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Ausgabe:

1908

Spalte:

20-22

Autor/Hrsg.:

Hermelink, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die religiösen Reformbestrebungen des deutschen Humanismus 1908

Rezensent:

Brandi, Karl

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ig Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 1. 20

episcopi et abbatest) et duces et grafiones post octavas
pasche (Sehn.: dominica octavis pasche!) nostre adessent
presentie, cum quibus de talibus inire debuissemus consi-
lium. Merkwürdiger hat wohl nie ein fränkifcher König von
einer Verfammlung feiner Großen gefprochen. Kurzum:
man muß wirklich in den Urkunden der fränkifchen Zeit
fo wenig bewandert fein, wie ein Eskimo in den Urwäldern
Brafiliens, wenn man für möglich hält, daß folch
eine Mißgeburt irgend etwas mit einer echten Urkunde
Pipins gemein haben könne. Nun vollends die berüchtigte
Lifte der zurückzugebenden Orte! Wer nicht durch Vorurteile
verblendet ift, fieht auf den erften Blick, daß
hier die bekannte Lifte aus der Vita Hadriaui in hoff-
nungslofer Verderbnis, mit Mißverftändniffen durchfetzt,
von einem fubalternen Kopiften wiederholt wird, der
fich nicht nehmen läßt, auch noch feine eigenen be-
fcheidenen Kenntniffe von der Geographie Italiens anzubringen
. Zum Überfluß belehrt einen der Schlußfatz
(et deindc sub qua rationc hoc renovaretur pactum), daß
wir es mit einem kindifchen Verfuche zu tun haben, ohne
jede Kenntnis der Dinge aus einer fpäten chronika-
lifchen Notiz (etwa von der Art der Nota de unetione
Pippini) eine Urkunde zu rekonflruieren. Die Verf.
haben freilich noch ein befonderes Rettungstau für ihr
fmkentes Schifflein, einen handfehriftlichen Fund fogar,
auf den fie ein wenig ftolz find. Ulivi hat nämlich in
demfelben Kodex, der uns das Fantuzzianum befchert,
ein zweites Fragment gefunden, kürzer, aber inhaltlich mit
jenem übereinftimmend. Es dient Schnürer als Hilfsmittel,
um die Genealogie des Fantuzzianum bis hinauf zu der
echten Urkunde von Quierfy zu verfolgen. Aber was ift
diefes neue Fragmentum Uliviatium'! Nichts weiter als
ein Auszug aus dem Fantuzzianum felbft! Das einzige
Plus, das es bietet, die Nennung von Paris, erklärt fleh
leicht durch die Annahme, daß derKopift des Fantuzzianum,
dem wir diefe Beläftigung verdanken, nachläffiger abge-
fchrieben hat, als der Unbekannte, der jenen Auszug
machte.

Alles in allem: das Büchlein, das mit fo ernfter Gelehrtenmiene
auftritt, ift ungeachtet feines Aufputzes an
kritifchem und philologifchem Räfonnement ein Gefchöpf
des reinften Dilettantismus, eine jener Verirrungen, die
immer von Zeit zu Zeit vorkommen und die man um
der Freiheit der Wiffenfchaft willen hinnehmen muß.

Gießen. Hai lcr.

Die Chronik des Laurencius Boßhart von Winterthur 1185 bis

1532. Herausgegeben von Kaspar Haufer. (Quellen
zur fchweizerifchen Reformationsgefchichte. Herausgegeben
vom Zwingliverein in Zürich unter Leitung
von Profeffor Dr. Emil Egli. III.) Bafel, Bafler Buch-
und Antiquariatshandlung 1906. (XXVIII, 403 S.)
gr. 8° M. 8 —

Die Kraft und Tiefe der reformatorifchen Bewegung |
und die Freude an den durch fie wiedergewonnenen I
Geiftesgütern offenbart fleh nicht nur in der Unzahl |
Flugfchriften, fondern auch in dem lebhaft angeregten j
Trieb, die zeitgefchichtlichen Ereigniffe in fchlichter
Weife für fleh zur Darftellung zu bringen, ohne an eine j
Veröffentlichung zu denken. Diefer Trieb zeigt fleh in
hervorragender Weife kräftig in der Schweiz. Schon
Guftav Freytag hat den Wert von Keßlers, jetzt durch
Egli trefflich herausgegebenen Sabbata für die Reformationsgefchichte
erkannt. Befcheidener ift der Gewinn,
welchen uns die im erften Band der Quellen zur Schweize-
rifchen Reformationsgefchichte von G. Finsler herausgege- t
bene Chronik des Züricher Modiften Bernhard Wiß bot.
Ihr reiht fleh die Chronik des Winterthurer Laurencius
Boßhart, Chorherrn auf dem Heiligenberg bei Winterthur,
an, welche bis zum Jahr 1532 reicht. Ift diefes Werk j
zu einem guten Teil Lokalgefchichte von Winterthur, fo j

ift es doch die Arbeit eines vetftändigen, ruhigen Beobachters
, der ein offenes Auge für feine Zeit hatte, gut
i unterrichtet war, nüchtern, leidenfchaftslos, wahrheitslie-
j bend urteilte, klar darzuftellen wußte und ein warmes
! Herz für die Not des kleinen Mannes und die fozialen
[ Fragen, (Almofen und richtige Armenunterftützung) hatte.

