophen und fucht fie
aus der ,Gedankenftimmung' eines .meffianifchen Idealismus
' heraus zu begreifen und verftändlich zu machen.

Die beiden erften Kapitel führen aus — was ja unfraglich
richtig ift —, daß für Leibniz die ewigen Wahrheiten
und die fittlichen Ideen von der Willkür Gottes
unabhängig find. Sie ziehen daraus den Schluß, der
fchon eher auf Widerfpruch flößen könnte, ,daß der
Gottesbegriff bei Leibniz nicht pofitiv, inhaltlich oder
methodifch, dem Erkennen dient. Was Gefetz bedeutet,
an das ift Gott gefeffelt, es bedeutet allem Einfluß Gottes
1 gegenüber eine Priorität'. Kapitel III und IV legen dar,
daß es die ,Erfahrungstatfächlichkeit' ift, ,die Einzigkeit
j des Wirklichen, das, was wir das Datum der Erfahrung
j nennen', wodurch der Gottesbegriff ,herbeigerufen' wird.
Gott ift ,causa efficiens der Mannigfaltigkeit des Natur-
gefchehens'. Aber freilich er ift ,ais Schöpfer' zugleich
eins mit dem ,Monarchen', dem Beherrfcher des morahfehen
Reichs, des Gottesftaats. Er ift als ,cansa efficiens' zugleich
tcausa finalis'. Deshalb eben erteilt der Gottesbegriff
eine Antwort auf die ,profane Frage': ,ift fittliches Tun
in diefer Natur möglich?' Gott als die ,Perfonalunion
beider causae' ift der Bürge dafür, ,daß die Natur in fich
das Sittliche duldet', daß eine,Praxis des Sittlichen' durchführbar
ift.

In dem fünften Kapitel kulminieren all die vorhergehenden
Erörterungen. Der Verfaffer befpricht darin
ausführlich die Leibnizfchen Bewtife für das Dafein
j Gottes, den apriorifchen und den apofleriorifchen, fpeziell
i den aus der präflabilierten Harmonie; und er fucht zu
zeigen, daß auf der ,Stufe des kritifchen Gewiffens'Leibniz
im Grund alle eigentlichen Beweife ablehnt oder fallen
läßt. Wie Gott für ihn nicht mehr und nicht weniger fei
als der,Garant eines meffianifchen Reiches von diefer Welt'
— das ,von diefer Welt' ift zu unterftreichen —, fo
bedeute die Gottesidee nicht mehr und nicht weniger als
,ein Poflulat des Sittlichen'.

Soviel zur Charakteriftik der Schrift ihrem Inhalt und,
foweit das durch einige wenige kurze Zitate möglich ift,
auch ihrer eigentümlichen Ausdrucksweife nach. Daß die
gegebene Darflellung der Leibnizfchen Religionsphilofophie
j ,ungewöhnlich' ift in dem Maße, als fie die letztere der Kan-
1 tifchen Lehre oder den Marburger Anfchauungen näher
j rückt, braucht nicht erft gefagt zu werden. Man wird fich
1 indeffen hüten müffen, unter dem erften befremdenden
Eindruck fofort über fie abzuurteilen: der Verfaffer hat
| feine Thefe fehr forgfältig begründet und durch umfang-