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Ausgabe:

1908 Nr. 14

Spalte:

407-408

Autor/Hrsg.:

Heinrici, C. F. Georg

Titel/Untertitel:

Der literarische Charakter der neutestamentlichen Schriften 1908

Rezensent:

Schürer, Emil

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Seite 1

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407

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 14.

408

befeitigt würde, zu helfen. Ich lefe ffatt diefes Wortes
HsDM: ,der Sitz aus rotem und blauem Purpur, | eingelegt
mit Ebenholz'. Den von Haupt im übrigen zu Grunde
gelegten Text bietet fein fchon 1902 erfchienenes Schriftchen
: The Book of Canticles, Sonderabdruck aus AJSLL

18, 193—245- 19- 1—32.

S. 104 erfcheint als italienifches Wort für die Winterfeigen
: cratiri, S. 132: cratici. Ich weiß nicht, was das
Richtige fein foll, da fich keines von beiden in den Wörterbüchern
findet.

Bafel. Alfred Bertholet.

Heinrici, D. C. F. Georg, Der literarifche Charakter der
neuteltamentlichen Schriften. Leipzig, Dürr'fche Buchh.
1908. (VIII, 127 S.) 8° M. 2.40

Die Abficht diefer Studie ift, zu zeigen, daß die
Schriften des Neuen Teftamentes hinfichtlich ihres ,lite-
rarifchen Charakters' fich als eigenartige Gebilde von der
übrigen Literatur des Altertums abheben. Das Urteil
des Verfaffers ruht überall auf einer ungewöhnlich um-
faffenden Kenntnis des Materiales. Lefefrüchte aus den
verfchiedenften Gebieten der antiken wie der altchrift-
lichen Literatur ftehen ihm in beneidenswerter Fülle zur
Verfügung, fo daß feine Ausführungen vollen Anfpruch
auf Beachtung und ernfte Erwägung erheben dürfen.

Nach einigen Vorbemerkungen ,zur Gefchichte des
Problems' (S. I—6) wird zunächft der geiftige Hintergrund
gefchildert: die helleniflifche Kultur einerfeits und das
Judentum andererfeits, beides hauptfächlich nach der
religiöfen und literarifchen Seite (S. 6—23). Eine Unter-
fuchung über ,die Urfprungsbedingungen des neutefta-
mentlichen Schrifttums' (S. 23—35) zeigt, daß diefes in
der Hauptfache aus dem Bedürfniffe der Miffion entfprun-
gen ift: diefe Schriften find Zeugniffe des Glaubens und
wollen Glauben wecken.

Den Kern der Arbeit bilden die beiden Plauptab-
fchnitte: ,Die literarifchen Formen der neuteltamentlichen
Schriften' (S. 35—99) und ,die Ausdrucksmittel'
(S. 100—125).

,Neue Aufgaben und neue Verhältniffe fchaffien neue
Formen' (S. 35). Sehr ftark wird dies hinfichtlich der
fynoptifchen Evangelien betont (S. 35—48). H. fucht zu
zeigen, daß es nichts wirklich Analoges in der außer-
chriftlichen Literatur gebe. Es liegt in ihnen ,ein eigenartiges
Schrifttum vor, ein anderes als in den Denkwürdigkeiten
des Sokrates oder der Lebensbefchreibung
des Apollonius von Tyana oder den Philofophenbiogra-
phien des Diogenes Laertius, aber auch ein anderes als
in den Gefchichtserzählungen des Alten Teftamentes und
in den Sammelbüchern der altteftamentlichen Prophetien'
(S. 40). Ich fürchte, daß es faft auf einen Streit um
Worte hinauslaufen würde, wenn ich hier mehr die andere
Seite betonen würde. Man kann fehr ftark die Eigenart
der Evangelien betonen als fchlichter und gewaltiger
Zeugniffe eines in fich gefertigten zuverfichtlichen Glaubens
, und dabei doch finden, daß fie als literarifche Produkte
nicht ohne Analogien in der alten Literatur find.
In Betreff der Apoftelgefchichte ift dies auch Heinrichs
Anficht. Sie ift nach ihm ,das einzige Buch im Neuen
Teftamente, das fich in die gleichzeitige hellenifche Literatur
einreihen läßt' (S. 91). Wenn dies aber von dem
zweiten Teil des lukanifchen Werkes gilt, kann man dann
von dem erften das Gegenteil behaupten? Evangelium
und Apoftelgefchichte find doch nur die beiden Teile
eines Werkes, das als literärifches Erzeugnis angefehen
einen einheitlichen Charakter trägt.

