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Ausgabe:

1908 Nr. 10

Spalte:

300-301

Autor/Hrsg.:

Dresbach, Ewald

Titel/Untertitel:

Reformationsgeschichte der Grafschaft Mark 1908

Rezensent:

Bossert, Gustav

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299

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 10.

300

was D. Bornemann in feinem Auffatze: Job. Wolffs Beichtbüchlein
. Zeitfchr. f. ev. Religionsunterricht XIX, 4 ff.
ausgeführt hat. Unter Bezugnahme auf diefen Auffatz
unterlaffe ich es, auf Einzelheiten nach diefer Seite hin
weiter einzugehn. Dagegen möchte ich es nicht unaus-
gefprochen laffen, daß eine eingehende Unterfuchung
über den Gedankengehalt des Wolff'fchen Beichtbüchleins
nach feiner dogmatifchen, ethifchen, feelforgerifchen und
kulturhiftorifchen Seite hin fehr ervvünfcht fein würde.
Im Zufammenhang einer folchen Unterfuchung würde
dann hoffentlich auch eine Reihe von Ausdrücken ihre
fprachliche Erklärung finden, die weder Battenberg noch
Falk zu deuten vermocht haben. Es handelt fich nament-
um folche Namen für Krankheiten wie: ,Knyten', ,hertzen-
knyten', ,Knallen', ,smyt' und ,dubel'. Wenn Battenberg
die beiden letzten Wörter S. 134 durch .Schmied'
und ,Teufel' wiedergibt, fo dürfte er kaum das richtige
treffen. Eine andre Reihe von Vokabeln mit nicht ganz
ficherer Bedeutung, die fich im Beichtbüchlein finden,
läßt fich vielleicht fchon jetzt deuten. Ich rechne dahin
,gekyffelt' S. 18. Battenberg überfetzt ,gemault', Falk
meint, es heiße wohl ,keifen, fchelten, zanken'. Es ift
das im Hildesheimifchen gebräuchliche ,kiwweln' und
bedeutet unehrerbietig dreinreden oder widerfprechen.
Der ,WolP S. 25 zwifchen den Ausdrücken ,gluckes
werter' d. h. Glückswörter oder Glück bringende Zauberformeln
und ,briefftragen' d. h. Tragen von gefchriebenen
Zauberformeln kann kaum anders als vom Tragen eines
Amuletts, welches einen Wolf darftellt, verftanden werden,
wie ja heute noch Abergläubifche ein .Schwein' als
Amulett zu tragen pflegen. In welchem Sinne Lupi den
Wolf als Amulett auffaßt, geht aus S. 27 hervor, wo er
fagt: ,alß der wolff eyn czuckende (reißendes) tyer ist,
also ist . . . der bose geyst'. Das Wort ,lecze' S. 27 bedeutet
wohl nicht ,Labung, Abfchiedsmahl', wie Falk
meint, fondern Andenken oder /Vermächtnis', wie Battenberg
überfetzt. Vergl. den Schlußfatz von Luthers Liede
,Nun freut euch, liebe Chriften g'mein': ,Das laß ich
dir zur Letze'. Wertvoll ift mir, in Wolffs Auslegung
des 8. Gebotes S. 20 den Ausdruck ,lugelichen (lügenhaft
) beswetzt' gefunden zu haben; er beftätigt mir, daß
man in Luthers Erklärung diefes Gebotes den Ausdruck
,fälfchlich belügen' in dem Sinne ,lügnerifch übel beleumden
' oder ähnlich zu deuten hat. Was der, fo wie er
lautet, unverftändliche Satz S. 26: ,Enter prudenter deus
est ubique sapienter' bedeutet, vermag ich im Augenblicke
nicht zu fagen. Er ift mir, wie ich mich erinnere, fchon
einmal in der pädagogifchen Literatur des MA. begegnet
und dort auch gedeutet; aber ich kann die Notiz, die
ich mir damals gemacht, z. Z. nicht wiederfinden. Falk
hat feiner Ausgabe des Wolfffchen Beichtbüchleins eine
photolithographifche Abbildung des fteinernen Denkmals
vor angefleht, welches den Doctor decem preceptorum, wie
er dort genannt wird, in vollem Ornate darftellt, daneben
eine bildliche Wiedergabe der 10 Gebote im Gefchmacke
der Didaktik jener Zeit. Er befchreibt beide Monumente
S. 7 ff. Eine lebensvollere Anfchauung gewinnt man aus
der kolorierten Abbildung der beiden Steine bei Battenberg
, der fie ebenfalls S. 112 ff. befchreibt. Der Druck des
Falk'fchen Buches ift im allgemeinen korrekt; doch ift zu
lefen S. 2 publiciert, zu ftreichen ift das letzte Wort ,das'
aufderfelben Seite, S. 9 muß es heißen ,der andere'. Ob
S. 52 als dritte unter den Sünden wider den H. Geift
,heffig vergunnunge' oder ,hellig verg.', wie Battenberg
druckt, zu lefen ift, würde nur durch Einficht in das
Original zu konftatieren fein, das mir nicht zur Hand ift.
Ich vermute, daß die Wiedergabe bei Falk die richtige
ift. In den mittelalterlichen Versus memoriales, die v.
Zezfchwitz, der Katechismus 2. Aufl. Leipzig 1872 S. 228
mitteilt, wird der betreffende Sünder Invidus genannt.
Diefem Ausdrucke entfpricht offenbar , heftig vergunnunge
' beffer, als ,hellig vergunnunge'.

