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Ausgabe:

1907

Spalte:

170-172

Autor/Hrsg.:

Aicher, Georg

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament in der Mischna 1907

Rezensent:

Schürer, Emil

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6g Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 6. 170

ift. Ihm fehlt die für den Brief wefentliche Grußzufchrift, j Fiktion des Schluffes richtig verftanden und hat den
ihm fehlt der briefliche Eingang, ein Mangel, der fchon ! Brief als paulinifchen in den Kanon aufgenommen,
oft bemerkt und ungenügend erklärt wurde. Die perfön- Im Anhang (S. 87—96) warnt W. entfchloffen davor,

liehen Beziehungen des Autors zu feinen Lefern find in : den Barnabasbrief als einen wirklichen Brief anzufehen.
der ganzen Kapitelreihe 1 —12 blaß, konkrete Fragen und Das Briefliche in feiner Form ift nur Fiktion, es geht,
Sorgen treten nicht hervor, es wird nicht klar, warum , auch am Eingang, nicht über das Allgemeinfte hinaus;
die theoretifchen Ausführungen geboten werden, welche der unbeftimmte Inhalt (Gnofis und Moralvorfchriften)
Lücken der Glaubenserkenntnis fie ausfüllen follen. paßt gar nicht zu der Intimität der brieflichen Wendungen;
Richtig ift, daß ein Angelpunkt des Schreibens die , nirgends fteht etwas, was auf das befondere Intereffe eines
öfters wiederholte Mahnung zur Standhaftigkeit ift, aber | engern Leferkreifes hinwiefe. Barn, ift fachlich eine Abneben
diefen praktifchen, an fich gut brieflichen Aus- 1 handlung, Diatribe, als Brief eine Fiktion, aber freilich
führungen haben die breiten theoretifchen Darlegungen, ; kein Pfeudepigraphon.

die Gnofis bringen, felbftändiges Intereffe. Die farblofe | Was fich gegen feine Auffaffung des Hebr.-Briefes als
Unbrieflichkeit von Kap. 1 —12 wird befonders auffällig, j eines Pfeudepigraphon, und zwar eines paulinifchen, fagen

wenn fie mit den perfönlichen Notizen 138-2:) verglichen
wird. Die Stellen 1032-34 (610, IO25) 511 f., 69-12 find für
W. keine Gegeninftanz gegen feine Beurteilung von Hebr

läßt, hat W. felber erkannt. Das Hauptgegenargument
ift: Warum hat der Verfaffer des Briefes zu dem brieflichen
Schluß nicht auch einen brieflichen Anfang fin-

Auch aus ihnen darf man nicht auf einen begrenzten, giert? Dann konnte er feine Abficht, im Namen des
mit dem Autor eng verbundenen Leferkreis fchließen, Paulus zu fchreiben, doch von Anfang an vollftändiger
die Stellen find zu allgemein an Inhalt, teils (6 n ff ), außer- ; und beffer verwirklichen als dadurch, daß er undeutliche
dem noch zu feltfam in ihren Ausführungen, um einen I Anfpielungen an den Schluß des Schreibens anfügte,
beftimmten und vertrauten Leferkreis vorauszufetzen; Selbft wenn ihm der Plan, einen paulinifchen Brief zu
511—612 insbefondere ift kein Zeugnis für einen be- fenden, erft während der Abfaffung feiner Abhandlung
ltimmten Leferkreis. fondern vielmehr ein Gegenzeugnis, kam, mußte er nachträglich eine Grußzufchrift an den
Im zweiten Teil der Unterfuchung (S. 39-64) will ' KoPf °es Schreibens Hellen, weil eine folche Zufchnft
W. den pfeudopaulinifchen Charakter des Schluffes von j notwendig zum Wefen des Briefes gehört, ebenfogut wie
Hebr. dartun. Nach feiner Deutung follen die Angaben ■ dler Gruße und Notizen des Schluffes. Eine Antwort
13» v. 24, fo kurz und karg fie find, doch unverkenn- ; auf d,es Hedenken bekennt Vv. nicht zu wiffen (S. 70),
bar auf die Gefangenfchaft des Paulus hindeuten, ebenfowenig wie ein anderer diefen Mangel von Hebr.
Notizen aus den echten -Gefangenfchaftsbriefen (Phil, bishfx hat erklaren können. Die weiteren Bedenken be-
Philem) findet er am Ende von Hebr. verwendet, und er , treffen die Deutung, die W. den Angaben von 13 19. wt zu-
verfucht es, mit diefer Annahme auch den Widerfpruch I werden laßt. Trotz feiner fcharffinnigen Auslegung
zwifchen Hebr. h19 und 1323 wegzuerklären (S. 556.). ] bleiben die ftarkften Zweifel beliehen, ob in den be-
So felbfländig der Autor von Hebr. fonft, auch dem | treffenden Sätzen wirk ich auf Paulus als den Brieffchreiber
Erbe des Paulus gegenüber, verfährt: am Schluß feines ! hingezielt werden foll Ein fingierender Brieffchreiber
Schreibens wird er ein bewußter Nachahmer. W. er- mußte wenn er dem langen Schreiben in den wenigen
neuert alfo die einft weit verbreitete und fehr alte An- j bchlußfatzen den Stempel [paulinifcher Autorfchaft auf-
fchauung, daß Hebr. von Paulus gefchrieben ift oder ge- 1 drucken wollte, deutlicher reden, als es der Verfaffer
nauer von Paulus gefchrieben fein will. von Hebr. tut. Endlich find auch die eine erlittene Ver-