Wir lernen manche neue Züge kennen. Z. B. in der
: Befchreibung der Fronleichnams-Prozeffion S. IOO fagt
B., die Priefter trugen Kelche, in die man ihnen während
! der Prozeflion guten Wein eingoß, den fie tranken. ,Alfo
! beging man den Tag mit Hoffart und Füllen.' Die Verwirrung
, welche das Gebot der Pfaffenehe und die Änderung
im Gottesdienft hervorrief, die Kämpfe zwifchen
den Anhängern des alten und neuen Glaubens z. B. in
Glarus, Zurzach, Solothurn, Zug, die Sorge Zürichs um
evangelifche Predigt in dem vielbefuchten Baden werden
fcharf gezeichnet. Es feien hier einzelne beachtenswerte
I Züge hervorgehoben. Sehr beftimmt datiert B. den Anfang
des,Evangeliums' mit Luthers Auftreten 1517 (S. IOO).
Die Bauern rufen bei den gut gefchilderten Unruhen in Töß
j 1525: Heut ift Zürich am höchften gefin (S. 113). B. hat
Kunde vom Eßlinger Tag der evangelifchen Städte 1528
(S. 130). Die Hebung der Sittlichkeit durch die Reformation
: weift B. am Lager der Züricher nach, wo Unzucht und Raub
verbannt waren und brüderliche Liebe und Friede herrfchte
(S. 145). Bezeichnend ift auch die Klage der ,gemeinen
Metzen' vom Wandel der Dinge auf dem Markt zu Zurzach
(S. 210). Offenbar auf Zwingli geht der kleine Zug
im Auftreten der fächflehen Theologen in Marburg 1529
zurück; ,fie find komen', fagt derChronift mit Staunen, .mit
! iren gefüllten fchuben (Schaube: langes, weites Überkleid)
und guldinen ringen an iren fingern' (S. 168). Sehr an-
I fchaulich ift die Schilderung des Aufruhrs in Wil und
der Ereigniffe in Rheinau (S. 1746". 178 ff)- B. erwähnt
auch mancherlei Gerüchte, in denen fich die Hoffnungen
und Befürchtungen der Evangelifchen wiederfpiegeln, fo
1530 die Nachricht, der König von Frankreich laffe in
feinem Land das Evangelium predigen und erlaube, alle
Bücher zu lefen, welche nicht ,wider göttliche biblifche
gefchrifft' feien. (S. 182). Ebenfalls 1530 bringen Kaufleute
von der Frankfurter Meffe ,for eine gantze wahr-
1 heit' heim, ,wie der Bifchof von Mentz ein wib zur ee
genommen, auch das evangelion predigen laffe und dem
: gotswort byftande'. (S. 183).

Von dem am 12. Juli 1530 auf dem Reichstag zu
Augsburg eines geheimnisvollen Todes geftorbenen Grafen
Felix von Werdenberg weiß der Chronift, er habe den
Kaifer gebeten, ihm die Reichsftadt Memmingen zur Be-
ftrafung zu übergeben, er wolle fie allein ohne fremde
I Plilfe und große Kotten vom ketzerifchen Glauben abbringen
(S. 211).

Der Bearbeiter der Chronik, der Winterthurer Lehrer
Kafpar Haufer, gibt einen forgfältig hergeftellten, korrekten
Text und fehr reichhaltige, aus gründlichen Studien
gewonnene Erläuterungen und eine Reihe von Beilagen,
von denen S. 368 ff. ,Von der erften ee der priefter' d. h.
Zölibat und Priefterehe in Winterthur 1481 —1524 besondere
Beachtung verdiente. S. 107 Z. 24 und S. 389
linke Spalte Z. 3 1. Gerwig ftatt Herwigk, S. 171 Z. 12
landrumig ftatt landrunig (Vgl. räumen Jer. 9,18. 1. Cor.
5,10). S. 262 Z. 16 epigramma ftatt eprigramma. Im Re-
gifter fehlt Beck, Paul 128, 27. Gyßlingen, Geislingen
128, 27.

Stuttgart. G. Boffert.

Hermelink, Priv.-Doz. Lic. Dr. H., Die religiöfen Reform-
beftrebungen des deutfehen Humanismus. Tübingen, J.
C. B. Mohr 1907. (III, 55 S.) gr. 8° M. 1.20

Das letzte Ziel diefer Studie ift die noch immer um-
ftrittene richtige Beurteilung des Erasmus. ,Um die
religiöfe Bedeutung des Erasmus zu erforfchen, fragen
wir nach den religiöfen Reformbeftrebungen des deutfehen