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Ausgabe:

1908 Nr. 16

Spalte:

455-458

Autor/Hrsg.:

Bréhier, Émile

Titel/Untertitel:

Les Idées philosophiques et religieuses de Philon d‘Alexandrie 1908

Rezensent:

Wendland, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 16.

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die nach dem Urteil des Generalkonful Dr. Schröder in
Beyrut wohl aus dem 12. Jahrhdt. (lammt; fie bietet den
Text des Schema' (Dtn 6,4—9) und ift datiert (doch ift
das Datum leider verftümmelt); vgl. Zeitfchr. d. Deutfchen
Paläfh'na-Vereins 1908 S. 244t. 249 fr. Zu den kurzen Ausführungen
über das JZafiayunxöv (S. 285) ift zu bemerken,
daß man doch kaum noch fagen kann ,this is generally
understoodby critics as ret'erring to the Samaritan Hebrew
Pentateuch'; auch das Referat über Kohns Anficht ift
nicht korrekt genug.

Den Schluß des Buches bilden vier Anmerkungen
(1. der Name Samaria, 2. die Namen der Samaritaner
[die Selbftbezeichnung ,Sidonier' erklärt der Verf. ansprechend
aus Gen. 10,18 LXX 2a(iaQalov, 3. die Reinigungen
durch Feuer, 4. der angebliche Taubenkult), ein
Literaturverzeichnis (nur Arbeiten, die fich fpeziell mit den
Samaritanern befchäftigen, ca. 300 Nummern!) und Indices.

Die Darftellung ift überall klar und angenehm lesbar;
rein philologifche Detailfragen, Hinweife auf andere Auf-
faffungen etc. find in Fußnoten oder in klein gedruckte
Exkurfe verwiefen. Der Druck ift gut und korrekt. Eine
Zierde des Buches bilden 13 meift landfchaftliche Abbildungen
, 12 Infchrifttafeln und 1 Alphabettafel.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Brehier, Prof. Dr. Emile, Les Idees philosophiques et reli-
gieuses de Philon d'Alexandrie. Paris, A. Picard & Fils
1908. (XIV, 336 p.) gr. 8» fr. 7.50

Philos Judaismus, dem das erfte Buch gewidmet ift,
wird mit Recht als fiark verblaßt bezeichnet, die escha-
tologifchen Hoffnungen treten fehr feiten hervor, und
lie werden flark vergeiftigt. Die materiellen Züge der
jüdifchen Apokalyptik werden übergangen, gelegentlich
auch umgedeutet. Das Mef.iasbild verbindet fich mit dem
ftoifchen Ideal des Weifen als König, das mofaifche Gefetz
wird dem univerfalen Naturgesetze der Stoa gleichgefetzt
. — Der Gegenfatz des unwandelbaren göttlichen
und der vergänglichen menfchlichen Gefetze, die Kritik
diefer Gefetze, der Gefetzgeber und Politiker bei Philo
berührt fich vielfach mit ftoifchen Quellen, durch die
auch die zahlreichen platonifchen Reminiszenzen zum
Teil vermittelt fein können. Die enge Verbindung des
mofaifchen Gefetzes mit dem Naturgefetze erinnert lebhaft
an das Verhältnis unzertrennlicher Zufammenge-
hörigkeit, in das Cicero natürliches und römifches Recht
fetzt. Das Idealbild des Mofes als Königs und Priefters
hat auffallende Parallelen in der neupythagoreifchen Zeichnung
des Königtums, in der ebenfalls die praktifche
Politik völlig hinter dem ethifchen und religiöfen Inter-
effe zurücktritt. Und diefe Theorie zeigt fich beeinflußt
vom Glauben der Zeit an die Göttlichkeit des Herrfchers.
Auch fonft werden im großen Werke über die Gefetz-
gebung und überhaupt in den politifchen Anflehten Philos
manche Analogien zur profanen Literatur nachgewie-
fen. — Im zweiten weniger neue Gefichtspunkte bietenden
Kapitel wird die allegorifche Auslegungsmethode
Philos durch die ftoifchen Vorbilder verftändlich gemacht.
Wertvoll ift die Zufammenftellung der Fälle, in denen
Philo folche Deutungen profaner Mythen übernimmt
(S. 38. 39).. Mit anerkennenswerter Vorficht wird die
Frage nach Philos jüdifchen Vorläufern behandelt. Die
ältere helleniftifche Literatur bietet nur vereinzelte Beispiele
allegorifcher Auslegung. Ariftobul hält auch Br.
für pfeudonym und von Philo abhängig. Die Exegefe
der Effäer kennen wir nicht. So fällt das größte Gewicht
auf die S. 55 ff. gefammelten Zeugniffe Philos über frühere
Allegoriften. Aber es fcheint mir viel wahrfcheinlicher,
daß diefe Vorläufer Philos in den Synagogenvorträgen
die philofophifche Deutung geübt1, als daß fie zur thera-

1) Freudenthal, die Flavius Jofephus beigelegte Schrift über die
Herrfchaft der Vernunft. S. 7. 137 ff.; L. Cohn, Neue Jahrbb. für das
klaffifche Altertum etc. I. 517.

peutifchen Sekte gehört haben, deren Bedeutung mir
Br. zu überfchätzen fcheint. Auf Grund der eigenen
Zeugniffe Philos wird feine Mittelfteilung zwifchen den
Anhängern des traditionellen Glaubens und der offenbar
kleinen Partei gezeichnet, die, von ähnlichen Vorausfetzun-
gen wie Philo felbft ausgehend, zur radikalen Konfequenz
der Verwerfung des Gefetzes fortfehritt.

