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Ausgabe:

1908 Nr. 13

Spalte:

385

Autor/Hrsg.:

Hemmer, H.

Titel/Untertitel:

Les Pères apostoliques. I - II. Doctrine des Apôtres; épître de Barnabé 1908

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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385

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 13.

386

Les Peres apostoliques. I—II. Doctrine des Apotres; epitre
de Barnabe. Texte grec, Traduction frangaise, Intro- j
duction et Index par Hippolyte Hemmer, Gabriel
Oger et A. Laurent. Paris, A. Picard et Fils 1907.
(CXVI, 122 p.) pet. 8° fr. 2.50 j

Über den allgemeinen Charakter und Zweck der
jüngften Sammlung patriftifcher Texte mag man fich aus
Nr. 2 diefer Zeitung informieren, wo das 4. Heft —
Tertullian de praescr. haer. — befprochen worden ift, vgl.
auch 1906 Nr. 23 über Heft 3. Daß fich in diefem
neueften Heft mehrere Hände in die Arbeit geteilt haben,
führt zu keinen Unzuträglichkeiten. Die Uberfetzung ift
wohl gelungen, die Regifter find ziemlich zuverläffig. Der
Forfcher wird an die 116 Seiten der Einleitung nebft
kritifchen und exegetifchen Anmerkungen zur Apoftel-
lehre und dem Barnabasbrief gewiß nicht mit der Erwartung
umftürzender Neuigkeiten herantreten, fich aber |
bald überzeugen, daß H. Hemmer und G. Oger, auch j
wo fie fich an andre Gelehrte anfchließen, fich ein eignes
Urteil gebildet haben, und zwar ein fehr befonnenes und
maßvolles: die Didache lieber um 80 als um IOO verfaßt,
Barn, bald nach 117. Teilungshypothefen werden bei
Barn, abgelehnt, einzelne Interpolationen zugeftanden.
Hier wäre manchmal eingehendere Begründung erwünfcht. [
Dagegen gibt Hemmer faft eine alles umfaffende kirchen- 1
gefchichtliche Abhandlung über die Didache; die §§ 12
und 13 über ,die Euchariftie' und ,den Dienft am Wort'
bieten mehr als eine Einführung. — Keine Spur von
konfeffionellem Geift, und wäre es auch nur in der Vermeidung
der Bezugnahme auf proteftantifche Literatur, |
ift wahrzunehmen; die Verfaffer find in der Tat bemüht, j
ihre Quellen rein als Hiftoriker undExegeten zu verwerten.

Marburg. Ad. Jüli'cher.

Ragg, Lonsdale and Laura, The Gospel of Barnabas. Edited
and translated from the italian MS. in the Imperial
Library at Vienna. With a facsimile. Oxford,
Clarendon Press 1907. (LXXIX, 500 p.) gr.8° s. 16 —

Seit 200 Jahren befchäftigt die Gelehrten, befonders j
Englands ein Barnabas-Evangelium, das man in einem {
italienifchen und bald auch in einem fpanifchen Text
kennen lernte. Die einzige bisher bekannte italienifche j
Hdfchr. kam aus dem Befitz Cramers in den des Prinzen
Eugen von Savoyen und fo in die kaiferl. Hofbibliothek
nach Wien; die fpanifche ift ganz verfchollen. Die
Kenntnis des Textes beruhte bislang auf Auszügen, die j
John Toland, Nazarcnus 1718, de la Monnoie, Mena-
giana 1715, J. A. Fabricius, Codex apocr. NT' II 375
III 374 (hieraus Migne dict. des apocr. 11 139—143)
davon gaben. Wir danken es Canon W. Sanday, daß
er die Gefchwifter Ragg auf die hier vorliegende Aufgabe
hinwies: die Herausgeber haben ihre Aufgabe, fo-
weit Referent das zu beurteilen imftande ift, ausgezeichnet
gelöft. Sie geben neben dem genau nach der Wiener
Handfchrift, unter Beibehaltung der höchft auffälligen
Orthographie und Interpunktion gedruckten italienifchen
Text eine glatte englifche Überfetzung (gelegentlich
vielleicht etwas frei; aber dafür hat man ja das Original
daneben). Als Noten erfcheinen zunächft die arabifchen
Beifchriften mit Überfetzung, dann kurze Erläuterungen.
Die Hauptarbeit fteckt, außer in den Indiccs, in dem
Vorwort, worin eine literargefchichtliche Würdigung und
Fixierung verfucht wird. Hierauf kommt in der Tat
alles an.

