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Ausgabe:

1908

Spalte:

17-19

Autor/Hrsg.:

Schnürer, Gustav

Titel/Untertitel:

Das Fragmentum Fantuzzianum, neu hrsg. u. kritisch unters. Ein Beitrag zur Geschichte d. Entstehung d. Kirchenstaates 1908

Rezensent:

Haller, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. r.

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auch die franzöfifche Überfetzung fehr ungenau und
fehlerhaft iff, die Giron unter dem koptifchen Texte abdruckt
. Ich greife einige Stellen heraus. S. 23 de l'abon-
dance; richtig ,und in der Freude'; das Folgende ift
ganz ungenau wiedergegeben; es muß heißen: ,Äber von
dem Baume, der in der Mitte des Paradifes iff, follt ihr
nicht effen und ihr follt ihn auch nicht berühren, damit
ihr nicht fterbt'. S. 31 lorsqu' il apprit; richtig ,als er
ihn belehrt hatte'. S. 41 ils le laverent et le parfumerent;
richtig ,fie begruben fie'. Ebenda ils le prircnt; richtig
,fie legten fie hinauf'. S. 73 afin qu'on n'en ait pas con-
naissance: richtig ,ich weiß nicht' ufw.

Revillout hat dem Buche eine Vorrede beigegeben;
dort bemerkt er S. VIII, Giron hätte fich verfchiedene
Fehler zufchulden kommen laffen. Warum hat R. nicht
ihre Berichtigung veranlaßt? Der unberechtigte Ausfall
gegen die Berliner Agyptologenfchule (ebenda) wäre beffer
weggeblieben.

Halle (Saale). J. Lei pol dt.

Schnürer, Guftav, und Diomedes Ulivi, Das Fragmentum

Fantuzzianum, neu herausgegeben und kritifch unter-
fucht. Ein Beitrag zur Gefchichte der Entllehung des
Kirchenflaates. Mit zwei Kupfer-Autotypien. (Freiburger
hiftorifche Studien. Fase. II.) Freiburg, Uni-
verfitäts-Buchhandlung (O. Gfchvvend) 1906. (VIII,
128 S.) gr. 8° fr. 3.50

Die Verf. unternehmen nichts Geringeres, als aus
dem bisher von allen ernfthaften Forfchern als elendes
und fpätes Machwerk bei Seite geworfenen Fantuzzifchen
Fragment den wahren Inhalt des fo heiß umftrittenen
Verfprechens von Quierfy (754) und damit den Schlüffel zu
dem Problem der Entflehung des Kirchenflaates zu gewinnen
. Sie glauben nämlichbeweifen zu können, daß das
genannte Fragment auf eine zwifchen 778 und 780 angefertigte
Verfällchung der echten Urkunde Pipins zurückgeht,
und wollen nun durch Ausfeheiden der von ihnen für Interpolationen
erklärten Teile die utfprüngliche und echte
Urkunde herausfehälen k Den ziemlich breiten Ausführungen
im einzelnen nachzugehen, ift hier weder möglich
noch notwendig. Es genügt, die Methode zu beleuchten
, mit der das überrafchende Refultat gewonnen
wurde. Das Fragment, das fich als die Urkunde Pipins
von 754 gibt, ift fchlecht überliefert (Kopie des 16. Jahrh.
in einem Bande Kollektaneen zur venetianifchen Gefchichte
): es befitzt nicht die Spur einer äußeren Beglaubigung
. Die inneren Merkmale aber fchließen die
Möglichkeit der Echtheit von Anfang bis zu Ende aus.
Dies haben auch die Verf. eingefehen; ihr Rettungsver-
fuch beruht deshalb auf einer ,Emendation' des Textes,
die an Willkürlichkeit nichts zu wünfehen übrig läßt. Ein
paar Beifpiele. Der überlieferte Text beginnt: In nomine
dorntni ab incarnatione D. nostri Jesu Christi anno . . .
(fo) qui cum patre et spiritu saneto regnat Dctis ante et
wfutura secuta, amen. Die Emendation lautet: In nomine
domini nostri Jesu Christi, qui cum patre ufw. Bequem
genug! Die HS. nennt unter den zu reftituierenden
Ortfchaften (vor Terracina) ein pastrum Ncbitas'. Da
dies nicht zu erklären ift, wird es flugs durch pastra
maritima1 erfetzt. Noch bequemer! Lieft die HS. ,per
patronatum defensionemque Hominis nostri elegamini', fo
fetzen die Verf. dafür per patronatum deferre honores
nommis nostri elevatione1. Und fo fort. Die Methode
der Verf. läßt fich alfo dahin kennzeichnen: Vorausfetzung
ift, daß das Fragment im Kerne echt fei, folglich muß
alles, was dem nicht entspricht, eine Entftellung des

I) In ähnlichem Sinne hatte fich fchon L. M. Hartmann, Gefch.
Italiens II 2 (1903) S. 326 nach dem Vorgange von Hubert, Revut hist.
I.XIX S. 259 in einer leicht hingeworfenen Vermutung geäußert. Ich
möchte bezweifeln, daß er das aufrecht halten würde, wenn er zu dem
erfuche genötigt wäre, es zu heweifen.