Der zweite Hauptabfchnitt behandelt die Lehre von
Gott, den Mittelkräften, der Welt. Ich hebe einige be-
fonders wichtige Punkte hervor. Das Nebeneinander
platonifcher und ftoifcher Vorflellungen von Gott und
von der Entftehung der Welt wird gut dargeftellt. Jüdi-
fches Empfinden zeigt fich in der Steigerung der Transzendenz
durch Erhebung der Gottheit über die Idealwelt,
in der Vermeidung der kraß materialiflifchen Auslagen
der Stoa, in der Betonung des ethifchen Charakters Gottes
und der intimen Beziehungen zwifchen Gott und Menfchen-
feele. Die Unterfcheidung verfchiedener Grade und Stufen
der Gotteserkenntnis und Verehrung, die fich das Gleichgewicht
haltenden Intereffen an der Erhabenheit Gottes
einerfeits, an den religiöfen Bedürfniffen des Menfchen
andrerfeits führen zu einer Verbindung der fich fcheinbar
kreuzenden und widerfprechenden Elemente, wie fie die
Myftik oft gefchaffen hat. Eine logifche Analyfe kann
der Theologie nicht gerecht werden, die fich nicht nur
auf verftandesmäßige Erkenntnis, fondern auch auf reli-
giöfe Erfahrung gründet. — Sehr verfchiedenartig und
mannigfaltiger, als man meift annimmt, find auch die Elemente
, die in der philonifchen Logoslehre und zum Teil
fchon in der fynkretiftifchen Philofophie der früheren Zeit
fich zufammengefunden haben: Der floifche Logos als
die einheitliche, alle Teile dei Welt zufammenhaltende
göttliche Kraft, der heraklitifche, aber durch eine floifche
Quelle vermittelte Logos als Schöpfer und Träger der
Gegenfätze, neupythagoreifche Auffaffung des Logos
| als Monas, Gleichfetzung des ftoifchen oQ&bq Xoyog und
| der platonifchen Idealwelt, ägyptifche Vorflellungen vom
göttlichen Worte. Nicht nur der Wunfeh, die Gottheit
von der Berührung mit der Welt fern zu halten und
nicht für die Entftehung des Böfen verantwortlich
zu machen, fondern auch das religiöfe Intereffe der Unterfcheidung
verfchiedener Stufen der Gotte.serkenntnis hat
aus dem mit der Gottheit identifchen Logos der Stoa
ein Wefen gemacht, das ihr untergeordnet ift und zwifchen
Gott und Welt vermittelt. Für diefe Mittelftellung des
Logos und fein Schwanken zwifchen abftrakter und per-
fönlicher Faffung werden höchft beachtenswerte Parellelen
aus der profanen theologifchen Literatur beigebracht.
Sehr ausführlich werden dann die in gewiffen Einzelheiten
fluktuierenden Lehren von den göttlichen Kräften, die
in ihnen wirkfamen religiöfen Motive, der flarke Einfluß
helleniftifchen Theologeme auf die Behandlung der göttlichen
Hierarchie und ihre genealogifche Ableitung dargelegt
. Auch die philofophifchen Elemente diefes Lehr-
ftückes find Philo erft durch das Medium helleniftifcher
Theologie vermittelt (S. 157). Die Widerfprüche beweifen
nicht Philos Unfähigkeit zu logifch geordnetem Denken,
fondern die Herrfchaft und die Macht der fich ihm aufdrängenden
helleniftifchen Gedanken (S. 117). — Auch
die Kosmologie, die keine erfchöpfende Behandlung erfährt
, zeigt einen ftarken Synkretismus, in dem der ftoifche
Einfluß überwiegt.

Buch III trägt den Titel ,Le culte spirituel et le pro-
gres moral'. Es behandelt die wefentlich von Pofidonius
abhängige Theorie der Mantik und Infpiration und
die Bedeutung des Gefühlslebens für Philos religiöfe
Anfchauungen. — Die Grundlage für feinen religiöfen
Standpunkt gewinnt Philo durch eine im Anfchluß an
Änefidem entwickelte fkeptifche Theorie, die die Schwäche
menfehlicher Erkenntnis, die Nichtigkeit alles menfchlichen
Vermögens erweift. Das flark ausgeprägte Bewußtfein
völliger Unzulänglichkeit eigener Kraft führt zu einer
Abwendung von den Bedingungen des irdifchen und