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Ausgabe:

1908 Nr. 13

Spalte:

395-396

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, A.

Titel/Untertitel:

Die Gültigkeit der Moral 1908

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 13.

396

zu gewinnen. Aus Kants Analyfe des fittlichen Bewußt- I wäre es ein Unrecht, nichts von ihm zu fagen; denn offen-
feins folgt nichts weiter, als daß die fittlichen Normen bar enthält es für klügere Leute viel Gutes und Neues,
in irgendeiner Weife in unterem eigenen Wefen, genauer, | wenn fie es nur verftehen, diefe eigenartige Denk- und
da fie für alle vernünftigen Wefen gelten, in unferem ! Ausdrucksweife in die gewöhnliche Sprache der wiffen-
eigenen Vernunftwefen begründet fein müffen. Es kann fchaftlichen xoivt] zu überfetzen. Ich begnüge mich da-
fich dabei aber nicht um Gefetze handeln, welche bloß ! her damit, einen Auszug aus dem Auszug zu geben, den
für jedes Betätigung innerhalb feiner eigenen Sphäre gelten, der Verf. in einem Schlußabfchnitt anfügt. — 1) Die Gültig-
fondern um Gefetze, welche die gegenfeitigen Bezie- keit der Moral befteht darin, daß fie ein methodifcher
hungen vernünftiger Wefen regeln. Um die fittlichen Verfuch ift, alle übrigen Bewußtfeinsinhalte auf den
Normen zu finden, braucht man daher bloß die Frage Menfchen zu beziehen. Hieraus ergibt fich ihre Allge-
aufzuwerfen, welches die Beziehungen vernünftiger Wefen, J meingültigkeit für alle Menfchen, mögen diefe nun berein
in ihrer Eigenfchaft als Vernunftwefen betrachtet, zu wußte Träger oder unbewußte Objekte diefes Verfuches
einander find. Auf theoretifchem Gebiete ift klar, daß fein. Da der Sinn ,Menfch' wohlberechtigt und unerfetz-
alle Gemeinfchaft vernünftiger Wefen die Wahrhaftigkeit bar ift, kommt der Moral Eigengültigkeit, dagegen kommt
vorausfetzt, ,Wahrhaftigkeit in dem (engeren) Sinne, daß j ihr keine Alleingültigkeit zu, wenn damit gefagt fein foll,
die betreffenden Perfonen in ihren Äußerungen fich mit , daß nur von diefer Beziehung auf den Menfchen alle
ihrem wirklichen Denken, ihren Überzeugungen in Ein- j Bewußtfeinsinhalte ihre Gültigkeit erhalten, höchftens fo,
klang erhalten' (S. 36). Auf praktifchem Gebiet ift das daß jede Auseinanderfetzung zwifchen ihnen und der
Grundgefetz für die Beziehungen vernünftiger Wefen die Moral felbft moralifche oder wenigftens ethifche Formen
Zuverläffigkeit. Dazu kommen noch als Grundbedin- annehmen muß. 2) Weil die gewöhnlich zu ethifchen
gungen der geiftigen Gemeinfchaft das Gefetz der Frei- Konftruktionen verwandten Ideen nicht als zulängliche
heit des Gedankenaustaufches und das Gefetz der Freiheit : ethifche Ausdrucksmittel dienen können, müffen fie einer
des Handelns. Alle diefe Gefetze verlangen nichts an- Kritik unterworfen werden; das gefchieht mit der Idee
deres als Achtung vor den Bedingungen der Vernunft- j des Gefetzes, der der Freiheit, der der Ergänzung und
gemeinfchaft. ,Nun kann aber alle Tendenz, welche dem j Entwicklung und der des Ideals. 3) Der pofitive Teil
freien Walten der Vernunft feindlich entgegentritt, als zeigt, wie fich der Menfch, alfo der Ort und Inhalt der
Unwahrhaftigkeit bezeichnet werden, und ebenfo die Moral, in feiner Welt, und wie er fich im Gefamtbewußt-
Achtung vor dem freien Walten der Vernunft nebft einem fein überhaupt vorkommt. Mit feiner Welt gehört er

dementfprechenden Verhalten als Wahrhaftigkeit'. Die
Forderung der Wahrhaftigkeit ift daher die Quelle
aller anderen fittlichen Forderungen und der wahrhaftige
Menfch ift zugleich der fittliche Menfch (S. 39f. 72). Die
Wahrhaftigkeit als Moralprinzip dient dann dem Verf.
weiter zur Beantwortung der Frage, weshalb das Sitten-
gefetz verpflichtet, zur Beleuchtung des Verhältniffes
von Willensfreiheit und Naturnotwendigkeit, und endlich
zur Begründung der Beziehung des Sittengefetzes zum
höchften Gut.

