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Ausgabe:

1908 Nr. 6

Spalte:

180-182

Autor/Hrsg.:

Pradel, Fritz

Titel/Untertitel:

Griechische und süditalienische Gebete, Beschwörungen und Rezepte des Mittelalters, hrsg. u. erklärt 1908

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 6.

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zur Darfteilung in dem vortrefflichen Lebensbilde, das I
Prof. W. Reichardt in Groß-Lichterfelde, einer der ver-
trauteflen Schüler des Jenenfer Lehrers in dem Jahresbericht
über die Fortfehritte der klaffifchen Altertums- j
wiffenfehaft, i36.Bd. 1907 mit pietätvoller Hand gezeichnet j
hat. Das fpricht fich auch in dem vorliegenden Bändchen j
aus, das uns die Witwe und der Sohn zum Erfatz für {
eine von dem Heimgegangenen in den letzten Monaten
feines Lebens geplante Sammlung feiner zahlreichen
verftreuten kleineren Arbeiten bieten. Die rein wiffen-
fchaftlichen, die er dem heutigen Stande der Forfchung
entfprechend hatte umarbeiten wollen, find dabei ausge- |
fchloffen. Was hier in forgfamer Auswahl erfcheint, zeigt
Geizers Kunft, weitere Kreife an den Refultaten feiner fich
oft auf recht entlegenem Gebiet bewegenden Forfchung i
teilnehmen zu laffen, zeigt feine prächtige Beobachtungs- j
gäbe zugleich mit dem Gefchick, das Gefchehene mit
Mitteilungen aus den reichen Schätzen feines hiftorifchen
Wiffens zu durchflechten. Erforfchtes und Erlebtes,
beides ftets in kraftvoller Beziehung von Vergangenheit
und Gegenwart.

Die drei erften Auffätze führen uns in Geizers wichtig-
ftes Studiengebiet, die byzantinifche Gefchichte. Er hatte
für das saeculum obsenrum einen echten ,Volksfchrift-
fteller' in Leontios von Neapolis (auf Cypern, um 650)
entdeckt, deffen Biographie des Patriarchen Johannes des
Barmherzigen von Alexandrien er 1893 in Krügers Sammlung
dogmengefchichtlicherQuellenfchriften 1,5 herausgab;
eine zweite Vita, das Leben des Narren um Chrifti willen, |
Symeon, kommt dazu. Aus diefen beiden Texten weiß J
Geizer ein 'kulturgefchichtliches Zeitbild zu fchöpfen,
deffen intimen Reiz man eben genießen muß. Der
zweite Auffatz behandelt in ebenfo tief eindringender
wie großzügiger Weife ,das Verhältnis von Staat und
Kirche in Byzanz'. Bei Geizer ift das nicht eine Frage
von bloß antiquarifchem Intereffe, fondern die Lebensfrage
der Gefchichte. Und nicht bloß kein Hiftoriker,
fondern überhaupt kein Theologe, kein gebildeter Menfch j
follte an diefer lichtvollen Darfteilung vorbeigehen. Ein [
dritter kleinerer Auffatz ift ein fchönes Beifpiel jener
Kunft, durch gewiffenhafte Verwertung vieler Einzelzüge j
aus mangelhaften Quellen ein anfehauliches Bild zu ge- I
Winnen: Geizer ftellt uns die Sitz- und Gefchäftsordnung
im Senat und auf den chriftlichen Synoden dar und
kommt fo zu dem einleuchtenden Refultat, daß ,die {
Konzilien als Reichsparlamente' zu betrachten find.

Diefe der byzantinifchen Forfchung entnommenen
Studien legen den dringenden Wunfeh nahe, daß Gelzer's
in feiner Knappheit fo inftruktiver Abriß der byzantinifchen
Kaifergefchichte, der Krumbachers 2. Auflage
1897 beigegeben war, auch in einer handlicheren Form
als in Jwan Müllers Handbuch, dem fich ja zufehends
mehrenden Kreife von Liebhabern byzantinifcher Studien
zugänglich gemacht werde: Geizer hat es wie wenige ver-
ftanden, die hohe Bedeutung der im Rhomäerreich fortwirkenden
kulturellen Kräfte auch für unfere abendlän-
difche Gefchichte herauszuarbeiten; er verband mit dem
politifchen das kirchliche Intereffe, ohne das byzantinifche
Gefchichte nicht zu verftehen ift, und damit zugleich einen
feinen, auch des Humors nicht ermangelnden Sinn für
das mit dem Byzantinismus nun einmal unlöslich verbundene
Formen- und Formelwefen.

