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Ausgabe:

1908 Nr. 9

Spalte:

271-273

Autor/Hrsg.:

Graebke, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Konstruktion der Abendmahlslehre Luthers in ihrer Entwicklung dargestellt. Eine dogmengeschichtliche Studie 1908

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 9.

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feftftellen kann, durchaus forgfältig wiedergegeben und in aber keine notwendige. Diefe Inkonzinnität, daß der
ihrer Mehrzahl recht nützlich. (Zu Nr. 3 vgl. W. Köhler Empfang der signum in keiner inneren Beziehung zum
in d. D. Literaturzeitg. 1908 Nr. 6, Sp. 344.) Von be- Empfang des res ftand, flehte Luther ein Problem, deffen
fonderem Intereffe find die Zeugniffe über die Reform- j Löfung er in den nach 1523 verfaßten Abendmahls-
beftrebungen Albrechts und feines Nachfolgers, fo die 1 fchriften fuchte. — Am Schluffe der zweiten Periode

Bruchflücke aus der Reformationsordnung von 1543 (S.
250—256) und namentlich die Mitteilungen aus Erz-
bifchof Sebaftians Instructio visitatorum (S. 257—267),
die für die Vifitation der Kollegiatkirchen, der Pfarrer, der
Landdekane und Erzpriefler eine lange Reihe von Fragen
aufhellt, und fich den Glaubensfragen ebenfo zuwendet
wie den Äußerlichkeiten und z. B. die kirchliche, wirt-
fchaftliche und moralifche Stellung der Pfarrer bis ins
kleinfle erforfcht wiffen will. Diefe und andere Mittei-

der Entwicklung der Abendmahlslehre Luthers finden
wir, nach manchem Schwanken, das Problem des Zu-
fammenhangs der beiden benannten Handlungen dahin
gelöft, daß fie in ein kaufales Verhältnis zueinander gefetzt
werden, indem der Empfang des einen Objekts das
Mittel zum Empfang des andern wurde: Leib und Blut
wurden zum Vehikel der Vergebung beftimmt, ihre Bedeutung
als vergewiffernde Zeichen aber aufgegeben. So
wurde der äußere Genuß von Leib und Blut als inte-

lungen — man vgl. die Einleitung und das letzte Kapitel | grierender Beflandteil in den Aneignungsprozeß der Ver-

— bezeugen, daß für eine Gefchichte der katholifchen
Reform verfuche die Quellen unvergleichlich reicher fließen,
als für die Mainzer evangelifche Bewegung. Vielleicht
wird H. dem gegenwärtigen Buche die Gefchichte der
Mainzer Gegenreformation folgen laffen. Die kleinen Beiträge
, die bisher von anderer Seite geboten worden find,
würde ein Buch von ihm ohne Frage nicht nur an Fülle
des Stoffes übertreffen.

Freiburg i. B. F. V igen er.

Graebke, Lic. theol. Friedrich, Die Konftruktion der Abendmahlslehre
Luthers in ihrer Entwicklung dargeftellt. Eine
dogmengefchichtliche Studie. Leipzig, A. Deichert,
Nachf. 1908. (107 S.) gr. 8° M. 1.80

Der Verf. Hellt fich die Aufgabe, ,unter ausdrücklicher
Ausfcheidung aller die Realpräfenz betreffenden
Spezialfragen, die Entwicklung der Abendmahlslehre
Luthers darzuftellen, wobei infonderheit auf die in der
Konftruktion liegenden, bisher überfehenen Probleme geachtet
werden foll, die durch die Entwicklung des Ver-

hältniffes von signum und res geftellt worden find. Die j des religiöfen Lebens Luthers in dem durch Vergewiffe

gebung im Abendmahl einbezogen. Diefe zweite Konftruktion
löft zwar die Probleme, die die erfte geftellt
hatte, die Art der Löfung kann aber nicht als eine
dialektifche Fortbewegung der erften verftanden werden,
fodaß es unmöglich ift, die Entwicklung der Abendmahlslehre
Luthers als eine geradlinige zu bezeichen. — Eine
Erklärung des Wechfels von der einen Konftruktions-
theorie zu der andern ift deshalb fchwierig, weil eigene
Äußerungen Luthers, aus welchen ein befriedigender Auf-
fchluß gegeben werden könnte, nicht vorliegen. Allein,
abgefehen von den in der Tiefe der Perfönlichkeit liegenden
Gründen, die niemals reftlos aufzuhellen find,
berechtigt uns die Art des nicht organifch fich ergebenden
, fondern abrupt erfolgten Wechfels a priori
anzunehmen, daß die Änderung in urfächlichem Zu-
fammenhang mit äußeren Verhältniffen fleht, die außerhalb
der Konftruktion liegen. Diefe äußeren Verhält-
niffe find in dem Kampf gegen Karlftadt und Zwingli
zu fuchen. Entfcheidend war bereits die Oppofition
gegen Karlftadt, deffen von Luther verfchiedene Abendmahlslehre
durch eine völlig entgegengefetzte Auffaffung
der Heilsordnung bedingt war. Während das Zentrum

