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Ausgabe:

1908 Nr. 13

Spalte:

387-388

Autor/Hrsg.:

Geschichte der christlichen Literaturen des Orients von Carl Brockelmann, Franz Nikolaus Finck

Titel/Untertitel:

Johannes Leipoldt, Enno Littmann 1908

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Seite 1

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387

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 13.

388

kanifch, oder veneto toscanizzato; neben dantesken Zügen
machen die Herausgeber befonders eine Anfpielung auf
icojährige Jubiläen geltend, die nur auf 1300 —1350 paßt. 1
2. Ob ein Verhältnis zu dem fchon im Gelafianum und j
bei Byzantinern bezeugten Evangelium Barnabae befiehlt
: weder das von Grabe aus Barocc. 39 noch das
von Harnack aus Gregor von Nazianz or. XLIII, 32 beigebrachte
Barnabaswort finden fich hier. 3. Was es
mit einzelnen der zitierten Schriften auf fich hat, befonders
mit dem libreto di Elia (K. 145) und mit der Schrift 1
Daniels (K. 185—188), welche äußerft merkwürdige Tra- j
ditionen über die Propheten Haggai, Obadja und Hofea
bietet, die an Franziskanerlegenden erinnern und vielleicht
mit den Karmelitern in Beziehung flehen. Das von
Mofes' und Jofuas Hand gefchriebene uralte Buch K. 191
foll wohl gar der Qoran fein. 4. Ob der Verfaffer eine
Evangelienharmonie oder ein Leben Jefu benutzt hat.
Es hat deren im Spätmittelalter, befonders in Italien,
eine große Menge gegeben, die z. T. noch garnicht unter-
fucht find. Soviel ich davon kenne, geht der Verf. in I
der Harmonifierung der 4 Evangelien feine eignen Wege, 1
fehr frei mit dem Material fchaltend. Die Steile, die
er der Perikope von der Ehebrecherin anweift K. 201,
erinnert etwas an die Ferrargruppe, fleht aber damit i
kaum im Zufammenhang; Jefus zeichnet in den Boden
einen Spiegel, worin jeder feine Sünde erfchaut (vgl. die |
LA von cod. U). An die mittelalterlichen Leben Jefu, 1
die ja meift zugleich Marienleben find, erinnert die Rolle,
welche die vergine madre hier fpielt: ihr zum Troft er-
fcheint der zum Himmel entrückte noch einmal K. 219.
Außer den Evangelien find faß: alle alt- und neuteftament-
lichen Schriften benutzt, auch die Johannesoffenbarung
und die Paulusbriefe, fodaß einzelne Worte daraus Jefus
in den Mund gelegt werden, obwohl gegen Paulus als
folchen im Prolog und Epilog fcharf polemifiert wird.

Haben fich auch die großen Hoffnungen, mit denen
die Gelehrten des 18. Jahrhunderts an diefe Schrift herantraten
, nicht befiätigt, fo lohnt fie doch ein gründliches j
Studium: zunächft fchon als ein außergewöhnliches Stück
fpätmittelalterlicher Leben-Jefu-Produktion, vor allem
aber als ein merkwürdiges Dokument der Berührung des
Islam mit dem Chriftentum. Wir werden uns den Verfaffer
als einen Renegaten des letzteren, vielleicht aus
Mönchskreifen, vorzuftellen haben, dem es wirklich Ernft
war mit dem reinen Monotheismus. Er tritt mit aller I
Energie für die Grundlehren des Islam ein, den er aber
weniger kennt als das Chriftentum, wie den Qoran weniger
als die Bibel. Dabei läßt fich nicht verkennen, daß er
durch die mitgebrachten chriftlichen Anfchauungen die
islamifchen Lehren z. B. betreffs der Seligkeit, fehr vertieft
und vergeiftigt hat. Aus der fcharfen Polemik gegen
die Pharifäer von heute klingt ein Proteft gegen die
Verweltlichung der Kirche und des Klerus heraus. Ob
es gelingen wird, den Mann noch einmal genauer zu
faffen?

Auf dem beigegebenen Fakfimile muß es heißen
p. I and 134.

Straßburg. von Dobfchütz. j

Gelchichte der chriftlichen Literaturen des Orients von

C. Brockelmann, Franz Nikolaus Finck, Johannes
Leipoldt, Enno Litt mann. (Die Literaturen des |
Olfens in Einzeldarftellungen. Band VII. 2. Abteilung.)
Leipzig, C. F. Amelang 1907. (VIII, 281 S.) gr. 8°

M. 4-; geb. M. 5-

...

