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Ausgabe:

1908 Nr. 8

Spalte:

230-233

Autor/Hrsg.:

Stucken, Eduard

Titel/Untertitel:

Astralmythen der Hebraeer, Babylonier und Aegypter 1908

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 8.

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im Buche Hiob find, fo gefchickt er fie auch formuliert
haben mag, nicht durchfchlagend. Sie wurzeln am
letzten Ende im Bedürfnis des Verf., die alte Hiob-
dichtung nicht ohne eine ihn befriedigende Löfung ausklingen
zu laffen. Auch feine Auffaffung von der Abficht
des Dichters des Hiobbuches können wir nicht teilen.
Nach Budde hat nämlich der Dichter zeigen wollen,
daß Gott auch über die gerechteren Menfchen Leiden
verhänge, damit er fie von verfteckt und unerkannt gebliebenen
Sünden, vor allem von der Hochmutsfünde
reinige und damit in ihrer Gerechtigkeit fördere. Das
ift nicht richtig. Nicht durch feine Leiden wird Hiob
zur Erkenntnis feines geiftlichen Hochmutes gebracht
und von diefem geheilt, fondern durch den Eindruck
der erdrückenden Majeftät der Gottheit, die fich ihm
zum Schluß offenbart und ihm feine Erbärmlichkeit zum
Bewußtfein bringt. Daß ferner die ,elohiftifche' Dar--
ftellung von der Entftehung des Königstums im I. Samuelis-
buchc durch Hofea beeinflußt fei (S. 101) und darum für
fekundär zu gelten habe, können wir nicht zugeben. Das
Königtum als folches hat von allem Anfang an feine
prinzipiellen Gegner gehabt und zwar vor allem in den
Friefterfchaften, deren Einfluß durch das Aulkommen
einer weltlichen Zentralgewalt eine Minderung erfahren
mußte. Ein theokratifcher Erzähler konnte daher das
Königtum gar nicht anders als ein von Jahve zugelaffenes 1
Übel beurteilen. Dazu kommt, daß die altmodifchen
Generationen vor dem Königstum als einer neumodifchen j
Einrichtung einen gewiffen Widerwillen hatten. Die Fabel
Jothams in Ida 9, die ficher älter ilt als Hofea, bringt die I
königsfeindliche Stimmung älterer Zeiten draftifch zum
Ausdruck. Die David-Erzählungen hat der Verf. in zu
optimiftifcher Weife als Gefchichtsquelle gewertet. Ge- j
wiß find fie ja auch von unfehätzbarem Wert, aber wir
dürfen uns doch nicht verhehlen, daß fich fehr viel anek- |
dotenhafte Züge und künftlich ftilifierte Erzählungen dar-
unter finden. Als dokumentarifche Berichte eines Augenzeugen
kann Ref. fie jedenfalls nicht werten. Starke
Bedenken hat Ref. vor allem gegen des Verf. Behandlung
der jahviftifchen Urgefchichten, und zwar nicht fowohl
gegen des Verf. Quellenfcheidung und Unterfcheidung
zweier Schichten — denn hier liegen Probleme vor, um
deren Löfung fich der Verf. ficherlich verdient gemacht
hat — als vielmehr gegen gewiffe reliongsgefchichtliche
und gefchichtliche Anfchauungen, die der Verf. als Vor-
ausfetzung für feine Unterfuchung mitgebracht hat. Daß
die Paradiefes- und Sündenfallgefchichte deutlich den Ein- [
fluß der großen Schriftpropheten verrate und daher 1
fchwerlich vor der Mitte des 8. Jahrhunderts verfaßt fein
könne, hält Ref. nicht für zutreffend. Spekulationen, wie i
fie Gen. 2 f. vorliegen, liegen den mehr praktifch ge- 1
richteten Propheten fern, und der monotheiftifche Gottes- |
gedanke, der diefe Spekulationen beherrfcht, ift nicht
erft eine Errungenfchaft der Propheten. Auch im vor-
prophetifchen Israel gab es Männer mit weltweiten Gedanken
, die zu fpekulieren und die Weisheit des alten
Orients im Sinne der Jahvereligion zu fruktifizieren ver-
ftanden. Budde rechnet zu wenig damit, daß fchon das
alte Israel an der altorientalichen Zivilifation und der ;
geiftigen Kultur Babylons teilnahm. Er läßt babylonifche
Ideen erft Ausgangs des 8. und vor allem in der erften
Hälfte des 7. Jahrhunderts, und zwar da gleich ,über-
mächtig durch alle Poren' in Israel eindringen (S. 102). Wir
unterfchätzen die Wichtigkeit diefer Periode in diefer Beziehung
nicht. Babylonifche Kultur und Religion hat
hier in der Tat unmittelbar auf Israel eingewirkt, aber
längft vorher hat Israel in einem Kulturmilieu geftanden, |
das durch das Zufammenftrömen babylonifchen und
ägyptifchen Geiftes feit unvordenklichen Zeiten gefchaffen
war. Beweis dafür ift eben die Paradiefesgefchichte, die
ja doch auch nach Budde einer relativ älteren Schicht in J.
angehört. Diefe Gefchichte arbeitet von Anfang bis zu i
Ende mit altoricntalifchem Vorftellungsmaterial. Man |