Scharffinnig und folgerichtig führt der Verf. die Wahrhaftigkeit
als fittliches Grundprinzip durch, läßt aber doch
manche Gegenfrage offen. Ift der kategorifche Imperativ
nach Kant wirklich ein Prinzip der ,Formung der fub-
jektiven Grundfätze' und nicht vielmehr bloß ein Kriterium
der fchon vorhandenen? Zugegeben, daß auch Kant zu
den einzelnen fittlichen Normen ohne Zweckvorftellungen
nicht gelangen kann, — find von dem Verf. die fittlichen
Grundgefetze völlig apriorifch entwickelt? Ift feine Entwicklung
nicht vielmehr abhängig von der erfahrungs-

zufammen, weil vermöge der Mittelbegriffe Gefchichte und
Leben fowohl Menfch als Produkt feiner Welt, wie feine
Welt als Produkt des Menfchen gelten kann, ein Verhältnis
, das nur aus der Struktur des Gefamtbewußtfeins
heraus begriffen werden kann, an delfen beiden Hauptrichtungen
auch der Menfch mit feinem Erkennen und
Handeln teil hat. Die beftändige Beziehung beider Richtungen
aufeinander ift die tranfzendentale Bedingung
menfchlich moralifchen Handelns, wie auch die des Ge-
fchehens im Gefamtbewußtfein. Hieraus ergibt fich, daß
der Moral jede Funktion des Individuums und der Gemeinfchaft
unterworfen ift, und daß die Moral als Kulturmoral
zwei Haupttendenzen umfchließt, die auf Äußerung
und die auf Tat, oder Hygiene und Sitte. Das
Mitbewußtfein des Menfchen, daß aller Sinn nicht erft
durch Beziehung auf den Menfchen finnhaft ift, bringt
in alle Kulturmoral einen nuancierenden Nebenfinn und
etwas über den erzielten Erfolg hinaus Geahntes hinein.
Die Kulturmoral aber hebt fich gerade dadurch in ihrer
Eigengültigkeit ab, wenn fich philolbphifche, äfthetifche,

mäßigen Kenntnis der menfchlichen Gemeinfchaft? Und ! religiöfe Betrachtungsweife als eigene Lebensgebiete aufendlich
: Ift jenes Prinzip der Wahrhaftigkeit in der all- j tun, ohne daß diefe damit der Moral entfallen; denn fie

gemeinen eben charakterifierten Bedeutung mehr als bloß
eine andere und zwar ungewöhnliche Benennung des
Prinzips der Autonomie, da ja eben die ,Wahrhaftigkeit im
engeren Sinne' es ift, die wir eigentlich mit dem Worte
meinen? Wird jene Erweiterung des Sprachgebrauches
nicht fchon deshalb beffer vermieden, weil zwifchen Wahrhaftigkeit
und Menfchenliebe Konflikte entliehen können
(vgl. Kant ,Über ein vermeintes Recht aus Menfchenliebe
zu lügen'), bei welchen die Wahrhaftigkeit nur im Wettbewerb
mit anderen fittlichen Forderungen auftritt?

Heidelberg. Th. Elfe nhans.

Hoffmann, Pfr. Dr. A., Die Gültigkeit der Moral. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1907. (VII, 118 S.) gr. 8° M. 3 —

Die Befprechung diefes Buches hatte ich abgelehnt,
weil es mir nach mehrmaligem genauem Durchftudieren
nicht möglich war, zu verftehen, was der von mir per-
fönlich fehr hochgefchätzte Verfaffer darin hat fagen
wollen. Der Bitte, fie dennoch zu übernehmen, habe ich

haben gegenüber der Gefahr des Nichts das Intereffe
an Ort und Inhalt mit ihr gemein. — Das Buch foll
fich vor allem richten gegen jede Begründung der Moral,
die ihre Gültigkeit von der einer ihr fubordinierten Gültigkeitsart
ableiten will, wie etwa von kaufalen oder allgemein
theoretifchen Erklärungsprinzipien. Es will vielmehr
diefeGültigkeitinnerhalbeiner umfaffenderen Anfchauungs-
form abgrenzen, wo fie nicht als Problem, fondern als
Faktum erfcheint, im Sinne des Wortes:,Das Moralifche
verlieht fich von felbft'. — So fcheint für H. alles darauf
hinauszukommen, daß die Moral ihre Gültigkeit daher hat:
fie ift die Vorausfetzung für alles, was den Menfchen
angeht; aber wie dankbar wäre ich ihm, wenn er diefes
in einer Weife ausgedrückt hätte, daß es alle die verftehen
können, die es angehtl

Heidelberg. F. Niebergall.

Notiz.

Von Herrn Privatdozent Dr. Greving in Bonn werde ich darauf

eVft'enVpröchenr'als^ ich ^^^^^^^MOBt I ^^^S^A^Z l" tJrT fuflatze ,Zum vorreformatorifchen

j, » ', , T . ' . , —, , t, ,r , Beicntunlerncht, welcher in der ,1 eftgabe Alois Knopfler zur Vollendung

Uber die neuere ethifche Literatur in der 1 heol. Kundfchau I des 60. Lebensjahres gewidmet' (Veröffentlichungen aus dem Kirchen-

in gleicher Ratlofigkeit Vor dem Buche fleht. Und doch hiftorifchen Seminar München III, 1. S. 46—81) erfchienen ift, eine ein-