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Ausgabe:

1908 Nr. 10

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Hitzeroth, Carl

Titel/Untertitel:

Johann Heermann (1585-1647). Ein Beitrag der geistlichen Lyrik im 17. Jahrhundert 1908

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 10.

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zum Abfchluß kam. Es ift dankenswert, daß Dresbach I Kirchner, J., Philipp Nikolai, der Sänger des letzten

feine Lefer nicht nur mit der reformierten Kirchenordnung
von 1662, fondern auch mit der lutherifchen von 1687,
wie mit der Neuenrader, die Wilcke 1564 fchrieb, genau
bekannt macht und das innere Leben der Gemeinden
eingehend fchildert.

Das Buch wird wohl in der Graffchaft Mark dankbare
Lefer finden und auch für den ferner flehenden
Hiftoriker ein bequemes Nachfchlagebuch bilden. Ref.
ifl dankbar für den Hinweis auf den Uber valoris S. 25, der
für die Diözefe Köln einigermaßen darbietet, was der Uber
decimationis von 1275 für die Diözefe Konftanz ift, wie
auf das doppelte Martinsfeft in Weftfalen 4. Juli und 11.
Nov. (S. 26), den Begriff der Blutvikarie, einer für Blutsverwandte
geftifteten Pfründe (S. 59), die 1564 in ihrer
Fälfchung entdeckte Bluthoftie in Volmarftein (S. 288),
welche an das heil. Blut in Langenburg erinnert, das
nichts war als rote Flockfeide (Wibel, Hohenlohifche
Kirchen- und Reformationsgefchichte 1,217), wie au^ den
Anftoß, welche die Reformierten an dem Lied ,Nun laßt
uns den Leib begraben' nahmen, und für den intereffanten
Abfchnitt über den Aberglauben und allerlei Unfitten,
wie Rockendießen (Nachttänze auf den Spinnftuben).

An Bedenken gegen Aufftellungen Dresbachs fehlt
es nicht. Daß Mönche des heil. Martin bis nach Sachfen
vorgedrungen feien, ift kaum denkbar. Gewiß find frän

Wächterliedes. Ein Bild feines Lebens und Wirkens.
Gütersloh, C. Bertelsmann 1907. (88 S. m. Bildnis.) 8°

M. 1.2O; geb. M. 1.60

Hitzeroth, Oberrealfch.-Oberlehr. Dr. Carl, Johann Heermann
(1585—1647). Ein Beitrag zur Gefchichte der
geiftlichen Lyrik im fiebzehnten Jahrhundert. (Beiträge
zur deutfchen Literaturwiffenfchaft. Herausgegeben
von E. Elfter. Nr. 2.) Marburg, N. G. Elwert
1907. (V, 184 S.) gr. 8° M. 4 —

1. Das Lebensbild Ph. Nicolais (1556—1608) macht
auf wiffenfchaftlichen Wert keinen Anfpruch. Es ift ein
für weitefte Kreife verfaßtes volkstümliches Schriftchen,
das den Sänger der für die kirchliche Gemeinde wertvollen
Lieder: ,Wie fchön leuchtet der Morgenftern' und
,Wachet auf, ruft uns die Stimme' uns bekannt machen
will. Die Abficht ift wohlgelungen. In fechs Abfchnitten
wird das Leben und Wirken Nicolais vorgeführt; eine
Charakteriftik des Dichters befchließt das Buch. Der
Verfaffer bemüht fich, gerecht zu fein; er verfchweigt
nicht die Derbheit der Polemik N.s gegen die Calvi-
niften, wenn er auch den berüchtigten /Bericht von der
Calviniften Gott und ihrer Religion' 1598, diefes fchlimmfte

kifche Miffionen in Sachfen tätig gewefen, aber kaum j Produkt der Streitliteratur des 16. Jahrh., nur ftreift

fo früh als Dresbach annimmt. Zu den Begriffen: Pfarrer,
Pleban, Kaplan, Vikar S. 56/58 wäre eine Vergleich von
K. Müllers Abhandlung ,Die Eßlinger Pfarrkirche im
Mittelalter' (Württb. Vierteljahrshefte 1907, S 237 fr.) fehr
zu empfehlen. Der Satz S. 73: ,Predigten gehörten zu
den Seltenheiten' ift doch in diefer Allgemeinheit nicht

Anderfeits liegt es wohl jenfeit der Aufgabe des Ver-
faffers, die Bedeutung Nicolais für die fyftematifche
Theologie, befonders die Chriftologie, die durch J. A.
Dorner und Thomafius ins Licht geftellt ift, den Lefern
klar zu machen. Einer Korrektur bedarf der erfte Satz
des Büchleins: ,der Vater, Dietrich Nicolai, flammte aus

aufrechtzuhalten. Vgl. Hauck, 4, 38ff. Die Anekdoten j dem Hofe Rafflenböl, weshalb er feinem Namen gerne
über die Wirkung der Auguftana auf die katholifchen ! Raffelembolius hinzugefügt hat'. Der Vater nannte fich
Zuhörer (S. 152) verdienten einmal eine kritifche Prüfung. | jedoch Theodoricus, Nicolai filius, Raffelembolius (vgl.
Warum der gut deutfehe Erzbifchof von Salzburg Langus i RE 3 142s), wie häufig noch jetzt in Weftfalen war der
genannt wird, ift unverftändlich. Zu dem Satz: ,Ferdinand j Name des Hofes der Familienname, auch des Vaters.
(I), obwohl katholifch, ftand dem Proteftantismus wohl- j Erft unfer Philipp nahm den Namen des Großvaters
wollend gegenüber' (S. 238) gehört ein dickes Frage- 1 Nicolaus als Familiennamen (Nicolai) an.
zeichen. Vgl. Loefche, Gefchichte des Proteftantismus in 2. Um der gelehrten und forgfältigen Schrift Hitze-

