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Ausgabe:

1908 Nr. 8

Spalte:

240-241

Autor/Hrsg.:

Hollweg, Walter

Titel/Untertitel:

Dr. Georg Heßler. Ein kaiserlicher Diplomat und römischer Kardinal des 15. Jahrhunderts 1908

Rezensent:

Holtzmann, Robert

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239

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 8.

240

Revolution zeugen, welche der Verf. nicht bloß in bekannten
Stellen der Briefliteratur, fondern felbft in den
Ausmalungen der Paffion bei den fpäteren Evangeliften
zum Ausdruck gelangen läßt (S. 16h). Im Gegenfatze
zu der herrfchenden Anfchauung erfcheint demnach die
alte Chriftenheit mindeftens als innerlich revolutionär,
indem fie mit unbedingter Verweigerung jedes Kaifer-
kultes den Staat feiner religiöfen Weihe entkleidete und
mit ihren Bekenntniffen zum ,Herrn', .Heiland',,Allherrfcher'
deutlich redende Gegenlofungen ausgab (S. l8f.). Bis die
auswachfende kirchliche Organifation es anders mit fich
brachte, ,ift es felbftverftändlich gewefen, daß man den Staat
ebenfo wie in feinem Schutz nach außen, fo auch nach
innen in feinem Recht ablehnte' (S. 31). ,Man ift eben
einfach fertig mit dem Staat' (S. 33). ,Man fleht jenfeits
der alten Menfchenwerte' (S. 34). Für die Prüfung diefer
zum Teil neuen Grundanfchauung wird es fich hauptfächlich
um die Frage handeln, ob Rom. 13 ein lediglich
taktifches Motiv (S. 15. 24) und im Clemensbrief daneben
noch der Lokalpatriotismus eines römifchen Chriften (S. 15.
26. 62) wirkfam erfcheinen. Zutreffend ift jedenfalls das
fchon bei Paulus im Keim nachweisbare (S. 32. 3 5 f.)
Wiederaufleben des alten Ideals mit feinen Rechtsforderungen
in der felbft zuletzt zum Staat werdenden Kirche
gefchildert. Reichliche, gut ausgewählte Belegftellen füllen
21 Seiten.

Baden. H. Holtzmann.

Redlich, Otto R., Jülich-Bergifche Kirchenpolitik am Ausgange
des Mittelalters und in der Reformationszeit.
Erfter Band. Urkunden und Akten 1400—1553. (Publikationen
der Gefellfchaft für Rheinifche Gefchichts-
kunde. XXVIII.) Bonn, P. Hanftein 1907. (XXVI,
121* u. 482 S.) gr. 8° M. 20 —

Der vorliegendeBand foll eigentlich nur eine Einleitung
zu dem noch ausflehenden zweiten Band darfteilen. Redlich
wollte die Protokolle (fogenannten Geiftlichen Erkundigungsbücher
) der Kirchenvifitationen in Jülich und Berg,
die durch die Herzöge Johann (1511—39) und Wilhelm
(1539—92) veranftaltet wurden, herausgeben und damit
einem oft begehrten Wunfche nachkommen. Zu ihrem
Verftändnis fchien ihm aber vorerft eine gründlichere
Kenntnis der gefamten Kirchenpolitik der Herzöge feit
dem 15. Jahrhundert notwendig; ihr dient der erfte Band,
während der zweite dann die genannten Vifitationsproto-
kolle bringen wird. An Vorarbeiten ftanden dem Verf.
befonders die von G. v. Below 1895 veröffentlichten
Landtagsakten von Jülich-Berg (I: 1400—1562), daneben
auch die fchon früher von J. Hänfen, Weftfalen und Rheinland
im 15. Jahrhundert (2 Bde., 1888/9O: 1444—57) gedruckten
Akten zur Verfügung. Pinne neuere kurze Darfteilung
von J. Kühl, Der Jülicher Kirchenftreit im 15.
und 16. Jahrhundert (1902) ift nicht ohne Verdienft, beweift
aber nur, wie lückenhaft das Material bisher bekannt
war. Eine Fülle neuer Briefe und Berichte aller
Art hat Redlich aus zahlreichen Archiven, namentlich
aus dem Jülich-Bergifchen Landesarchiv (im Düffeldorfer
Staatsarchiv) hervorgeholt. Infonderheit galt es natürlich,
die Beziehungen der Herzöge zum Kölner Erzbistum klarzulegen
. Um die landesherrliche Kirchenpolitik dabei
im Zufammenhang aufzuweifen, greift Redlich ziemlich
weit zurück und beginnt feine Akten mit dem (fchon
1878 von C. Varrentrapp, Hermann von Wied 2,5 t. gedruckten
) Indult Bonifaz' IX. von 1400, nach welchem
man in Berg in Sachen der weltlichen Gerichtsbarkeit
keiner geiftlichen Ladung Folge zu leiften brauchte. Den
Schluß bilden die Bacharacher Vermittlungsverhandlungen
vom Mai 1553, wodurch ein äußerer Anfchluß an die
große, die Jahre 1555—1623 umfaffende Publikation von
Ludwig Keller, Die Gegenreformation in Weftfalen und
am Niederrhein (3 Bde., 1881—95) gewonnen wird.

