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Ausgabe:

1908 Nr. 15

Spalte:

441-442

Autor/Hrsg.:

Dammann, Albert

Titel/Untertitel:

Der Sieg Heinrichs IV. in Kanossa. Eine kritische Untersuchung. I. Teil 1908

Rezensent:

Mirbt, Carl

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 15.

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über ausgefprochen haben. Die Syfiematik des letzteren
ift unverändert beibehalten; die Regelten orientieren in
ausgezeichneter Weife über den Inhalt der verzeichneten
Urkunden, die äußere Anordnung erfüllt jeden Wunfeh
bezüglich Überfichtlichkeit, leichtes Auffinden uff., den
man an ein Nachfchlagewerk erften Ranges Hellen darf.

Bonn. Keller.

Bern heim, Kraft, Quellen zur Gefchichte des Inveltiturltreites.

2 Hefte. (Quellenfammlung zur Deutfchen Gefchichte.
Herausgegeben von E. Brandenburg und G. Seeliger. II.)
Leipzig, B. G. Teubner 1907. 8°

Heft I. Zur Gefchichte Gregors VII. und Heinrichs IV.
(VI, 104 S.) M. 1.40. — Heft II. Zur Gefchichte des
Wormfer Konkordates. (V, 88 S.) M. 1.20.

Diefe Quellenfammlung foll nach dem Vorwort ,in
erfter Linie als Grundlage für Unterfuchungen in hifto-
rifchen Seminaren, außerdem zur Quellenlektüre dienen'.
Das erde Heft enthält Materialien zur Gefchichte Gregors
VII. und Heinrichs IV. und bietet die wichtigften
Quellen für dasPapftwahlgefetz von 1059, dieWahl Gregors,
die Abfetzung des deutfchen Königs, die Vorgänge in
Canoffa u. a. Die in dem zweiten Heft ,zur Gefchichte des
Wormfer Konkordates' zufammengeftellten Quellen zeigen
deffen Vorftadien, bringen die auf den Vertrag felbft lieh
beziehenden bedeutfamften zeitgenöflifchen Berichte und
Beiträge für feine weitere Gefchichte. Da der in diefer
Quellenfammlung behandelte Ausfchnitt der mittelalterlichen
Gefchichte fich in befonderem Maße zu Seminarübungen
eignet und in den letzten Jahren Gegenftand
zahlreicher neuer Unterfuchungen geworden ift, kommen
diefe Hefte zur rechten Zeit und können auf eine gute
Aufnahme rechnen. Die Auswahl des Stoffes zeigt den
ausgezeichneten Kenner des Inveftiturftreites.

Marburg i. H. Carl Mirbt.

Dammann, Gymn.-Oberlehr. Dr. Albert, Der Sieg Heinrichs
IV. in Kanoffa. Eine kritifche Unterfuchung. Braun-
fchweig, B. Goeritz 1907. (76 S.) gr. 8° M. 1.50

Die Kritik diefer Unterfuchung kann fehr kurz fein.
Denn die Abhandlung bafiert auf Vorftellungen über das
Verhältnis des deutfchen Königs zum Papfttum, die von
der tatfächlichen Sachlage fich fo weit entfernen, daß
der Erfolg der Einzelunterfuchung auch dann ftark gefährdet
gewefen wäre, wenn diefe den Grundfätzen der
hiftorifchen Methode entfprochen hätte. Wir erfahren,
daß der Papft ,feit Otto I. ein Beamter des deutfchen
Königs war' (S. 14), daß das Vorgehen Gregors in Sachen
der Simonie und der Laieninveftitur ,vom Standpunkt
des deutfchen Königs als eine bodenlofe Unverschämtheit
fich darftellte, die in Anfehung ihrer fchlimmen
Folgen für das deutsche Königtum die allerftrengfte Ahndung
verdiente' (S. 19). .Einen folchen Beamten konnte
der König nicht länger dulden. Daher ließ er ihn in
Worms abfetzen' (S. 20). ,Der erfte Römerzug Heinrichs
IV. verfolgte alfo den Zweck, die Abdankung des Papftes
mit Gewalt zu erzwingen' (S. 21) refp. ihn in Italien feft-
zuhalten und dadurch den Tag von Augsburg zu vereiteln,
fodann mit Gregor abzurechnen ,wegen feiner Eingriffe
in die deutfehe Reichsverfaffung und wegen feines Un-
gehorfams' (S. 23). Der König rückte daher mit einer
großen Armee nach Süden. ,Die Annahme, daß Heinrich
IV. ohne Heer nach Italien gezogen fei, ift natürlich ohne
weiteres als Unfinn von der Hand zu weifen' (S. 24 Anm. 2).
— Darauf unternimmt D. es, die Vorgänge in Canoffa
feftzuftellen, aber unter alleiniger Heranziehung des Lambert
von Hersfeld und des Schreibens Gregors VII.,
Reg. IV 12; die Nachrichten anderer Schriftfteller über
Canoffa exiftieren für ihn nicht. Die Lambertfche Dar-
ftellung erfcheint dem Verf. wie der gefamten neueren

