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Ausgabe:

1908 Nr. 9

Spalte:

274

Autor/Hrsg.:

Fischer, Kuno

Titel/Untertitel:

Über David Friedrich Strauß. Gesammelte Aufsätze 1908

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Seite 1

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273

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 9.

274

das wir Gott etwas geben [officium), fondern durch das J letzten Jahre 1854.55, dazu (21—35) zwei ältere aus den
uns Gott etwas gibt (beneficium), und zwar eine Handlung, l Jahren 1846 und 50. Alles ift feinerundDornersTJberfetzung
in der uns nicht nur fymbolifch etwas gedeutet, fondern { ,S. K.s Angriff auf die Chriftenheit' 1896 entnommen
in der uns etwas Reales gegeben wird. An diefem Punkt ! und auch die Reihenfolge der Abfchnitte entfpricht mit
unterfchied Luther nicht mehr zwifchen real und fub- j zwei Ausnahmen diefer Vorlage. Eingerahmt find diefe
ftanziell und fah in der Subftanz die größere Realität, j Mitteilungen aus K.s eigenen Schriften von einer Ein-
— Aus diefer Unterfuchung ergibt fich, daß für Luther j leitung und einem Nachwort. Beide, die erfte in Geftalt
der Ausbau der Abendmahlslehre in ihren verfchiedenen ; einer Lebensfkizze K.s, gehen darauf aus, den Neben-
Formen nicht etwa eine dialektifche Spielerei mit fub- I titel ,ein unfreier Pionier der Freiheit', dem Höffdings
tilften Diftinktionen bedeutete, fondern daß feine tiefften j Vorwort zuftimmt, zu erläutern. Indem K. einen un-
religiöfen Intereffen daran beteiligt waren. Wie die bedingten Gehorfam des Glaubens aufrichten will, führt
Scholaftik ihre großen religiöfen Motive alle in der Sa- j er zum .unbedingten Bruch mit dem Gehorfam des
kramentslehre konzentriert hatte, fo wurden auch für J Glaubens'. In dem Kampfe zwifchen der Autorität des
Luther die Sakramente, fpeziell das Abendmahl, zum | Neuen Teftaments und menfchlicher Redlichkeit erweift
Brennpunkt aller Fragen, die fich an feine wertvollften l fich K.s Chriftentum, wie das feiner von ihm befehdeten
religiöfen Intentionen angefchloffen hatten. Allerdings j Zeitgenoffen, als bloße Sinnestäufchung, und die Nötigung
hat" diefe Lehre in formaler und fachlicher Beziehung j entfteht, noch einen Schritt über ihn hinauszugehen.
Mängel aufzuweiten, die eine relative, nach der imma- | Diefer Schritt führt zum ifolierten Ich. Schrempf ver-
nenten Folgerichtigkeit und ihrem Verhältnis zur übrigen birgt fich freilich nicht, daß er damit ganz dicht vor
Lehre Luthers fragende Kritik nicht verkennen wird, j dem .göttlich eigenwilligen Ich' des Propheten fleht.
Einmal bildet die Abendmahlslehre keine geiftige Kon- j ,„Ich aber fage euch", ift die normale Formel für das
zeption aus einem Guß, ihre Grundzüge find nicht etwa Auftreten der fpezififch religiöfen Perfönlichkeit'. Er
nach dem biblifchen Abendmahlsbericht, fondern nach der überfieht ferner nicht, daß an diefem Ziel die .allgemeine
fcholaftifchen Lehre vom Bußfakrament gebildet worden, j Unterfuchung' erft wieder einfetzen muß, ,wie fich das
fie ift in ihrer erften Geftalt vorwiegend die evangelifch j Individuum vor der Gefahr hüten kann, daß es bloße
revidierte Abendmahls- refp. Bußlehre. Andererfeits hat j fubjektive Einfälle mit göttlichen Infpirationen verwech-
diefe Lehre in der zweiten Periode ihrer Entwicklung j feit.' Er beruhigt fich aber bei der Erwartung, daß wir
eine nicht in allen Punkten den urfprünglichen religiöfen j ,erft durch diefen extremen, autoritäts- und gefchichts-
Intentionen Luthers adäquate Ausbildung erfahren. Gerade j lofen Individualismus und Subjektivismus die angeblichen
mit der Lehre, die er zuerft und am heftigften als fcho- religiöfen Autoritäten von innen heraus, alfo doch wohl
laftifch angegriffen hatte, der Sakramentslehre, ift er am J richtig, verliehen' lernen. In Klammern jedoch lieft man:

tiefften wieder in die Scholaftik zurückgeraten, nach
dem pfychologifchen Gefetz, daß man oft, je ftärker man
eine Sache bekämpft, um fo mehr in deren Bannkreis
gerät.