Die Texte find von Redlich, foweit fich das von
hier aus beurteilen läßt, fehr verläßlich gedruckt oder
ausgezogen, dabei mit guten Anmerkungen und Regiftern
verfehen. Vor allem aber find fie gleich jetzt nutzbar
gemacht durch eine treffliche, den wefentlichen Inhalt
ausfchöpfende Einleitung (befonders paginiert). Es handelt
fich bei der Kirchenpolitik der Herzöge um zweierlei:
1) um Einfchränkung der geiftlichen Gerichtsbarkeit, ein
mit Konfequenz feftgehaltenes Beftreben, dem die Erfolge
nicht fehlten, und das im Bacharacher Vergleich
eigentlich nicht mit einer prinzipiellen Löfung, fondern
mit Einfetzung einer permanenten Vermittlungsinftanz
endete; 2) um das landesherrliche Kirchenregiment, d. h.
die Aufficht über Kirchen und Klöfter, den Klerus und
das kirchliche Leben, Religiofität und Sittlichkeit. Dabei
wird hier befonders die Stellung der Herzöge Johann
und Wilhelm zur Reformation intereffieren. Kann ein
vollftändig deutliches Bild gerade davon auch erft der
zweite Band bringen, fo beftätigen die neuen Akten doch
jetzt fchon im wefentlichen durchaus die bisherige Auf-
faffung: Johann ein guter Katholik, mit einigen Reformideen
, die in der Zeit lagen, aber ein ausgefprochener
Gegner Luthers (Nr. 230), noch mehr natürlich der Wiedertäufer
und Sektierer; Wilhelm, den evangelifchen An-
fchauungen anfangs geneigt (Nr. 278), durch den Vertrag
von Venlo zum Fefthalten am Katholizismus gezwungen
und von da an eine mittlere Linie fuchend.

Straßburg i. E. Robert Holtzmann.

Hollweg, Dr. Walter, Dr. Georg Heßler. Ein kaiferlicher
Diplomat und römifcherKardinal des 15. Jahrhunderts.
Verfuch einer Biographie. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche
Buchhandlung 1907. (IV, 130 S.) gr. 8°

M. 2.40; geb. M. 3,20

Über Georg Heßler, den man neuerdings als den
,leitenden Staatsmann'Kaifer Friedrichs III. in den Jahren,
da die burgundifche Frage in den Vordergrund des Inter-
effes rückte, zu behandeln pflegt, hat zuletzt (1903)
J. Schlecht in feinem Buch über den feltfamen Abenteuerer
Zamometic und den Bafeler Konzilsverfuch von
1482 einen gehaltvollen Exkurs gegeben, den J. Haller
in diefen Blättern (Jg. 1905, Sp. 452) bei der Wichtigkeit
I der Sache mit Grund als befonders dankenswert bezeichnet
hat. Die von Schlecht geforderte Biographie
Heßlers will nun Hollweg liefern, und als einen Verfuch
(wie der Titel hervorhebt) wird man fich die vorliegende
gewiffenhafte, aus einer Bonner Differtation erwachfene
Arbeit gern gefallen laffen. Die Perfönlichkeit Heßlers
ift für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts recht
charakteriftifch. Aus einer hoch geachteten ritterlichen
I Würzburger Familie flammend, in Deutfchland und Italien
! gebildet, Dr. utriusque juris, angefehen an der Kurie in
! Rom wie an den Höfen des Reichs, hat er fich zeit
j feines Lebens als ftarker Pfründenjäger hervorgetan, überall
fkrupellos, zielbewußt, felbftfüchtig, ohne höhere Gedanken
an Reichs- oder Kirchenreform; ihn mit Berthold
von Henneberg zufammen zu nennen (Schlecht), halte
ich für unrecht. Nachdem er viel herumgekommen, zuletzt
in Köln eine wichtige Perfönlichkeit im Kapitel geworden
war, trat er 1474 in den kaiferlichen Dienft und
wurde in den burgundifch-fchweizerifchen Fragen verwandt.
Seine langen Bemühungen wegen einer Verheiratung
Maximilians mit Maria von Burgund gingen 1477 zugleich
mit den noch älteren um den Kardinalshut in Erfüllung.
Er wurde Maximilians Kanzler in Burgund, war dann aber
J 1479—80 in den Streitigkeiten um das Erzbistum Salzburg
und um das Bistum Konftanz fowie auf den Nürnberger
Reichstagen befchäftigt, fchließlich von 1480 bis
zu feinem am 21. September 1482 eingetretenen Tod mit
i verzweifelten Verflachen, in den Befitz des ihm durch
päpftliche Provifion verliehenen Bistums Paffau zukommen