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Ausgabe:

1908 Nr. 9

Spalte:

268-271

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Fritz

Titel/Untertitel:

Die evangelische Bewegung zu Mainz im Reformationszeitalter 1908

Rezensent:

Vigener, Fritz

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 9.

268

Knöpfler 1907 geboten. Einiges, teils im Anfchluffe an i
die Genannten, teils felbftändig, fei hier notiert. Die i
Überfchrift des erflen Teiles: ,Vor die anhebenden j
Kynder' gibt B. wieder: Für die Anfänger, Kinder und andere
(vgl. die Begründung diefer Wiedergabe S. 180). Aber j
pueri incipientes ifl ein gefchloffener Begriff und fleht im [
Gegenfatz zu den ,zunemenden gelerten und ungelerten j
verftändigen Menfchen'. Die in der erflen Überfchrift
genannten ,andere' find andere erftmalig Beichtende, j
keine anhebenden Kinder oder .Ungebildete' (vgl. Falk
S. 17, Greving S. 50). — Zu Anm. 14: in den Erläuterungen
ifl richtig überfetzt entfprechend dem Originale vel ut,
in der modernen Überfetzung unrichtig, wie wenn veltit
flände — S. 132 Z. 4 von unten ifl spes suffragii der
Vorlage überfetzt mit: Hoffnung des Gerichtes flatt:
Hoffnung auf Fürbitte. In demfelben Abfchnitt S. 133
Z. 3 v. o. ifl hinter: Barmherzigkeit ein Satz ausge-
laffen. — Zu den Worten S. 12 Z. 1 v. o.: ,und alfo
verdecklichen nympt er got unnuczlichen in finen mont
ym fluchen' verweife ich auf die im Rheinlande gebräuchliche
Fluchformel: Gott verdeck! — Anm. 2 ifl
prunen doch ficher verdruckt für prunden. — Der ,unver-
fländliche Satz': Anm. 279 erklärt fleh fofort, wenn man j
hinter: geburt [— es gebührt fleh] ein: dass einfügt, wie es 1
entfprechend dem lateinifchen ut mitunter ausgelaffen
wird; hinter wegen ifl ein Semikolon zu fetzen. Bei der
Gelegenheit die Frage: warum hat B. nicht den Originaltext
modern interpungiert? Das gefchieht doch gegenwärtig
bei Textpublikationen allgemein. — Zu Anm. 34: Krin
für Katharine kommt in heffifchen Urkunden aus der !
Reformationszeit häufig vor. Der Name ifl Typus für
die Geliebte, fo auch Anm. 98. — Zu Anm. 45: sclieym-
perlicli ifl wohl — schamparlich — fchandbar. — Zu I
Anm. 132: flatt greber vermutet Falk (S. 33) wohl ]
richtig geber, nämlich der h. Eucharistie. — Zu Anm. 157:
bei Gehen und Reiten ifl wohl an das Gehen und Reiten
über die Felder gedacht. Dabei konnte fehr wohl Scha- j
den entfliehen. — Zu Anm. 211: synde für Sinne ifl ficher 1
abfichtlich gewählt, weil es doppelfinnig ifl und auch die
Sünde bedeuten kann. — Zu Anm. 295: die vier Engel- !
tugenden find wohl Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, I
Tapferkeit, die anderweitig als die vier Haupttugenden !
gelten. — Das Zitat Anm. 324 führt Falk auf Auguflin 1
zurück.

In feiner Einleitung berichtet B. zunächft über die Ab- j
faffung des Beichtbüchleins; es lag 1468 fertig vor, gehört J
alfo zu den älteften (inzwifchen hat Schmidt im Zentralblatt
für Bibliothekswefen 1907 von einem noch älteren
Mitteilung gemacht). Gedruckt ifl das Büchlein vielleicht
in der Preffe der Kogelherren in Mariental. Wenn
dann weiterhin ,Wefen und Bedeutung der m. a. confes-
sionalia oder Beichtbücher' erörtert wird, fo betont B.
mit Recht ,eine fchlichte, herzliche Frömmigkeit, einen I
hohen fittlichen Frnft und einen lebendigen Eifer um I
des Volkes Befferung'. Bewahrt fich damit B. vor einer
Unterfchätzung des M. A., fo brauchte wohl kaum wiederholt
(z. B. S. 199, 203) befonders herausgehoben zu
werden, daß Lupi lieh auf die Autorität der h. Schrift beruft
, das ifl bei dem m. a. Priefter nichts außergewöhnliches
, fondern felbflverfländlich. Daß Luther gar Lupi I
gekannt haben füllte (S. 205), finde ich zwar nicht
unmöglich, aber kaum wahrfcheinlich. Umgekehrt vermag
ich die Bußlehre Lupis nicht ,fo ernft und fittlich
groß und, ich möchte fafl fagen, evangelifch aufgefaßt'
(S. 246) zu finden, es ifl doch S. 38 deutlich die Attritions-
lehre ausgebrochen. Über Lupis Leben bringt B., z. Tl.
nach feinem früheren Buche, die nötigen Nachrichten,
desgl. über das Frankfurter Schulwefen, das in einen
größeren Zufammenhang geftellt wird. Auch von dem
befonderen Charakter diefes Beichtbuches zum Unter-
fchiede von anderen ifl die Rede. Dazu möchte ich
jedoch,die ungemein häufige Verwendung des etc.'(S. 107)
nicht rechnen, denn die ifl in Manufkripten des 16. Jahrh.

ganz gewöhnlich, das etc. entfpricht etwa unferem Ge-
dankenftriche, ifl daher jedenfalls nicht auf Willkür der
Drucker zurückzuführen. Die hübfehe kolorierte Grabtafel
Lupis mit der Darflellung der zehn Gebote ifl dem
Buche B.s als befonderer Zierrat beigegeben.