„. , . , .... . , folgung vorausfetzenden und kurz fchildernden Verle

Die beiden unabhängig von einander gewonnenen , IO,2ff. keineswegs fo blaß und allgemein gehalten, wie
Ergebniffe, den unbneflichen Charakter von Kap. 1 —12 w es darltellt

und die pfeudopaulinifche Faffung des Schluffes kombi- [ ' Was W. bringt, ift mithin nur eine mögliche Löfung

niert der dritte Teil der Unterfuchung (S. 64—74). Die
beiden Ergebniffe fordern einander: ein fingierter Schluß
bedeutet den Verzicht auf den Briefcharakter des Ganzen,
und umgekehrt: weil Hebr. kein wirklicher Brief ift,
darum müffen auch die brieflichen Andeutungen des
Schluffes fingiert fein. Im Briefe felber (i—12) finden
fich keine Spuren pfeudopaulinifcher Schriftftellerei, wohl
aber vielleicht im Abfchnitt 13 1-17. Der ganze Brief,
1—13, bildet eine unzerreißbare Einheit, an die Abtrennung
von Kap. 13 oder auch nur an die fpätere Hinzufügung
von 1319fr. ift nicht zu denken. Die unzerreißbare
Schrift, die nur am Schluß pfeudonym wird, zwingt zur
Annahme, daß der Verfaffer nicht von vornherein die
Abficht hatte, unter der Maske des Paulus zu fchreiben,
fondern daß ihm diefer Plan erft fpäter, während der
Abfaffung feiner für weite chriftliche Kreife beftimmten
Anfprache kam. Hebr. beginnt als Abhandlung, fetzt

des Rätfels von Hebr. Er hat diefe Löfung vorzüglich
begründet und fcharffinnig durchgeführt, und er zwingt
auch den Gegner unbedingt zu einer fehr gründlichen
Neuprüfung der Grundlagen für feine abweichende An-
fchauung.

Marburg i. H. R. Knopf.

Aich er, Dr. Georg, Das Alte Tertament in der Mitchna.

(Biblifche Studien. Herausgegeben von O. Barden-
hewer. Elfter Band. Viertes Heft.) Freiburg i. B.,
Herder 1906. (XVII, 181 S.) gr. 8° M. 4.6b

Diefe ebenfo fleißige wie nützliche Arbeit fei der

Beachtung der neuteftamentlichen Exegeten empfohlen.

Wer die paulinifche Dialektik und infonderheit die Art,

wie er den Schriftbeweis führt, wirklich verftehen und

lieh tort als Briet und endigt als pauhnifcher Gemeinde- ; wiirHicTf>r. ,„:n ___n c.„u ui • 1 u • j- uu- r u

Kri-r /c »,1 Naoti a„ aJLi^ wb .„ . . rJr- u.u.. 1- würdigen will, muß fich hineinleben in die rabbinifche

brief (S. 73). Nach der Anficht W.s rückt alfo Hebr. in
die Reihe der pfeudopaulinifchen Schreiben ein.

Auch in der Tradition über den Brief, mit der fich W.
im Schlußteil feiner Ausführungen befchäftigt (S. 74—86),

Methode und ihr nachempfinden lernen. Denn nur von
hier aus ift ein inneres Verftändnis der paulinifchen
Denkart möglich. Das Griechifche war zwar Pauli
Mutterfprache: er gebraucht nur die griechifche Bibel

findet er eine Beftätigung feiner Anfchauung. Die Über- und war vom Hellenismus nicht unbeeinflußt. Aber
lieferung (,an die Hebräer'; Barnabas- und Paulustradition, feine wiffenfchaftliche Schulung war die rabbinifche.
neben denen wohl noch andere Überlieferungen über den j Aicher legt uns nun freilich nur den Schriftgebrauch
Autor umgingen) zeigt, daß die ältefte Kirche weder j der Mifchna vor. In diefer überwiegt die Halacha fo
über den Verfaffer noch über die Adreffaten etwas Ge- j fehr, daß fich Haggadifches nur ausnahmsweife findet,
naueres gewußt hat. Sie hat indes empfunden, daß der j während die Gedankenwelt der paulinifchen Briefe dem
Brief an einen weiten Kreis geht, daher die unbeftimmte Gebiet der ,Haggada' angehört. Aber die Methode der
Adrelfe: an die Hebräer; fie hat aber auch fchon die | Beweisführung aus der Schrift war in der Hauptfache

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