Dies der wefentliche, mit den eigenen Worten des

,wenigftens nach meiner Erfahrung'. Ob aber diefe Erfahrung
ohne die drückende Wucht eines ganz beftimmten
gefchichtlichen Hintergrunds gerade Schrempfs Erfahrung
wäre, wird man billig bezweifeln dürfen. Wenigftens
trifft die Erwartung bei den auf der gleichen Seite ge-

Verf. wiedergegebene Inhalt der lehrreichen und anregen- ! nannten Spinoza und Nietzfche eben nicht mehr zu

den Schrift. Ref. gefteht, daß er nicht ohne Mißtrauen
von der Formulierung des Themas diefer Unterfuchung
Kenntnis genommen hatte: war nicht eine zu einfeitige
Hervorhebung der formalen Beziehungen auf Köllen der
Sache felbft zu befürchten? Je weiter er aber las, defto
völliger fchwand jede Befürchtung, defto mehr mußte er
fich davon überzeugen, daß gerade die von Gr. gewählte
Frageftellung das Verftändnis des Hauptproblems wefent-
lich gefördert hat. Diefe Förderung ift eine doppelte.
Einmal verlieht es Gr. durch eine feine, an Schnecken-
burger erinnernde Analyfe der religionspfychologifchen
Tatfachen und der verfchiedenen Typen chriltlicher
Frömmigkeit, die treibenden Motive und die religiöfen
Intereffen der erörterten Lehre zum Ausdruck zu bringen;
zum zweiten weiß er auch die mit dem Zentrum zu-
fammenhängenden Einzelfragen in eine neue Beleuchtung
zu rücken und auf weitere, fruchtbare Probleme
hinzudeuten, die eingehenderer Behandlung bedürftig und
würdig find. (S. zum Beifp. die Äußerungen über Luthers
Begriff der Vergebung der Sünden, 74—79; vgl. auch
S. 4—5. 8. 15—16. 41. 42—43. 60. 88—89. 92. 101—102.
103.) Es fei deshalb die wertvolle Schrift vorzüglich der
Beachtung unferer jungen Theologen aufs angelegent-
lichfte empfohlen.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Schrempf, Chriftoph, Sören Kierkegaard, ein unfreier Pionier
der Freiheit. Mit einem Vorwort von Harald Höff-
ding. Frankfurt a. M., Neuer Frankfurter Verlag 1907.
(100 S.) gr. 8° M. 1.20

Schrempf bietet einem weiteren Leferkreife, nicht
der Kirche, fondern Einzelnen in ihrer Auseinanderfetzung
mit der Kirche, in neunzehn Abfchnitten (S. 35—96) eine
Auswahl aus Kierkegaards agitatorifchen Auffätzen der

Gießen. S. Eck.

Filetier, Kuno, Über David Friedrich Strauß. Gefammelte
Auffätze. Heidelberg, C. Winter 1908. (144 S.) 8°

M. 3.60

Diefe Sammlung wird viele freudig überrafchen:
fechs Auffätze von Kuno Fifcher über Strauß (Strauß
als Biograph — Ulrich von Hutten von Strauß — Huttens
Gefpräche überfetzt und erläutert von Strauß — Strauß
und G. S. Reimarus — Strauß' Leben Jefu — Voltaire,
dargeftellt von Str.), gewiß den meiden neu, da fie an
verdeckten Stellen und anonym erfchienen find. Ein
befonders transparenter Geift — denn das war Strauß —
in der Beleuchtung eines Kritikers, dem die Gabe der
klaren Darftellung in bewunderungswürdiger Weife eigen
war; dazu der Kritiker dem Biographen geiftig verwandt
und befreundet: aus folchem Verhältnis muß fich Gutes
geftalten. Man lieft diefe Auffätze mit Genuß und wahrer
Freude. Der Tiefere — man darf das fagen, ohne Strauß
zu nahe zu treten — war Fifcher; aber über gewiffe
Schranken, die wir jetzt deutlicher empfind en, kommt
auch Fifcher nicht hinaus. Doch fpürt man fie nicht
bei der Lektüre, fondern muß fich erft auf fie befinnen, fo
gefchloffen und zutreffend erfcheint alles. Was an Strauß
unfterblich ift, das hat Kuno Fifcher in ein helles Licht
gefetzt.

Berlin. A. Harnack.