Der Gewinn des Neudrucks ifl alles in allem fehr hoch
anzufchlagen; er führt in die Praxis der m. a. Frömmigkeit
hinein, volkskundlich wie dogmengefchichtlich und
pädagogifch gleich intereffant. Man hat fich das Büchlein
zu denken als Leitfaden in der Hand des Beichtprieflers;
es ifl reizend zu fehen, wie er nun die Kinder fragt, ob
fie am Sonntage Vogelkörbe gemacht, Vögel gefangen
haben u. dgl. Intereffant ifl dabei die Pädagogik, durch
Kontrafte zu wirken, um auf Sünden fich befinnen zu
machen. Opposita iuxta sc posita magis elucescunt.
Als Beifpiel kann hier gelten: ich han den keyser mit
eyner strideaxs ZU tode geslagen! Hier haben wir die
Wurzel für die Beichtquälerei, die fchließlich die Kinder
verführt, Sünden zu erdichten, weil fie nun einmal in der
Beichte partout Sünder fein müffen. —• Dem Herausgeber
nochmals herzlichften Dank!

Gießen. Köhler.

Herrmann, Oberlehr. Lic Fritz, Die evangelifche Bewegung
zu Mainz im Reformationszeitalter. Mainz, H. Quaft-
hoff in Komm. 1907. (XII, 280 S.) gr. 8°. M. 6 —

Vor dreißig Jahren konnte Theodor Brieger (im 3.
Jahrgang diefer Zeitfchrift [1878], 290 f.) darauf hinweifen,
daß bislang kein Hifloriker von Beruf es unternommen
habe, die Lebensgefchichte Erzbifchof Albrechts von
Mainz darzuftellen. So fleht es noch heute. Aber unter
den Gründen, die Brieger zur Erklärung diefer Tatfache
aufführte, hat einer der wefentlichflen feine Geltung verloren
— freilich erft in jüngfter Zeit. Von einem Mangel
an tüchtigen Einzelunterfuchungen kann man heute nicht
mehr fprechen. A. Schubes berühmt gewordenen Funde,
die fein Buch über die Fugger auch zu einem wichtigen
Beitrag zur Gefchichte Albrechts machten, dann vor
allem die auffchlußreichen und außerordentlich fördernden
Arbeiten P. Kalkoffs, auch befcheidenere Gaben,
wie Kißlings Abhandlung über den Domdekan Lorenz
Truchfeß von Pommersfelden, fie alle haben neues Material
gebracht und neue Gefichtspunkte für die Beurteilung
eröffnet.

Zu ihnen gefeilt fich die vorliegende tüchtige Schrift.
Sie gilt der Mainzer evangelifchen Bewegung im Reformationszeitalter
, aber fie gibt doch in erfler Linie einen Aus-
fchnitt der Gefchichte Albrechts. Das mußte fie fchon aus
Gründen, die in den Dingen felbft liegen. Ein Aufkeimen
der Reformation in Mainz ifl nur möglich gewefen, weil
diefer Zoller, deffen Stellung fafl durchaus politifch, näher
familienpolitifch orientiert war, feine Gründe hatte, ihren
Anfängen nicht entfehieden entgegenzutreten, und fich
fo unter dem Einfluß der überlegenen Diplomatennatur
Capitos einige Jahre hindurch auf eine der lutherifchen
Bewegung günftige Zurückhaltung feftlegen konnte. Die
Mainzer evangelifche Bewegung fteht und fällt gradezu
mit der Haltung Albrechts. Als die politifche Entwicklung
ihm den Anfchluß an die fürftüchen Vorkämpfer
der beftehenden Verhältniffe nahelegte, und die wirkliche
oder vermeintliche Verbindung der lutherifch Gefinnten
mit dem fozialen Aufftand von 1525 den Schlag gegen
diefen auch auf fie fallen ließ, war es um die Mainzer
Reformation gefchehen. Dennoch würde eine Darflellung
ihrer Gefchichte diefe Verknüpfung mit dem Träger der
flaatlichen und kirchlichen Macht weit weniger in den
Vordergrund treten laffen, wenn die Quellen ein tieferes
Eindringen in die Entftehung, die Ausbreitung und den
Inhalt der Mainzer evangelifchen Bewegung ermöglichten.
H. weift im Vorwort auf den .trümmerhaften Zuftand
der ehemaligen Mainzer Archive' hin. Daß unter
diefen Trümmern immerhin noch wertvolle Stücke zu