Forfchung mit Recht als im großen und ganzen unrichtig,
aber wir verlieren den Brief Gregors als Gefchichtsquelle,
denn er ift ,ein literarifches Machwerk, das zu dem Zwecke
angefertigt ift, durch eine Gefchichtsfälfchung die Ehre
Gregors VII. zu retten' (S. 74). Heinrich IV. hat ,als
König mit derFauft am Degengriffe dem Papft die Zurückziehung
des Bannes anbefohlen und von ihm als feinem
Untergebenen den fchuldigen Gehorfam gefordert' (S. 40),
das .Märchen von der Buße und der Losfprechung vom
Banne hat Gregor VII. in die Welt gefetzt' (S. 53), der von
Heinrich angeblich geleiftete Eid ift ,eine Fälfchung'(S. 71).
Der König hat in Canoffa dem Papft ,die Zurücknahme des
Bannes und des Inveftiturverbotes' anbefohlen. Der Papft
hat gehorcht und fowohl den Bann als auch das Inveftitur-
verbot zurückgenommen' (S. 58) und Heinrich hat dies
erreicht ,mit Waffengewalt' (S. 57). — Diefe Proben dürften
genügen. Die Canoffaforfchung ift durch diefe Studie
nicht gefördert worden.

Marburg i. H. Carl Mirbt.

Bauer, Prof. D. Johannes, Schleiermacher als patriotilcher

Prediger. Ein Beitrag zurGefchichte der nationalen Erhebung
vor hundert Jahren. Mit einem Anhang von bisher
ungedruckten Predigtentwürfen Schleiermachers. (Studien
zur Gefchichte des neueren Proteftantismus,
herausgegeben von H. Hoffmann und Leopold Zfchar-
nack. 4.) Gießen, A. Töpelmann 1908. (XII, 364 S.)
gr. 8° M. 10—; geb. M. 11 —

Der eigentümliche Wert und die Anziehungskraft
des fchönen Buches, mit dem Bauer uns befchenkt hat,
befteht in der Verbindung wiffenfehaftlicher Gediegenheit
in gründlicher Forfchung und ausgebreiteter Gelehr-
famkeit mit frifcher Lebhaftigkeit und warmer Begeifferung
; in der Darftellung. Der Verfaffer verfügt über intime
Kenntnis des Lebensganges und der Werke Schleiermachers
, der Gefchichte feiner Zeit, der zeitgenöffifchen
Literatur wie der reichhaltigen Literatur über jene Zeit
und ihre Helden. Alles weiß er in nahe Beziehung zu
feinem Gegenftande zu fetzen, fo daß diefer in dem
Rahmen der ganzen Zeitgefchichte uns entgegentritt.
Der empfangliche Lefer wird von der Darftellung Bauers
gefeffelt und zu gleichem Schlußurteil gedrängt, daß wir
in Schleiermacher ,den größten patriotifchen Prediger
! der evangelifchen Kirche im Zeitalter der deutfchen Erhebung
vor hundert Jahren' haben, deffen .Größe fich
in den Tagen der tiefften Erniedrigung feines Volkes'
am herrlichften zeigt.

Das Werk ift in drei Abfchnitten gegliedert. Der
j erfte Abfchnitt (S. 7—108) behandelt Schleiermachers
| Predigertätigkeit von 1804—1818. Der Abfchnitt fchließt
jedoch mit den Friedens- und Gedächtnispredigten 1814
— 1822; fomit würde in der Überfchrift ftatt 1818 richtiger
1822 zu fchreiben fein. Der Verfaffer gibt uns den
Gedankengang der Predigten diefer Periode. Wir heben
die machtvollen Reden nach der Schlacht von Jena:
,Von öffentlichen Unglücksfällen', die unvergleichliche
Neujahrspredigt 1807: ,Was wir fürchten follen und was
nicht', dann die beiden Predigten nach dem Tode der
Königin Luife: ,Des Chriften Verklärung' und befonders:
,Gottes Gedanken', endlich die von vielen als die vollen-
detfte Predigt Schleiermachers beurteilte Rede: ,Der
heilige Krieg' 1813 hervor. Die Darftellung, der man
mit wärmftem Intereffe zu folgen genötigt wird, ift leider
von zahlreichen längeren Exkurfen bibliographifcher und
textkritifcher Art unterbrochen; fie würden einen befferen
| Platz als Anmerkungen am Schluffe des erften Abfchnittes
1 oder auch des ganzen Buches gefunden haben. Diefe
I Exkurfe enthalten eine mühevolle Arbeit; fie find für eine
noch ausftehende kritifche Ausgabe der Predigten Schleier-
machers ohne Frage von großem Wert. Allein der
! Lefer, der Schleiermachers Predigertätigkeit kennenlernen