Dies Barnabas-Evangelium ift ein Werk von 222 Kapiteln
, mindeftens dreimal fo lang als unfer Matthäusevangelium
. Es beginnt mit einer aus Mt und Lk ge-
mifchten Kindheitsgefchichte ohne alle apokryphen Zutaten
, aber mit Tilgung aller auf den Täufer bezüglichen
Stellen: Jefus felbft foll als der Vorläufer gelten für —

Mohammed! Die Jordantaufe wird vertreten durch eine
Offenbarung Gabriels auf dem Ölberg. Das Evangelium
geht dann bis zur Himmelfahrt: in der knappen Leidens-
gefchichte gibt das 4. Evangelium den Zettel, die andern
den Einfchlag: nur daß an die Stelle des in Gethfemane
durch Engel entrückten Jefus hier der von Gott in Jefu
Geftalt verwandelte Verräter tritt — ein Erzählungstrick, der
an die Pfeudoclementinen erinnert. Für die Wunderauf-
faffung kennzeichnend ift es, daß auf Jefu Wort Luk. 19, 40
hin die Steine fofort wirklich fchreien. Der Hauptftock
ift ein Gemifch von Erzählung und Reden, wie bei den
kanonifchen Evangelien, nur daß die Lehre bei weitem
überwiegt: diefer Jefus gibt endlofe Offenbarungen über
altteftamentliche Fragen, z. B. die Schöpfung des Men-
fchen, Satans Fall, Abrahams Jugendgefchichte, Stücke,
die mit dem jüdifchen Midrafch und islamifcher Tradition
übereinkommen. Am meiften aber liegt ihm am
Herzen, das Prädikat Gott oder Gottes Sohn von fich
zu weifen und auf Mohammed als den eigentlichen
Meffias hinzuweifen. Zur Strafe für die Vergottung,
die ihm von den Menfchen widerfährt, muß Jefus leiden.
Die berühmte Frage: Wes Sohn ift er? wird hier zu der
Frage: Wer war der Sohn, den Abraham opferte? Antwort
: Ismael; denn von ihm kommt der Meffias, Mohammed
. Mofes, David, Jefus bilden eine Reihe nicht
fortfchreitender, fondern immer nur wiederherftellender
Offenbarung. Mit der immer wiederkehrenden Formel:
So wahr Gott lebt, in deffen Gegenwart meine Seele
fteht, verkündet Jefus hier die Lehre von Gottes einzigartiger
Majeftät, von der unbedingten Verpflichtung des
Menfchen Gott gegenüber; in vielen z. T. fchönen, z. T.
wunderlichen Gleichniffen zeigt er, wie gar kein An-
fpruch auf Lohn befteht; mit großem Ernft fchärft er
das Bewußtfein ein, immer vor Gottes Angefleht zu
flehen und Gott alles fchuldig zu fein; bei jedem Atemzug
foll das Herz fagen: Gott fei Dank!, bei allem Guten:
Gott hats getan, bei allem Böfen: ich habe gefündigt.

Als Gewährsmann gibt fich ,der Jünger, der dies
fchreibt' und der dann vom Herrn mit ,0 Barnabas' angeredet
wird; er tritt verhältnismäßig oft hervor, in einer
ähnlichen Rolle wie der Ungenannte des 4. Evangeliums,
aber neben Johannes; am Schluß empfängt er von Jefus
den ausdrücklichen Auftrag zur Abfaffung des Evangeliums
: für die Leidensgefchichte follen Petrus und
Johannes feine Gewährsmänner fein.

Wie ift diefe wunderliche Kompilation zu verftehen?
Die Herausgeber haben bewiefen, daß fie nicht aus dem
Arabifchen flammt, wie die älteren Gelehrten annahmen,
fondern das Italienifche Original ift. Dafür fpricht 1. das
abfolute Schweigen der arabifchen Literatur über ein
folches Evangelium, 2. die Fehlerhaftigkeit der arabifchen
Beifchriften, 3. die Benutzung der Vulgata (es genügt
auf Jofefo di Abarimathia zu verweifen), 4. gänzliche
Unkenntnis Paläftinas (man kommt zu Schiff nach Na-
zareth), 5. Einwirkung italienifcher Verhältniffe des Mittelalters
(Lazarus und Maria find Befitzer der Orte Betania
und Magdala), 6. Einfluß mittelalterlich lateinifcher Exe-
gefe und Legende (der Jüngling Mk 14, 51 ift Johannes;
Judas entwendet immer den 10. Teil, daher 30 Silberlinge
als Erfatz jener 300 Joh. 12, 5), 7. Einfluß mittelalterlicher
Theologie lamma, senso, chame; Höllenteilung
nach den 7 Todfünden; 15 Vorzeichen derParufie).
Das einzige Orientalifche, was mir aufgefallen ift, ift das
Sprichwort vom Kamel, das in klarem Waffer nicht
faufen mag, weil es fein eignes häßliches Angefleht nicht
fehen will. Das kann aber bei einem Autor nicht auffallen
, der die islamifche Tradition gut kennt.

Fraglich aber bleibt 1. ob die Wiener Handfchrift
von zirka 1575 das Original ift oder — was die Herausgeber
wahrfcheinlich zu machen fuchen — Abfchrift
eines Werkes aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts; hierfür
fprechen manche dialektifche Erscheinungen: es ift
entweder von einem Venetianer abgefchriebenes Tos-

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