denke nur an den Göttergarten mit dem Lebensbaume
an die vier Paradiefesftröme, deren Vierzahl urfprünglich
wohl mit der Vierzahl der Weltgegenden zufammenhing,
an die Schlange als die Feindin des Schöpfergottes, an
den Kerub als den Wächter des Göttergartens, man denke
an die ganze Problemftellung in Gen. 3, die aufs engfte
mit der des babylonifchen Adapamythus verwandt ift,
u. a. m. Wir können angefichts folcher Tatfachen dem
Verf. natürlich auch nicht beiftimmen, wenn er die
Israeliten mit der uralten Sintflutgefchichte erft in der
erften Hälfte des 7. Jahrhunderts bekannt werden läßt.
Eine folche Gefchichte war Gemeingut des ganzen alten
Orients. Der Verf. beruft fich vielleicht auf feine literar-
kritifchen Ergebniffe, wonach es in der jahviftifchen Ur-
gefchichte einmal eine Schicht gab, die die Sintflut-
erzählung nicht enthielt. Das mag ja richtig fein. Aber
mit Literarkritik laffen fich derartige Fragen nun einmal
beim beften Willen nicht entfeheiden. Hier entfeheidet
allein eine an gefchichtlichen Tatfachen orientierte Ge-
famtanfehauung vom alten Orient. Die letzte Phafe der
altteftamentlichen Wiffenfchaft, die wefentlich unter dem
Zeichen der Literarkritik ftand, hat einer folchen Gefamt-
anfehauung den Eintritt verwehrt. Budde, einer ihrer
hervorragendften Vertreter, hat diefer Phafe durch fein
Werk, deffen hervorragende hligenfchaften wir gern anerkennen
, und aus dem auch der Theologe noch auf
lange Zeit hinaus viel wird lernen können, gewiffermaßen
einen monumentalen Abfchluß geben. Ein Abfchluß
bedeutet aber zugleich einen neuen Anfang, denn in der
Wiffenfchaft gibts keinen Stillftand.

Auf Bertholets Behandlung der apokryphifchen
und pfeudepigraphifchen Literatur, die der Arbeit Buddes
anhangsweife angefügt ift, können wir hier nur noch
empfehlend hinweifen. Dem Verf. ift es nicht um literar-
kritifche Erörterungen zu tun gewefen. Er hat das
Hauptgewicht mit Recht auf die Zeichnung des kultur-
hiftorifchen Hintergrundes, der hiftorifchen Zufammen-
hänge und der leitenden Ideen und Tendenzen gelebt
und gezeigt, wie fich das alles in der apokr. und
pfeudepigr. Literatur reflektiert. Die Einteilung diefer
Literatur ift nach Stilgattungen erfolgt. Er behandelt
zunächft die gefchichtliche Literatur (1. u. 2. Makka-
bäerbuch), die apokalyptifche und lyrifche Literatur
(Henochbücher, Pfalmen Salomos, die Himmelfahrt Mofes,
das IV. Buch Efra, die fyrifche Baruchapokalypfe, das
Baruchbuch, weitere Gefchichtsapokalypfen, die kosmolo-
gifchen Henochbücher, die griech. Baruchapokalypfe),
ferner die legenden- und romanhafte Literatur
(die griech. Zufätze zu Daniel und Efther und Verwandtes,
das III. Buch Efra, den Arifteasbrief, die Jubiläen, das
Leben Adams und Evas, das Martyrium Jefajae und ähnliches
, das Buch Judith, das III. Makkabäerbuch, das Buch
Tobit und Verwandtes) und endlich die lehrh afte Literatur
(Jefus Sirach, Sapientia Salomonis, Sibyllinen [hier eingeordnet
wegen des ftarken erbaulich-lehrhaften Elementes,
das fich in dem an fich apokalyptifchen Schriftwerk
findet], das IV. Makkabäerbuch, die Teftamente der
XII Patriarchen und Verwandtes). Der Verf., der feinen
Stoff fouverän beherrfcht, hat es gut verftanden, den
Lefer in die z. Tl. kraufe Gedankenwelt diefer fo wichtigen
Literatur einzuführen. Möchte feine Arbeit dazu beitragen
, das immer noch viel zu wenig rege Intereffe an
diefer Literatur namentlich auch in Theologenkreifen zu
wecken und zu fteigern.

Jena-__B. Baentfch.

Stucken, Eduard, Aftralmythen der Hebraeer, Babylonier
und Aegypter. Religionsgefchichtliche Unterfuchungen.
V. Teil. Mofe. Leipzig, E. Pfeiffer 1907. (S. 431—657)
gr- 8° M. 14-

Wenn Stucken den vorliegenden 5. Band feiner

.Aftralmythen' mit dem Titel Mofe überfchreibt, fo er-