Es muß als ein fehr verdienftlicher Gedanke diefes
Sammelwerks bezeichnet werden, unter die Einzeldarftellungen
der Literaturen des Olfens auch eine Gefchichte der
chriftlichen Literaturen ,des Orients' — warum nicht auch
,des Oftens'? — aufzunehmen. Nur über eine derselben, die
fyrifche,1 ftanden den Theologen bequeme Überfichten

zu Gebot (Wright, Duval); über das Armenifche fchon
weniger: man vergleiche Geizers Überficht (PRE 32,67);
unter ,Athiopifche Kirche' verweift diefe Enzyklopädie auf
,Abeffinifche Kirche' (I, 83—89), und dort findet fich
über die Literatur diefer Kirche fo gut wie nichts.
Crums Artikel über die ,Koptifche Kirche', der ftatt an
feinem Platz am Schluß von Band 12 fteht, gibt über
deren Literatur nicht ganz D/2 Seiten, und die chriftlich-
arabifche Literatur hat erft fo fpät Beachtung gefunden,
daß fie in dem genannten Werk kaum berückfichtigt ift.
Um fo angenehmer, hier von 4 Spezialiften beieinander
zu finden:

1. die fyrifche und die chriftlich-arabifche Literatur
von Brockelmann (S. I—74);

2. die armenifche Literatur von Finck (S. 75—130);

3. die koptifche von Leipoldt (S. 131 —183);

4 die äthiopifche von Littmann (S. 185—269).

Dazu 4 Regifter zu den einzelnen Abteilungen, von
denen das äthiopifche Littmanns weitaus am genaueften
ift. Auch der oben angegebene Umfang und fchon die
Inhaltsüberficht zeigt, daß die Bearbeitung nicht überall
eine gleichmäßige ift; Leipoldt gibt keine Gliederung
wie die andern. Aber man wird für alles, was hier geboten
ift, dankbar fein dürfen. Speziell über Leipoldts
Beitrag f. W. Crum in The Journal of Thcological Studies
9, 3llff.; und Brockelmanns Überficht über das Syrifche,
in dem ich näher zu Haufe bin, habe ich mit Genuß
durchgelefen; noch mehr Neues werden die meiften aus
dem armenifchen und äthiopifchen Teil lernen. Sie feien
namentlich auch den Kirchen- und Dogmenhiftorikern
empfohlen, die ihren Blick viel zu fehr auf den griechifch-
lateinifchen und europäifchen Teil der Kirche zu be-
fchränken pflegen. Einzelheiten wären da und dort anzumerken
. S. 156 z. B. erwähnt Leipoldt aus einer dichte-
rifchen Bearbeitung der Leidensgefchichte die Botfchaft
der ,Porzia' an Pilatus. So heißt deffen Frau doch wohl
erft feit Klopffock; als ,Prokla' läuft fie in der alten Legende
und fteht bei den Kopten am 26. Juni, bei den
Griechen am 27. Oktober im Kalender. An Druckfehlern
nenne ich S. 61 ,Mufe' ftatt ,Muße', S. 71 ,Lehrwörter'
ftatt ,Lehnwörter', S. 73 ,1880' ftatt ,1780'. Aber nicht
damit, fondern mit einem Wort des Dankes will ich
fchließen.

Maulbronn. Eb. Neftle.

Unfere religiösen Erzieher. Eine Gefchichte des Chriften-
tums in Lebensbildern, unter Mitwirkung von O. Baumgarten
, A. Baur, B. Beß, R. Buddenfieg, C. Clemen,
O. Clemen, S. M. Deutfch, A. Dorner, P. Grünberg,
W. Herrmann, O. Kirn, Th. Kolde, J. Meinhold, A.
Meyer, E. Preufchen, K. Seil und K. Wenck herausgegeben
von B. Beß. 2 Bände. Leipzig, Quelle &
Meyer 1908. gr. 8° Je M. 3.80; geb. M. 4.40

L Band. Von Mofes bis Huß. (VIII, 279 S.) — EL Band.
Von Luther bis Bismarck. (III, 265 S.)

Die Idee diefes Werkes ift an verfchiedenen Stellen
zum Ausdruck gebracht, fo z. B. von Buddenfieg am
Schluß feiner Arbeit über Wiclif und Huß: ,Aus dem
Staube des Alltagslebens Geift und Herz erheben zu den
großen Menfchen der Vergangenheit und zu ihren lebendigen
Gedanken, heißt fich tüchtig machen für die Aufgaben
des Tages, für die Gegenwart und eine größere
Zukunft'. Am ausführlichften gefchieht es in dem Schlußwort
W. Herrmanns, worin er feine bekannten Grundgedanken
mit immer neuen Worten fagt: Diefe religiöfen
Erzieher follen uns dazu helfen, daß wir unfer Eigenes
entwickeln und geftalten, während es eine grauenvolle
Vorftellung ift, wenn man meint, die Religion beginne
mit dem Gehorfam gegen irgendwelche Lehren. Dazu
dient das fchöpferifch Neue, das fich in den gefchilderten