Göttingen. _ K. Knoke.

! Dresbach, Pfr. Ewald, Reformationsgefchichte der Grafrchaft

Mark. Zur Erinnerung an die dreihundertjährige Verbindung
der Mark mit Brandenburg-Preußen. Gütersloh
, C. Bertelsmann 1909. (sie!) (XX, $19 S.) gr. 8°

M. 6—; geb. M. 7 —

Im Jahr 1909 feiert die Graffchaft Mark das 300jährige
1 Jubiläum der Vereinigung mit Preußen, und fie hat allen
| Grund dazu. Das beweift die Gefchichte der Mark und
j vor allem die Gefchichte ihrer Reformation, die in
Dresbach einen fleißigen Sammler gefunden hat, der ein
I reiches Material in allgemein verftändlicher Darftellung
[ bietet, deffen Benützung durch ein umfangreiches Regifter
i fehr erleichtert ift. Freilich ift des Details, zumal aus
j der örtlichen Reformationsgefchichte, etwas viel, fo daß
i der Lefer ermüdet, aber es wird den evangelifchen
Gemeinden, auf welche das Buch berechnet ift, willkommen
fein.

Dresbach gibt zuerft einen Abriß der vorreforma-
torifchen Zeit, wobei vor allem die Stellung der Herzöge
von Kleve gegenüber der Kirche fehr zu beachten ift.
Das Sprichwort ,der Herzog von Kleve ift Papft in
feinen Ländern' kennzeichnet die Lage fehr gut und kurz.
Es beweift aufs neue, wie notwendig eine Unterfuchung
des deutfehen Staatskirchenrechts in der Zeit vor der
Reformation ift. Das Säckeedikt vom 14. Mai 1508 ift
ein draftifcher Ausdruck der Notwehr des Staats gegen
| kirchliche Übergriffe. An jedem Stadttor hing ein Sack,
in dem Priefter ertränkt werden follten, welche gegen
das Edikt handelten.

Die Reformation der Graffchaft Mark ift nicht etwa,
wie Kampfchulte will, ein Werk der Fürften, ihrer Günft-
linge und der von ihnen beftellten Prediger, während
doch Kampfchulte auf der andern Seite fagt, die Obrigkeiten
feien durchgehends am längften für die katholifche
Religion eingeftanden, die Bewegung fei von den Gilden
und den geringften Klaffen ausgegangen (S. 362). Die
Haltung des Hofes fchildert Dresbach S. 361: anfangs
bis 1525 lutherfeindlich, dann bis 1539 erasmifch, dann
annähernd melanchthonifch bis 1543, nach dem unglücklichen
geldrifchen Krieg und dem Venlooer Vertrag
kaiferlich bis 1555, von da bis 1567 kaffandrifch, d. h.
unter dem Einfluß Ge. Kaffanders vermittelnd, von 1567
bis zum Tod des letzten Herzogs 1609 fpanifch-jefuitifch.
,Von 1525 bis 1567 machte die Regierung fechsmal den
Verfuch, die Befferung der kirchlichen Zuftände herbeizuführen
, ohne die zuftändigen kirchlichen Obern zu fragen'.
| .Allein ihre Reformverfuche fchwanken fortwährend
I zwifchen der alten und neuen Lehre, weil fie auf unklarer
humaniftifcher Grundlage beruhen und ein beftimmtes
Bekenntnis nicht für nötig achten'. Langfam gewinnt
die Reformation Boden. Ünter heißen Kämpfen, öfters
j unter kräftigem Eingreifen von Frauen aus dem Volk,
I behauptet fie fich. Nicht feiten werden die Pfarrer von
der evangelifchen Volksftimmung mit fortgeriffen und
geben der alten Kirche den Abfchied. Aber häßlich ift
das Schaufpiel des Kampfes zwifchen Lutheranern und
den unter dem Einfluß der Niederlande wachfenden
Reformierten. Wie eine Erlöfung wirkt das Eingreifen
1 des Kurfürften von Brandenburg nach dem Tod des
letzten Herzogs, während der Konvertit Wolfgang Wilhelm
von Neuburg, der feinen alten, frommen Vater fo
i fchmählich hinterging, den denkbar fchlechteften Eindruck
hinterläßt. Es ift überaus bemerkenswert, daß die
I brandenburgifche Politik zuerft den Grundfatz der Duldung
und gerechten Behandlung der drei Konfeffionen aufzu-
ftellen wagt und ihm im großen und ganzen treu geblieben
ift, wenn auch das reformierte Bekenntnis des
Herrfcherhaufes nicht ohne Phnfluß auf die Stärkung der
reformierten Kirche in der Mark bleiben konnte. Die
Tage der Dinge machte es notwendig, daß die Gefchichte
der Reformation bis 1672 herabgeführt wurde, da fie
erft mit dem endgültigen Religionsvergleich von 1672