Öftreich S. 4. Auch über die evangelifche Gefinnung

roths gerecht zu werden, hat man ein Zweifaches zu beMaximilians
II (S. 249) hat man allmählich fehr nüchtern , achten: 1. Der Verfaffer will einen Beitrag zur geift-
denken gelernt. Vgl. Ernft, Briefwechfel des Herz. Chri- liehen Lyrik des 17. Jahrh. geben; feine Monographie
ftoph v. Württemberg S. LI. Der Satz S. 192: ,Als j befchränkt fich daher auf den Dichter Heermann; von
Hauptverbreiter der Wiedertäufer kann . . Thomas Münzer j dem Prediger und Seelforger H., foweit feine feelforger-
angefehen werden' ift nicht ganz zutreffend. Ein Re- | liehe Tätigkeit nicht in der Mitteilung und Beurteilung
ligionsgefpräch in Frankfurt ift unbekannt (S. 202). Der | feiner Gedichte beleuchtet wird, erfahren wir nichts. —
Brief Luthers an Joh. Friedrich S. 186 follte bei Enders j 2. Die Monographie ift eine Doktordiffertation, nicht ein
oder de Wette nachgewiefen fein. Die Annahme, daß | abgerundetes und vollftändiges Werk. So werden die
Luthers Bibel fchon im Reformationsjahrhundert das j Dichtwerke H.s, die den Stoff der Arbeit liefern, nur
gelefenfte Volksbuch wurde (S. 298, 482), ift unhaltbar. | gelegentlich genannt: im übrigen verweift der Verfaffer
Vgl. die Liebestätigkeit der evgl. Kirche Württb. Jahr- , auf die Verzeichniffe, die Ph. Wackernagel und J.
bücher des württb. ftat. Landesamts 1905 S. 79. Früher Mützell gegeben haben. Der Charakter' der Differtation
durchgefehene Inventuren, wie die foeben vom Ref. als specialen eruditionis bringt es mit fich, daß die fpe-
benützten von Wiedertäufern des 16. Jahrhunderts reden zififch philologifchen Unterfuchungen über die Ab-
mit ihrem Schweigen deutlich. Ein verheirateter Priefter hängigkeit der einzelnen Werke und Dichtungen, über
vor Luthers Auftreten (S. 321) ift unmöglich, aber Prie- j die Sprache H.s, den Stil, die Metrik (Betonung, Reim,
fterföhne wie Heinr. Bullinger, die beiden Haller Chroniften j Versmaß) mehr als drei Viertel (S. 64—184) des ganzen
Ge. Widmann und Joh. Herolt, find zahlreich. Die Er- Buches einnehmen. Auch der Umftand wird wohl in
klärung von Femoral = Düngergrube S. 186 ift fehr zweifei- I der Eigenfchaft als Differtation begründet fein, daß alle
haft, Henifch gibt es mit Niederkleid wieder, was gewiß j diefe Philologica, wie mir fcheint, fehr ifoliert behandelt
richtig ift. Die JKirchenordnung des Pfalzgrafen Wolfgang werden; nur H., nicht feine Zeit und feine Zeitgenoffen,
von Zweibrücken ,wurzelt' nicht ,auf fächfifchem Boden1 wird unter die Lupe genommen. Die außerordentliche
(S. 295), fondern ift eine Tochter der württembergifchen. Genauigkeit der Beobachtung, die Sondierung der Ge-
RE. 103' 460. S. 155 1. Teutleben ftatt Tittleben. Reihing 1 dichte bis in die feinften fprachlichen Nuancen, ift gewiß
S. 379 ftarb 1628, nicht 1648. S. 411 1. Angermund ftatt , aller Anerkennung wert; dem philologifchen Dilettanten
Angermünde, das viel zu entfernt ift. S. 429 Z. 15 1. 1654 will es allerdings oftmals fo vorkommen, als fei des
ftatt 1554 Sehr eigentümlich deutfeh ift das wiederholt Guten zu viel darin gefchehen, als verliere fich der juncre

gebrauchte Wort Anfpruchmacher, z. B. S. 414

Stuttgart. G- Boffert

Gelehrte in Kleinlichkeiten. Endlich fei noch erwähnt
daß fich das philologifche Intereffe mit dem theoloM-
fchen und dem Intereffe der Gemeinde an dem Dichter
ihrer Lieblingslieder: ü Gott, du frommer Gott Herz-