Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1908 Nr. 8

Spalte:

236-237

Autor/Hrsg.:

Klette, Theodor

Titel/Untertitel:

Die Christenkatastrophe unter Nero nach ihren Quellen insbesondere nach Tac. ann. XV, 44 von neuem untersucht 1908

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

235

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 8.

236

keit, Schuld und Strafe der Heiden mit dem Exilsleiden
Israels in Verbindung zu bringen u. a.). Seine eigene Anficht
ift die, daß die Ebedftücke fämtlich zufammengehören
und von Dtjef. verfaßt find, daß der Ebed ein Individuum
ift, den Beruf des Propheten, Priefters und Königs in fich
befaßt und der meffianifche König fein foll. Das Per-
fektum in Jef. 53 macht bei der Deutung auf das Volk
oder auf eine zeitgefchichtliche Persönlichkeit gerade fo-
viel Schwierigkeit wie bei der individuellen und meffia-
nifchen; F. erklärt es wie Giefebrecht aus dem inneren,
fachlichen Zufammenhang der Weisfagungsmomente heraus
: für den Weisfager ift das Leiden des Ebed in dem
Augenblick eine vergangene Sache, da er ihn erhöht
denkt. Weiter fucht F. die Idee des leidenden Meffias
zu erklären und ihren Urfprung aufzuweiten: in das Bild
des Meffias wurde das prophetifche Moment aufgenommen;
die Erfahrung, daß die Frommen leiden müffen, daß gerade
die großen Gottesknechte, die Propheten, in ihrem
Beruf besondere Leiden auszustehen hatten, führen zu
der Vorstellung, daß auch der eschatologifche, prophetisch
gedachte Gotteskönig durch Leiden hindurchgehen
müffe, wie ja auch fonft in manchem ATlichen Meffias-
fpruch der Gedanke der Niedrigkeit enthalten fei. Die
Vordellung vom (teilvertretenden Sühneleiden endlich fei
durch die Opfertora veranlaßt: das unvollkommene Opfer
drängt auf ein vollkommenes zukünftiges Opfer hin, ,die
Vorftellung eines meffianifchen Opfers und Priefters nach
der Art von Jef. 5310 ergab fich aus der Erkenntnis des
Wefens des ATlichen Opfers wie von felbft'. Es ift alfo
eine Entwicklung, die fich ganz innerhalb der israelitifchen
Gedankenwelt vollzog, dazu kam noch der Einfluß der
göttlichen Offenbarung. Indem fo der vollkommene Ebed
das leidet, was Israel felbd nicht leiden kann, id er der
Stellvertreter Israels, und fo id erklärt, daß das gleiche
Wort furdieindividuell-meffianifcheZukunftsgeftalt wie für
das gegenwärtige Volk gebraucht wird. Daß der Ebed
des Dtjef. der Meffias id, beweift die Meffiashoffnung im
übrigen Dtjef., die auffallende Ähnlichkeit der Ebeddücke j
mit Jef. 9 und 11 und die NTliche Deutung; die Idee des j
leidenden Meffias fpeziell hat fich tief ins jüdifche Be- |
wußtfein eingeprägt (Sach. 99 1210). Zum Schluß wehrt
F. den Verfuchab, die Ebedvordellung aus mythologifcher
Wurzel zu erklären.

Das Referat über die bisherige Ebedliteratur id zu
umdändlich, möglicherweife allerdings im Intereffe des
fpeziellen Leferkreifes begründet; es id auch nicht immer
objektiv, da Verf. zuweilen fchon mit feiner eigenen
meffianifchen Deutung als Gegengrund operiert. Glücklicher
wäre gewefen, nur eben die Ebeddebatte in ihren
großen Zügen und in ihrem Fortfehritt zu erzählen, dann
hat jede derartige Zufammenfaffung Reiz und Wert, ermüdet
nicht und führt fchon durch das bloße Referat
einen Schritt weiter. Ganz befonders zu bedauern id
aber, daß F. die letzte Äußerung über den Ebed nicht
kannte bezw. nicht berückfichtigte, die von Greßmann in
feinem ,Urfprung der isr.-jüd. Eschatologie'. Indem F.
am Schluß die mythologische Wurzel ablehnt und den
leidenden Fbedmeffias ganz aus dem inneren Gang des
israelitifchen Denkens und Erlebens erklärt, wiffen wir
freilich, wie er fich zu Greßmanns Ableitung des escha-
tologifchen Ebed aus dem Jahrmythus vom derbenden
und auferdehenden Gott dellen würde. Es kommen alfo
die beiden letzten Sprecher in der Ebeddebatte (wie
auch Mäcklenburg) auf das gleiche Endrefultat hinaus
(Ebed als eschatologifche Einzelperfönlichkeit); der Weg,
den die beiden gehen, id grundverfchieden. Äber immer
noch id es nicht möglich, einem oder dem andern völligen
Beifall zu fpenden und völlig befriedigt die Debatte als
abgefchloffen zu betrachten. Weder der innere Zufammenhang
der vier Ebeddücke noch ihr Zufammenhang mit
Dtjef., den beide, F. wie Greßmann, behaupten, id über
allen Zweifel erwiefen, noch id das fprachliche und inhaltliche
Rätfei von Jef. 53 völlig gelöd. Der Verfuch I