Aufgefallen ift mir in den Ausführungen über die
Synoptiker die Polemik gegen die Zwei-Quellen-Theorie
CS. 38, 39). ,Die fynoptifchen Evangelien fchöpfen ihr
Überlieferungsgut nicht aus zwei Quellen, fondern fie
buchen, jedes in feiner Weife, das von den Augenzeugen
berichtete und von den Wanderlehrern verkündigte Evan-

I gelium, das Gemeinbefitz der Gläubigen ift' (S. 39). ,1m
einzelnen verfchlingen fich wörtliches Zufammenkiingen
| und vielerlei Abweichungen, die unmotiviert er-
! fcheinen, wenn eine literarifche Abhängigkeit der
Synoptiker angenommen wird, in buntem Wechfel'
(S. 43). Wenn H. damit wirklich, wie es den Anfchein
hat, die Thefe ablehnen will, daß die Verwandtfchaft der
Synoptiker aus der verfchiedenartigen Benützung gemein-
famer fchriftlicher Quellen zu erklären ift, fo würde
ich darin einen bedauerlichen Rückzug aus einer längft
errungenen abfolut ficheren Pofition erblicken müffen.

Auch beim Johannesevangelium (S. 48—56) betont
H., daß es fich nicht ,auf eine gegebene Literaturform
zurückführen läßt' (S. 56). Ähnlich ift feine Beurteilung
der Briefe (S. 56—82). Namentlich Paulus ,verfügt eigenartig
und unabhängig über alle Ausdrucksmittel' (S. 68).
,Nicht die Formen des Midrafch, weder die Halacha noch
die Haggada geben feinen Briefen das Gepräge' (S. 70).
Stärker ift der Einfluß nicht-chriftlicher Vorbilder bei
einigen der katholifchen Briefe. ,Der zweite Petrus- und
der Judasbrief vergegenwärtigen Unterftrömungen, die fich
fowohl mit helleniftifchen, wie mit fpätjüdifchen Elementen
berühren, der Jakobusbrief lehnt fich fowohl an die
helleniflifche Diatribe wie an die altteftamentliche und
evangelifche Spruchweisheit' (S. 98). — Die Apokalypfe
(S. 83—91) Hellt zwar einen vorhandenen Typus der
Literatur dar und übernimmt aus verwandten Vorftellungs-
kreifen ihr Anfchauungsmaterial. ,Aber über diefen ße-
ziehungen darf ihre Eigenart nicht überfehen werden.
Kein apokalyptifches Buch des Spätjudentums und keine
Schrift der helleniftifchen Myftik ift fo einheitlich gefaßt
und fo klar durchleuchtet von einer Grundanfchauung'
(S. 89). — Das Urteil über die Apoftelgefchichte (S. 91 bis
98) ift bereits oben mitgeteilt. In der Verfafferfrage
fchließt fich H. an Harnack an, der mit Recht für Lukas
als Verfaffer eingetreten fei (S. 91). —■ Aus den Erörterungen
über die Briefe fei noch erwähnt, daß H. (mit
B. Weiß) den erften Petrusbrief ,an die Judenchriften
Kleinafiens' gerichtet fein läßt (S. 75).

Der letzte Abfchnitt über ,die Ausdrucksmittel'
(S. 100—125) zeigt, daß auch die Sprache des N. T.
nicht einfach die der xoivrj ift, fondern ihre Eigenart
behauptet (S. 102). Mit Recht wird namentlich betont,
daß die Begriffsbildung durch die altteftamentliche Religion
entfcheidend und durchgehends beeinflußt ift (S. 110).

Göttingen. E. Schürer.

Tertullian adversus Praxean, herausgegeben von Dr. E.
Kroymann. (Sammlung ausgewählter kirchen- und
dogmengefchichtlicher Quellenfchriften. Zweite Reihe.
Achtes Heft.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1907. (XXIV,
88 S.) 8" M. 2—; geb. M. 2.50

Mit Tertullians Streitfchrift gegen den Modaliften
Praxeas hat Krügers Sammlung kirchen- und dogmengefchichtlicher
Quellenfchriften eine höchft erwünfchte
Bereicherung erfahren: bisher war diefe zur Einführung
in die ältefte Gefchichte des Trinitätsdogmas vor allen
andern geeignete Schrift faft nur in den Gefamtausgaben
Tertullians zugänglich; jetzt empfängt der Student einen
zugleich billigeren und befferen Text als bisher.

In der Hauptfache bietet Kr. den in feiner großen
Ausgabe von Tertullian im Corp. scriptt. eccl. lat. Bd. 47
(f. meine Anzeige in diefer Ztf. 1906 Nr. 23) konftituier-
tenText, natürlich mit den durch die Zwecke derQuellen-
fchriften-Sammlung bedingten Abzügen und Zutaten. Die
Auswahl aus dem textkritifchen Apparat S. 52—64
konnte nicht wohl knapper ausfallen: jeder Blick auf
diefe Seiten lehrt, wie arg Tertullians Text durch die
Überlieferung gelitten hat. Wie energifch Kr. aber an
der Herftellung des Echten zu arbeiten nicht aufhört,
demonftriert S. 65 das (nicht einmal vollftändige) Ver-