Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1908 Nr. 15

Spalte:

440-441

Autor/Hrsg.:

Kehr, Paulus Fridolinus

Titel/Untertitel:

Regesta pontificum romanorum. Italia pontificia. Vol. II 1908

Rezensent:

Keller, Siegmund

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

439

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 15.

440

würdigerweife ganz überfehen ift. Ref. befitzt feit 9 Jahren
den Münchener, aber auch einen diefen erft verftändlich
machenden gleichaltrigen Vatikanifchen Text und hat mit
der Veröffentlichung bisher nur zurückgehalten, weil er
hofft, mehr handfchriftliches Material zu finden, und weil
ihm die zeitgefchichtlichen Anfpielungen noch nicht hinreichend
geklärt fchienen. Er würde für Nachweifungen
in diefer doppelten Hinficht dankbar fein.

Straßburg. von Dobfchütz.

Schaub, Dr. Franz, Der Kampf gegen den Zinswucher, ungerechten
Preis und unlautern Handel im Mittelalter. Von

Karl dem Großen bis Papft Alexander III. Eine
moralhiftorifche Unterfuchung. Freiburg i. B., Herder
1905. (XII, 218 S.) gr. 8° M. 3 —

Diefe in ihrer Durchführung ganz vortreffliche Unterfuchung
fetzt bei Karl d. Gr. ein, deffen allgemeines
Zinsverbot bekanntermaßen den entfcheidenden Wendepunkt
in der mittelalterlichen Zinsgefetzgebung bildet,
und wird vom Verfaffer bis zu dem Momente geführt
(es ift die Zeit Papft Alexanders III), wo das einleitende
Stadium aufhört, um endlich einer ebenfo energifchen
als zielbewußten Gefetzgebung Platz zu machen. Es ift
alfo im großen und ganzen die Zeit des Taftens und
Suchens nach feften Normen, die uns Schaub in höchft
anfchaulicher Weife vorführt.

Der erfte Teil bietet uns eine intereffante Gefchichte
der karolingifchen Zinsgefetzgebung, die mit dem ftrengen
Zinsverbote Karls d. Gr. anhebt. Zunächft ift noch
keine Strafe auf die Übertretung gefetzt, doch bald
kommen kirchliche Strafandrohungen dazu (Exkommunikation
), Strafe des Königsbannes, Verfettung durch den
Grafen u. ä.

Naturgemäß ift ein großer Raum dem eigentlichen
Handelsvolke des Mittelalters, den Juden, gewährt und
durch gefchickte Ausnutzung der bekannten Regelten
von Aronius hat es der Verfaffer verftanden, feine Arbeit
durch eine Reihe plaftifcher Einzelzüge zu beleben.
Intereffant ift feine Feftftellung (S. 54), daß die Juden
fchon damals foweit fich Gelegenheit bot — und nur
der Geheimhandel war ihnen verboten, nicht aber der
öffentliche Handel oder Teilnahme am Markte — mit
Vorliebe die leichte Bereicherung durch Trödel und
Leibzins betrieben. ,Sie wurden weder durch politifche
Macht noch durch ihre foziale Lage oder wirtfchaftliche
Not dazu gedrängt. Nichts hinderte fie an der Ausübung
des Handels oder Gewerbes oder Ackerbaues.
Die Erziehung oder gar Zwang der Juden zum Schacher
oder Wucher ift ebenfo eine Eabel wie ihre Verfolgung
hauptlächlich aus Handelseiferfucht'. Dabei fällt auch
nebenbei bemerkt die phantaftifche Idee Sombarts
(Zur Genefis des mod. Kapit. I 270), daß die Juden ihre
Kapitalien, Schmuckfachen ufw. aus dem finkenden
Römerreich ^herübergerettet' haben müffen, mangels
anderer Erwerbsmöglichkeit.

Ob dagegen Schaub es mit Recht ablehnt, daß
auch die Juden vom karolingifchen Zinsverbot getroffen
worden feien, möchte ich vorerft bezweifeln. Wenn
auch meift (S. 55) kirchliche Strafen daraufgefetzt waren,
fo gab es doch überall nebenher noch Geldftrafen, die
die Juden noch unangenehmer als andere bedrückten.—

An den Zinswucher reihen fich nicht weniger intereffante
Ausführungen über die damalige Preispolitik und
den Handel, von welch letzterem der Verf. bisheriger
Anficht gegenüber konftatiert, daß ,mit der Tatfache der
Notwendigkeit und Nützlichkeit des Handels nach dem
Naturrechtsftandpunkte, den die Kirche vertritt, auch
deffen fittliche Güte bereits gegeben fei'. Die vielfachen
tadelnden Äußerungen dürfen nur auf die Auswüchfe im
Handel gedeutet werden, niemals auf den ehrbaren Handel,
der fich mit mäßigem Gewinn begnügt (S. 108. 115).