übrigen, das Abendmahl als Sakrament betreffenden | rung der Vergebungsgnade Gottes gewonnenen Trolle
Fragen follen nur foweit berückfichtigt werden, als fie j lag, war für Karlftadt die Frucht des Todes Chrifti nicht
mit dem erwähnten Problem zufammenhängen' (5—6). 1 Verföhnung und Sündenvergebung, fondern Erlöfung als
— G. macht zunächfl auf die Reihenfolge aufmerkfam, | Tötung unferes kreatürlichen Willens zwecks rechter
in welcher die einzelnen Gruppen von Problemen kon- | Nachfolge Jefu. Da zu diefem prinzipiellen Gegenfatz
trovers geworden find; er erinnert ferner daran, daß noch die Polemik Karlftadts gegen Luthers Äbend-
wiederum nicht fpeziell das Abendmahl, fondern zu- j mahlslehre hinzukam, wurde der Reformator dazu ge-
nächft die Sakramente im allgemeinen kontrovers wurden, j trieben, Gottes Wirken durch äußere Media zur Begrün-
fodaß Luther, als er an die Konftruktion des Abend- I dung der Heilsgewißheit möglichft Mark zu betonen: er
mahls heranging, mit einem fchon vorher gewonnenen, I fuchte nach einem Unterpfand und einem Vehikel der
fertigen Sakramentsbegriff operierte. Liefen allgemeinen j Sündenvergebung, das noch ficherer, d. h. noch äußer-
Sakramentsbegriff gewann er im Ablaßflreit am Büß- licher und finnenfälliger wäre als das Wort. Zu diefem

fakrament; bereits zu diefer Zeit bildete er feinen Sakra
mentsbegriff vom evangelifchen Standpunkte aus fall voll-
ftändig aus, und zwar To, daß zunächfl der ,Brauch', teilweife
aber auch fchon das ,Wefen' des Sakraments
erörtert wurde. Bei der Anwendung des Sakramentsbegriffs
auf das Abendmahl übernahm Luther die fcho-
laftifchen Formeln, vor allem das Schema von signum und

Zweck verfiel er unwillkürlich auf Leib und Blut, die
durch die gleichzeitige Beflreitung ihrer Realpräfenz fo
ftark im Vordergrund feiner Denkens gerückt waren.
Ihre Realität war ihm nie zweifelhaft gewefen; nun
aber gewann fie auch eine akute Bedeutung für ihn,
weil die in viel höherem Grade als das Wort finnenfälligen
Subftanzen von Leib und Blut deshalb auch un-

res. Zum signum gehört nicht nur Brot und Wein, | gleich beffer als Vehikel der Vergebung zur Vergewiffe
fondern auch Leib und Blut; letztere treten erft 1520 j rung über das Vorhandenfein derfelben dienen konnten,
in den Vordergrund. Die res wird beftimmt: 1518 als Freilich ftand diefes Mittel, auf das Luther im Streit mit
unilas cordium, 1519 als der geiftliche Körper Chrifti, Karlftadt verfiel, im Gegenfatz zu feiner früheren Pofition;
feit 1520 als das Neue Teftament oder die Sundenver- denn er fuchte etwas, was noch ftärkere Sicherheit böte
gebung. In derfelben Zeit erfahren die Probleme von als das Wort; das war aber nach feiner genuinen Andern
Verhältnis des signum zur res und von dem Ge- fchauung die fchlimmfte Ketzerei, weil dadurch die Vollnuß
des signum eingehende Behandlung. — Diefer erften gültigkeit des Wortes in Frage geftellt wurde; auch wider-
Geftaltung der Abendmahlslehre haftete ein Dualismus 1 fprach das feiner Lehre vom Sakrament, das nichts anderes
an, der auf einen deutlichen Mangel in der Konftruktion fein follte, als eine befondere Form, eine Verfichtbarung
wies. Beim euchariftifchen Akt kommen zwei Hand- j des Wortes, und bei welchem deshalb das Wort das
lungen in Betracht: der innere Empfang der Vergebung 1 Vehikel des Heilsgutes bleiben mußte. — Ein weiterer
durch den Glauben an die zufagenden Worte und der I Grund für dielen Umfchwung von der fignifikativen zur

äußere Empfang von Leib und Blut durch den Genuß
der Elemente fielen nicht ohne weiteres in einen Akt
zufammen; die Koinzidenz konnte eine zufällige fein, war

inftrumentalen Bedeutung des Leibes und Blutes Chrifti
in der Euchariftie entfprang vielleicht Luthers Streben,
das Abendmahl nicht als ein Werk anzufehen, durch