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Ausgabe:

1907 Nr. 6

Spalte:

168-170

Autor/Hrsg.:

Wrede, William

Titel/Untertitel:

Das literarische Rätsel des Hebräerbriefs 1907

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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167

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 6.

168

gefchichtlichen Charakter des Prozeffes vor dem Syne-
drium (S. 184 f.).

Baden. H. Holtzmann.

Clemen, Prof. Lic. Dr. Carl, Paulus. Sein Leben und Wirken.
2 Teile. Gießen, J. Ricker 1904. gr. 8° Geb. M. 15.50

i. Unterfuchung. (VIII, 416 S.) M. 8—; geb. M. 9 —. — 2.
Darfteilung. Mit einer Karte der Miffionsreifen des Apoftels. (VIII,
339 S.) M. 5—; geb. M. 6—

Nach dem von Beyfchlag in feinem Leben Jefu gegebenen
Mufter hält der Verf. Unterfuchung, d. h. wefentlich
Literarkritik, und Darfteilung, d. h. fortlaufende Erzählung
auseinander. Dort handelt er 1) von den Vorausfetzungen,
d.h. von der dem Hiftoriker erfreulicher Weife zuerkannten
Pflicht, an der Vorausfetzung eines durchgängigen Kau-
falzufammenhanges feftzuhalten; 2) von den Quellen, d. h.
den paulinifchen Briefen, der kanonifchen Apoffelgefchichte
und ihren apokryphen Seitengängern; 3) von der Chronologie
, wo vielfach frühere Aufhellungen des Verf.s (Die
Chronologie der paulinifchen Briefe 1893) zurückgenommen
werden mit dem Endergebniffe eines Schemas, das die
Bekehrung 31, das Apoftelkonzil 48, den Galaterbrief 50,
die Gefangenfchaft in Cäfarea 59—61, die römifche Ge-
fangenfchaft 62—64 anfetzt. Die Briefe felbft find echt
mit Ausnahme des Epheferbriefes und der Paftoralbriefe,
denen jedoch die Stellen 2 Tim. 1 15—18. 411—22. Tit. 3 12—u
als paulinifche Fragmente entnommen und auf die Jahre
57, 61 und 62 verteilt werden. Zu bemerken wäre noch
als zurzeit noch fchwebende Fragen betreffend, daß die
Theffalonicherbriefe hinter den Galaterbrief zu flehen
kommen, der fogen. Vierkapitelbrief den 9 erften Kapiteln
des zweiten Korintherbriefes, die Stelle 2 Kor. 614—71
felbft dem erften Briefe vorangehen und die Briefe an
Philemon und die Koloffer in Cäfarea entftanden fein
follen. Am weniglten einwandfrei fcheint mir neben der
Südgalatertheorie (S. 24h 33 f.), die fich ebenfo fchwer
beweifen, wie widerlegen läßt, die keineswegs alle An-
ftöße beledigende apologetifche Behandlung des zweiten
Theffalonicherbriefes (S. n6f.). Der Apoftelgefchichte
hat der Verf. feither eine gefonderte Behandlung zuteil
werden laffen, auf deren Befprechung in diefer Zeitfchrift
(1906, S. 137 f.) verwiefen fei. Unter den Apokryphen erfahren
natürlich die Acta Pauli, daneben auch die Acta Petri
et Pauli eingehendere Behandlung, werfen aber nur ganz
fpärliche Refte von gefchichtlichen Erinnerungen ab. In-
fonderheit wird eine fpanifche Reife mit nachfolgender
zweiter Gefangenfchaft abgelehnt und ein römifcher Aufenthalt
des Petrus nur unter der Vorausfetzung zugegeben
, daß der Apoftel erft fpät, vielleicht erft während
oder wegen der neronifchen Verfolgung die Welthaupt-
ftadt aufgefucht hat.

Zeigt fomit der erde Band einen wiffenfchaftlichen
Charakter im engeren Sinn, fofern überall die gelehrte
Kontroverfe berückfichtigt und in den Gang derfelben
wirkfam eingegriffen wird, fo ift der zweite zugleich auf
ein weiteres Publikum eingerichtet und daher auch im
Preis niedriger gehalten. Da der Verf. fich überall, wo
er auf fchwierige Probleme flößt, auf die im erften Band
gegebenen Nachweife berufen kann, fieht er fich in der
vorteilhaften Lage, eine glatte, allgemein verltändliche,
ohne ftörende Digreffionen und Exkurfe gleichmäßig
fortfchreitende Dardellung des Lebensganges geben (man
vergleiche probeweife die Darfteilung der Ereigniffe in
Philippill, S. 152 t. mitl, S. 258 t.) und den Inhalt der Briefe
immer auf den ihnen im voraus angewiefenen Stationen
einarbeiten zu können. Wie daher der erde Band reichliche
Beiträge liefert zur neutedamentlichen Einleitung,
fo der zweite wenigdens manche beachtenswerte zur
neutedamentlichen Theologie (vgl. namentlich das Kapitel
von den ,neuen Anfchauungen' S. 88—113)- Aber auch
der Gefchichte des apodolifchen Zeitalters wächd aus
der Dardellung des Verf.s, zumal aus feiner eingehenden