Den 2. Teil gliedert der Verf. — m. E. überflüffiger-
weife — in einen einleitenden und in einen die nächfte
Periode vorbereitenden Abfchnitt; doch läßt fich kaum
ein gradueller Unterfchied erweifen. Man kann nur kon-
ftatieren: Handel und Verkehr find noch nicht nennenswert
, wenn auch die Kreuzzüge langfam einen Auffchwung
herbeiführen. Die karolingifchen Zinsverbote wirken noch
immer in Theorie und Praxis nach. Am entfchiedenften
im Rechtsbuch Gratians, am fchwächften in der ftaat-
lichen Gefetzgebung (S. 142). Merkwürdigerweife haben
auch die Reformorden keine direkte Antiwuchertendenz
1 auf ihr Programm gefetzt (S. 139). — Befonders anerkannt
muß werden, daß des Verfaffers fehr forgfältige
Syftemifierung glücklich die große Gefahr überwand,
ohne Fundamente zu konftruieren und fich in lauter
Einzelheiten zu verlieren. Die einfchneidenden Gefichts-
punkte find überall forgfam herausgearbeitet, ebenfo find
die Refultate immer wieder in prägnanter Weife zu-
fammengefaßt.

Die Unterfuchung, der aus fachlichen Gründen ein
gewiffer Abfchluß mangelt und mangeln mußte, foll bis
zum Konzil von Vienne weitergeführt werden, und wir
fehen der Fortfetzung mit großem Intereffe entgegen.

Bonn. Keller.

Regesta pontificvm romanorvm. Ivbente regia societate
Gottingensi congessit Pavlvs Fridolinvs Kehr. Italia
Pontificia sive repertorivm privilegiorvm et litterarvm
a romanis pontificibvs ante annvm MCLXXXXVIII.
Italiae ecclesiis, monasteriis, civitatibvs singvlisqve
personis concessorvm. Vol. II. Lativm. Berolini,
apvdWeidmannosMDCCCCVII. (XXX, 230p.) Lex.-8n

M. 8 —

Dem in Nr. 13 des vorigen Jahrganges angezeigten
erften Bande ,Romal ift überrafchend fchnell ein weiterer
Band ,Latium' gefolgt, ein Beweis, wie forgfältig das
gefamte in Betracht kommende Material vom Herausgeber
bereits gefammelt und gefichtet ift. Dabei find von den
677 Nummern des neuen Bandes nicht weniger als 387
Jaffe gegenüber als neuaufgenommen zu bezeichnen —
im erften Bande 397 von 586 —, Zahlen, die für fich allein
fchon dartun, wie dringend nötig der Wiffenfchaft eine
neuerliche Inventarifierung aller uns erhaltenen Regesta
Pontificum Romanoram war.

Der vorliegende Band umfaßt die Papfturkunden der
fuburbikarikhen Bistümer (Oftia, Porto mit Cervetri,
Silva Candida, Albane mit Anzio, Tusculano, Paleftrina
und Sabina), der Bistümer in der römifchen Campagna:
Tivoli, Veletri, Terracina, Segni, Anagni, Ferentino, Alatri
und Veroli, und der Bistümer im römifchen Tuscien: Nepi,
Sutri, Civitä Caftellana, Orte, Gallefe, Toscarella, Bagnorera,
Caftro und Orvieto-Bolfena. Vorausgefchickt find noch
diejenigen Dokumente, welche fich auf den Verkehr der
Päpfte mit den Patrimonien der römifchen Kirche in
Latium beziehen, Dokumente, die im Verhältnis zu den

I dürftigen Urkundenreften aus den fuburbikarifchen Bistümern
recht anfehnlich erfcheinen, befonders wenn man

! die vielen Briefe aus den Regiftern GelafiusT, Pelagius'I
und Gregors d. Gr. an die Curatoren der Patrimonien
hinzurechnet. Den Schluß des Bandes bilden noch einige
loca incerta (Via Trivana, Scorofa und Caftrum Pala-
tiolum), die allen Identifizierungsverfuchen widerftanden.

Der Titel ,Latium' entfpricht alfo nicht, wie man
fieht, dem politifchen Latium älterer oder neuerer Zeit,
er will vielmehr im kirchengefchichtlichen Sinne genommen
fein, wie es ja auch dem Zwecke der Publikation durchaus
angemeifen ift.

Im übrigen können wir dem neuen Bande diefes,

| feiner Anlage fowohl als feiner Ausführung nach monumentalen
Werkes nur dasfelbe uneingefchränkte Lob zu-

j erkennen, wie wir es bereits dem erften Bande gegen-