Als Kirchenhiftoriker fchätzte Geizer das Mönchtum;
als Gelehrter war er gern in Klöftern zu Galt. Mit dem
ihm eignen Gerechtigkeitsfinn und der ihm mit Jakob
Burckhardt gemeinfamen Neigung, herrfchenden Vorurteilen
fcharf entgegenzutreten, gibt er dem in ,Pro
monachis1 (4) Ausdruck gegenüber proteftantifcher Verkennung
und aufklärerischer Vergewaltigung. Befuche
bei den Mechitariften von San Lazzaro (5) und in der
Abtei von Saint Maurice (6) geben ihm Gelegenheit, per-
fönliche Eindrücke, die er zum Teil in launiger Weife

fchildert, mit hochintereffanten gefchichtlichen Betrachtungen
zu verbinden.

In diefe Reihe gehören auch Mitteilungen, die Geizer
u. d. T. /Ungedrucktes von Bifchof v. Hefele' (9) aus der
Korrefpondenz des Bifchofs mit einer Proteftantin, die
zugleich eine intime Freundin des Gelzerfchen Haufes
in Bafel war, zu machen in der Lage ift: Geizer fucht hier
in feinem unparteiifchen Gerechtigkeitsfinn der Weitherzigkeit
eines der führenden Geifter im katholifchen
Lager ein Ehrendenkmal zu fetzen und hat damit in
der Tat einen wertvollen Beitrag zur religiöfen Pfycho-
logie des neueren deutfehen Katholizismus geliefert.

Geizer hatte den befonderen Vorzug genoffen, fchon
als junger Mann in vertrautem Umgang mit Männern
von der überragenden Bedeutung eines Ernft Curtius
und Jakob Burckhardt zu ftehen und er wußte aus
den Gefprächen mit ihnen edelften Gewinn zu ziehen.
Beiden verehrten Lehrern hat er dann feinfinnige Cha-
rakteriftiken gewidmet (7 und 8), die wohl geeignet find
ihnen Begeilterung und Liebe auch bei Fernftehenden
zu erwecken und manches falfche Bild, das man fich
von diefen viel angefeindeten Größen macht, zu zer-
ftören. Am vollendetften erfcheint diefe Kunft perfön-
licher Charakteriftik endlich in dem Epitaphios, den
Geizer als Prorektor der Univerfität Jena dem verdorbenen
Großherzog Karl Alexander widmete(io). Geizer hat diefen
hochedeln, vielverkannten Fürften nach feinen vielfeitigen
Verdienften, der Lauterkeit feines Wefens und der Aufrichtigkeit
feiner Überzeugung fo voll gewürdigt, wie es
nicht leicht ein anderer zu tun vermocht hätte.

Alle Freunde und Verehrer Geizers werden fich mit
uns des Denkmals freuen, das ihm in diefer Sammlung
feiner kleinen Schriften gefetzt ift, des Bildes, das ihnen
die wohlbekannten freundlichen Züge wieder vergegenwärtigt
. Hoffen wir, daß dies Buch ihm noch manchen
neuen Freund gewinnt.

Straßburg. E. v. Dobfchütz.

Pradel, Gymn.-Oberlehr. Dr. Fritz, GriechiTche und fiid-
italienifche Gebete, Befchwörungen und Rezepte des
Mittelalters, herausgegeben und erklärt. (Religions-
gefchichtliche Verfuche und Vorarbeiten. III. Band,
3. Heft.) Gießen, A. Töpelmann 1907. (VIII, 151 S.)
gr. 8" M. 4 —

W. Kroll hat im Jahre 1895 aus Ven. Marc. gr. II 163
(16. Jh.) und Rom. Barb. gr. III 3 (a. 1497) allerlei magifche
Gebete und Formeln abgefchrieben, deren Verarbeitung
dann aber einem feiner Schüler überlaffen. Pradel hat
diefe fo angelegt, daß er dem Abdruck der Texte S. 7—37
einen Kommentar S. 38—131 folgen läßt; als Einleitung
dient die Befchreibung der Handfchrift mit Hinweis auf
verwandte Texte; als Schluß zwei Abfchnitte Zufammen-
faffung S. 132—134 und Über Alter und Herkunft der
Texte S. 135 — 138.

Beginnen wir mit letzterem. Pr. macht es durch
fprachliche Gründe (die ein von Thumb beigefteuerter
Anhang verftärkt) und inhaltliche Erwägungen wahr-
fcheinlich, daß die Gebete und Rezepte, fo wie fie vorliegen
, ans Ende des Mittelalters (nach 1327) und nach
Kreta oder Sizilien gehören: die mittelgriechifchen Texte
find mit füditalienifchen in griechifcher Schrift vermifcht.
Ich möchte dazu auf die engen Beziehungen, die zwifchen
Kreta und Sizilien beftanden und fpeziell durch die Mönche
des Sinaiklofters vermittelt wurden, hinweifen; vgl. Byz.
Zeitfchr. XV 243 ff. Vielleicht ift es für die Provenienz
der Gebete bedeutfam, daß nach 233 die Begegnung
des Erzengels Michael mit der Unholdin Abyzoü nach
dem Sinai verlegt wird.

Die Art der Textdarbietung ift keine glückliche: ab-
gefehen von dem merkwürdigen Eindruck, den die vielen
Vermerke ,von Kroll nicht weiter abgefchrieben' machen