F.s, die Idee des leidenden Meffias aus Israels Theologie
und Leben heraus zu erklären, id mehr gutgemeint als
gelungen, fo wie der Verfuch Greßmanns mehr kühn als
zwingend id. F. unterliegt im Lauf der Dardellung der
leichtbegreifiiehen Verfuchung, fad nur noch an Jef. 53 zu
denken und die übrigen Ebeddücke nur nebenbei zu be-
rückfichtigen. Dadurch überdeckt er die fachlichen und
formellen Verfchiedenheiten, die zwifchen den einzelnen
Stücken bedehen. Mir id es immer noch am wahrfchein-
lichden, daß Jef. 53 ganz für fich lief, viel fpäter verfaßt
als die übrigen, daß die Stücke in Jef. 42. 49. 50 nicht
von einer engbegrenzten konkreten Perfönlichkeit fprechen,
fondern von Vertretern gleichen Standes, gleichen Strebens
und Erlebens. Jef. 53 aber, unbedingt individuell
zu faffen, zu groß für irgend eine gefchichtliche Perfönlichkeit
, id das geheimnisvolle, infpirierte, von zeitge-
fchichtlichen Erfahrungen belebte, von auswärtigen Ideen
beeinfiußte, weit über Zeit und Raum hinausfehauende
Prophetenwort vom künftigen Erlöfer, gefunden von einem
der größten unter den Männern des Gottesgeiftes.

Tübingen. Volz.

Klette, Lic. Dr. Pfr. E. Theodor, Die Chriftenkataftrophe
unter Nero nach ihren Quellen insbefondere nach Tac.
ann. XV, 44 von neuem unterfucht. Tübingen, J. C. B.
Mohr 1907. (VIII, 148 S.) gr. 8» M. 3.60

Dem kürzlich von mir in diefer Zeitfchrift (Jahrgang
1906, Sp. 167—170) ausführlich befprochenen Riefenwerke
Profumos läßt ein deutfeher Theologe, Pfarrer Dr. Klette
in Etzdorf, eine zwar nicht fo umfangreiche, aber immerhin
gewichtige und mit umfaffender, teilweife felbdändig
erworbener Sachkenntnis gefchriebene Monographie über
den vielbehandelten Gegendand folgen, darin er mit dem
übrigens nur gelegentlich (S. I2f. 76. 81. 136) erwähnten
italienifchen Gelehrten zufammentrifft: 1) in der fogar
noch mit gedeigertem Mißtrauen eingenommenen Stellung
zum Bericht des Tacitus im Gegenfatze zu der gündigen
Beurteilung des Suetonius (der ältere Plinius gilt hier als
gemeinfame Quelle beider); 2) in der Bevorzugung des Clu-
vius Rufus als des zuverläffigeren unter den weiteren,
bei Tacitus vorkommenden Gewährsmännern (aber nicht,
wie bei Profumo, für dolo prineipis, fondern für das
forte eintretend); 3) in der Ausfcheidung der Branddif-
tung als direktem Motiv der Katadrophe (aber nicht fo,
daß Brand und Chridenverfolgung, wie bei Profumo, auch
zeitlich auseinandertreten und Prozeffe wegen Brand-
didung überhaupt nicht vorkamen); 4) in der gefchicht-
lichen Stellung Neros als des bewußten Urhebers (dedi-
cator nach Tertullian) des ganzen, die folgenden Jahrhunderte
füllenden Chridenprozeffes (Tertullians institu-
tnm Neronianum alfo auch nicht mit Profumo auf ein
institutum Tiberianum zurückzuführen); 5) in der Verneinung
fowohl bei Nero eines vereinzelten Willkürakts,
als bei Domitian erdmaliger Unterfcheidung von Chriden
und Juden; 6) in der Deutung des odium generis hu-
mani auf Feindfchaft gegen das römifche Volk und Reich
(nach Profumo = crimen laesae maiestatis, hier dagegen
abfichtliche und bewußte Ifolierung, alfo mehr Gefin-
nungsvergehen; ausgefchieden wird auch S. II. 95. IOO die
von dem Unterzeichneten 1874 vertretene Bezugnahme auf
den bevordehenden Weltbrand der chridlichen Efchatolo-
gie); 7) in der Annahme der Exidenz und Notorietät einer
zahlreichen Chridengemeinde zur Zeit Neros (alio tragen
weder Tacitus noch Suetonius bei ihren Dardellungen Namen
und Lage der Chridenheit aus ihren Lebzeiten in die
TageNeros zurück). Im Unterfchiede von der, fofort mitUn-
terfuchung derTacitusdelle beginnenden Methode Profumos
fucht unfer Verf. zunächd feftzuftellen, was fich über den
fraglichen Vorgang aus dem fondigen Quellenmaterial, alfo
namentlich aus dem Clemensbrief und aus Sueton, vielleicht
auch aus Melito und Tertullian gewinnen läßt.