Kritik der Apodelgefchichte, manche neue Erkenntnis
zu, und fchließlich wird auch wer als Lehrer die Lebens-
gefchichte des Apodels zu erzählen hat, fich gern der
Veranfchaulichungsmittel bedienen, die ihm die meid auf
neueder Kunde beruhenden Bilder von Land und Leuten
bieten, wie de der Verf. nicht allzu reichlich, aber doch
an geeigneten Stellen zu entwerfen verdeht.

Im großen und ganzen id das vorliegende Werk,
deffen Anzeige in diefer Zeitfchrift durch unvorhergefehene
Hinderniffe Verfpätung erfahren hat, als eine eben zur
rechten Zeit gekommene Dardellung des gegenwärtigen
Standes der paulinifchen Forfchung willkommen zu heißen.
Sie zeigt, daß auf nicht wenigen Punkten ein gewiffer
Abfchluß erreicht, ein erfreuliches Einverdändnis unter
Sachverdändigen gewonnen id. Weitere Behandlung, bezw.
Förderung hat feither allerdings z. B. die Frage nach
dem Verhältnis der paulinifchen Gedankenwelt zum Evangelium
des gefchichtlichen Jefus erfahren, und gedritten
wird natürlich über gar manches noch lange werden.
Beifpielsweife bin ich nicht einverdanden mit gewiffen
Anfchauungen von Jefu Gemeindebildung (II, S. 53) oder
von paulinifcher Chridologie (I, S. 34. 132. II, S. 98).
Auch halte ich dafür, daß das griechifch-römifche Milieu
für die Würdigung der paulinifchen Gedankenwelt etwas
därker ins Gewicht fällt, als hier der Fall id (II, S. i—-17),
und fage das mit befonderem Hinweis fogar auf die
Myderien (S. 14h 71 f.). Damit foll aber dem Wert des
Buches in keiner Weife zu nahe getreten fein. Die
Diende, welche es zur Einführung in das Verdändnis
des Paulinismus leidet, müffen um fo höher gewertet
werden, als der Verf. durchweg folide Arbeit liefert und
gänzlich unberührt bleibt von der heutzutage unliebfam
hervortretenden Neigung zu möglichd fenfationellen und
unerhörten Aufdellungen, zu übermütigem Ignorieren bisher
geleideter Arbeit, zu keck und beweislos auftretenden
Orakeln u." dergl. Vielmehr fetzt er fich auf Grund
einer ungemein ausgebreiteten Belefenheit und Bekannt-
fchaft mit der einfchlägigen Literatur bedachtfam und
befonnen mit allen ihm auf feinem Weg begegnenden
Indanzen einer erndhaft zu nehmenden Kritik auseinander,
| übt felbd eine maßvolle, methodifch gezügelte und dabei
doch unerfchrockene Kritik und entledigt fich überhaupt
der Aufgaben einer zufammenfaffenden Berichterdattung
über fchon geleidete Arbeit und eines auf folcher Grundlage
neu zu errichtenden Aufbaues in gleich Achtung
gebietender Weife.

Baden. H. Holtzmann.

Wrede, Prof. D. W., Das literarifche Rätlel des Hebräerbriefs
. Mit einem Anhang über den literarifchen
Charakter des Barnabasbriefes. Göttingen, Vanden-
hoeck & Ruprecht icyo6. (VIII, 98 S.) gr. 8° M. 2.60

Die letzte Veröffentlichung des Mannes liegt vor
uns, deffen Weggang unfere ganze Wiffenfchaft fo
fchmerzlich beklagt, weil er mit feinem bohrenden
Scharffinn und undillbaren Durde nach Wahrheit einer
der Notwendigden in unfern Reihen war. Wredes Eigenart
, ernde Probleme zu fehen, wo andere achtlos vorübergingen
, und lieber das dem Forfcher oft fo unendlich
fchwer fallende non Itquet zu fprechen als die Tatfachen
zu zwingen, zeigt fich auch in der Unterfuchung
über den Hebräerbrief, deren Drucklegung bereits in
die Tage feiner letzten Krankheit fällt. Ein für die
allermeiden Fachgenoffen zur Ruhe gekommenes Problem
nimmt er auf und löd es anders, als es die Mehrheit
tut.

Die Frage, die W. an Hebr. heranbringt, id die: id
es ein wirklicher Brief oder eine ,Epidel'? Die Antwort,
die er im erden Teile der Unterfuchung (S. 5—39) gibt,
lautet dahin, daß (abgefehen vom Schluß) Hebr. in feiner
I Hauptmaffe, nämlich Kap. 1 —12, kein wirklicher Brief