urfprünglichen Textes fein und verbeffert werden. Auf
Grund des fo gewonnenen Textes wird dann weiter
gefolgert. Ich denke, man wird mir darin beiftimmen,
daß dies das genaue Gegenteil wiffenfehaftlicher Methode
ift; und ich denke auch, man wird es begreiflich
finden, daß ich auf eine Diskuffion im Einzelnen bei fo
entgegengefetzten methodologifchen Vorausfetzungen
mich nicht einlaffe. Wie wenig wirkliche Schulung
diefen kühnen Textmanövern zu Grunde liegt, verraten
die Verf. übrigens, wenn fie meinen, ein ihnen finnlos
fcheinendes ppostolatuF fei aus der Abkürzung .apost.
patris* verlefen, oder wenn fie (S. 87) den für fie ebenfalls
finnlofen Namen .Suriauo' durch Verlefen aus ,S.
Ueria.no entftehen laffen. Als ob folche Abkürzungen
im früheren Mittelalter paläographifch denkbar wären!
Ebenfo ift es mit den oben erwähnten pastra maritima':
was follen das für Seefeftungen fein, zwifchen Rom und
Terracina? Und was ift fchließlich mit diefen gewaltfamen
Texteskuren gewonnen? Das Fragment bleibt nach wie
vor ein Monftrum nach Form und Inhalt. Es beginnt
mit einer Invokationsformel (f. o.) und einer Titulatur (dei
gratid), die den Urkunden Pipins gleich unbekannt find.
Die Verfaffer fuchen zwar des Längeren und Breiteren
zu beweifen, es könne hier wohl eine Ausnahme von
den feftftehenden Gewohnheiten der fränkifchen Königskanzlei
gemacht worden fein1. Das ift freilich wieder fehr
bequem, aber es ift auch wiederum das gerade Gegenteil
kritifcher Methode. Auf den Vorgang Sickels (in der
Kritik des Ludovicianum) können fie fich nicht berufen;
denn dort handelt es fich um ein paar ungewöhnliche
Einzelheiten, hier aber find nicht nur alle Formeln
falfch, fondern das ganze Diktat, vom erften bis zum lezten
Worte, hat von einer fränkifchen Königsurkunde nicht die
blaffefte Ähnlichkeit. Sollen wir nun mit Sehn, und Ul.
annehmen, die Urkunde von Quierfy fei von Anfang bis zu
Ende nicht in der Königskanzlei, fondern von päpftlichen
Schreibern aufgefetzt worden? Da wäre ja der hilfeflehende
Stephan II. feinem Retter gegenubergetreten, wie der
Sieger dem Befiegten. Eine unhaltbare Vorftellung.
Dazu der Inhalt. Soweit wir die Begebenheiten kennen —
und wir haben hier fo gute Quellen, wie den Uber Ponti-
yficalis und die Chronik Niblungs —, ift alles falfch, was
i das Fragment fagt. Die Chronologie der überdies ganz
albernen Narratio ift unmöglich: die dort erwähnten 2
bis 3 Gefandtfchaftcn Pipins an Aiftulf gingen erft nach
dem Reichstag von Quierfy ab, auf dem die Urkunde
ausgeftellt fein foll. Der Kriegszug nach Italien wurde
erft im Auguft angetreten, nicht 30 Kai. Maj., wie das
Fragment behauptet. Was die Verf. vortragen, um diefe
Fehler wegzudisputieren, ift ganz haltlos. Vor allem
aber: der Fälfcher hat garnicht begriffen, was zwifchen
Stephan und Pipin vorgegangen iff. Mag auch das
Schenkungsverfprechen ftreitig fein, das wiffen wir nun
doch ganz genau, daß Stephan in Ponthion die romifche
Kirche formell in den Schutz des fränkifchen Königs
geftellt und von Pipin das feierliche Verfprechen
diefes Schutzes empfangen hat, das dann nachher zu
Quierfy mit Zuftimmung der Großen erneuert wurde.
Diefes Schutzverhältnis, das bekanntlich bis zum Tode
Karls des Kahlen gedauert hat, i(t der Kern aller Verhandlungen
und Abmachungen. Es müßte auch den
Mittelpunkt einer Urkunde bilden, die, fei fie fonft noch
fo verfälfeht, auf Pipins Verfprechen von Quierfy zurückgehen
foll. Das Fragment aber fagt mit keinem Worte,
j weder daß der Schutz erbeten, noch daß er verfprochen
! wurde, es weiß von der Begegnung in Ponthion nichts,
es nennt nicht einmal den Namen Quierfy! Den Reichs-
| tag, der dort ftattfand, erwähnt es mit den Worten: pr< -
cepimus, vi ex regnis nobis a Domino subditis (!) comites
tribuni (Sehn, fetzt dafür — immer gleich bequem —

1) U. a. mit fo fadenfeheinigen Gründen wie ,die Idee war Pipin
nicht fremd, daß er feine Königswiirde der Gnade Gottes verdanke'!