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Ausgabe:

1907 Nr. 5

Spalte:

156

Autor/Hrsg.:

Schoen, Paul

Titel/Untertitel:

Das evangelische Kirchenrecht in Preußen. II. Bd., 1. Abt 1907

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 5.

156

durch unmittelbare und inftinktive Einfühlung kennen, j Beobachtungen, die die Verf. übrigens darbietet. Andere
unfchwer Verbindungslinien in jenes von dem Verf. ver- ; ihrer Konstruktionen freilich, wie z. B. die Behauptung,
nachläffigte, aber auch pfychologifch ergiebige Gebiet der ; daß das Denken ein gleichmäßig vorausfehbares Bewußt-
fozialen und der individuellen Wechfelbeziehungen ziehen ■ fein fei (S. 49), und die Annahme eines direkten, unmittel-
laffen, wenn er fich fein Unterfuchungsmaterial nur etwas j baren Bekanntheitsgefühls im Wiedererkennen (S. 53),

weniger abftrakt individualiftifch und etwas mehr konkret
individuell hätte vergegenwärtigen wollen.

Bonn. O. Ritfchl.

erfcheinen mir vorläufig noch recht problematifch.
Bonn. O. Ritfchl.

Schoen, Prof. Dr. Paul, Das evangelifche Kirchenrecht in

Calkins, Prof. Mary Whiton, Der doppelte Standpunkt in der Preußen. Zweiter Band. Erfte Abteilung. Berlin, C.

Pfychologie. Leipzig, Veit & Comp. 1905. (80 S.) gr. 8° ! Heymanns Verlag 1906. (VIII, 314 S.) gr. 8" M. 7.50

M. 2 — ln Fortfetzung meines Referates über den t. Band
Die Verfafferin der vorliegenden Schrift, die die d<efes Werkes (1904, Nr. 16) habe ich auch bei diefem
deutfche Sprache für eine Ausländerin in außergewöhn- ! zweiten, deffen erfte Hälfte hier vorliegt, wieder die äußerlichem
Maße gewandt und ficher beherrfcht, gibt felbft ' ordentliche Genauigkeit und Gründlichkeit der Arbeit
als die von ihr verfolgten Hauptabfichten an, ,erftens rühmend hervorzuheben. Es ift ein ungemein fleißiges
durch genaue Beobachtung der konkreten Bewußtfeins- Bucn- Lhefer Halbband umfaßt folgende kirchenrecht-
erlebniffe zu beweifen, daß man jedes Bewußtfein zwei- liche Gebiete: Das Patronat, Das geiftliche Amt, Die einfach
auffaffen kann, entweder als pfychifchen Vorgang zelnen Glieder der Kirche (Eintritt und Austritt), Die
ohne Rückficht auf ein Ich, oder auch als Bewußtfein ! Funktionen der.Kirche (nämlich die regimentlichen: der

eines in perfönlichen Verhältniffen flehenden Ichs; zweitens
auszuführen, daß eine Zerlegung der Bewußtfeins-
erlebniffe in ihre Elemente nicht eine zureichende Be-
fchreibung des Bewußtfeins bildet, da das Bewußtfein

Rechtsfetzung, der Aufficht und Disziplin und der Sorge
für die kirchlichen Ämter). Begreiflich ift, daß diesmal
das hiftorifche Element, in deffen ausgiebiger Berück-
fichtigung ich damals einen Vorzug erblickte, itark zurückgeht
nur^als Komplex von Elementen, fondern auch als tr'tt. Nur an einzelnen Stellen werden kleine Skizzen der
Zufammenhang der perfönlichen Beziehungen behandelt ; gefchichthchen Entwicklung gegeben, fo z. B. eine fehr
werden muß' (S. 76). Demgemäß unterfcheidet die Verf. Sut orientierende bei dem Abfchnitt von der Kirchen-
Vorgangspfychologie und Ichpfychologie. Jene hat es ] zucht (290-299). Im übrigen hat das geltende Recht das
mit dem Ich gar nicht zu tun und ift Kaufalwiffenfchaft. Wort- Den weitaus größten Raum nimmt die Darftellung
Das ift die Ichpfychologie nicht. ,Denn ihr Gegenftand ift der Rechtsverhaltniffe des geldlichen Amtes in Anfpruch
ja das Ich; und kein Ich ift, wenigftens urfprünglich, ein , (41—231); fie find infolge der Konkurrenz von älterem,
Gegenftand in der Zeit'. Vielmehr /verhalten fich die hiftorilch-hergebrachtem und neugefetztem Recht, fowie
verfchiedenen bewußten Subjekte egoiftifch oder altrui- ! infolge des Unterfchiedes zwifchen gemeinrechtlichen und
ftifch, leidend und tätig ufw. zu einander' (S. 37 f.). dem allgem. Landrecht unterftehenden Gebieten äußerft

Die von der Verf. fog. Vorgangspfychologie ift die ! kompliziert, werden aber fehr klar dargelegt. Mitunter
vielberufene ,Pfychologie ohne Seele', fowie fie F. A. Seht das bis lns Minutiofe. Ein eingehendes Rcgifter ift
Lange genannt hat. Sie fchaltet den Begriff der Seele i jedenfalls bei Abfchluß des ganzen Werkes durchaus un-
und des Ichs als ein in feiner Art nur metaphyfifches i entbehrlich und wird ihm erft feinen Wert als Nach-
Gedankengebilde aus und will es nur mit pfychifchen fchlagebuch fichern. Auf das Einzelne einzugehen ift hier
Vorgängen, Erfcheinungen und Leiftungen zu tun haben, | unmöglich. Manches Seltfame oder doch Auffallende flößt
deren Zufammenhang mit entfprechenden Molekularver- dem Lefer auf (fo z.B. daß 309* m Kurheffen die Ex-
änderungen im Gehirn ihr befonders wichtig ift. Indem ! kommunikat.on, die freilich nicht mit Ausfchluß aus der
nun die Verf. diefen Betrieb der Pfychologie mit Recht j Landeskirche identifch ift, noch gilt nach einer K.O. von
nicht für ausreichend hält und fie durch eine ,Ichpfycho- j l657'- oder- daß gelegentlich auch Frauen Stimmrecht
logie' ergänzt wiffen will, ift ein äußerlicher Einfluß I haben 990. hier und da wird eine aktuelle Frage ge-
Münfterbergs auf fie unverkennbar. Diefem fpricht fie ftrelft (Religionsunterricht der Diffidentenkinder 246, der
auch die Anficht nach, daß die Ichpfychologie keine ' foS- Toleranzantrag 232), ganz feiten wird ein mehr poli-
Kaufalwiffenfchaft fei. Aber fie hat doch nicht recht tifcnes als rechtliches Votum abgegeben (über event. Ab-
verftanden, was Münfterberg eigentlich gemeint hat, wenn ■ fchaffung des Patronats 40) Im allgemeinen fpricht lediger
der Pfychologie als einer Kaufalwiffenfchaft die das bch der Ju»" und b.ebt feine Aufgabe in einer klaren
lebendige Ich betreffenden Geifteswiffenfchaften als ein j Darlegung des tatfachlichen Rechtsftandes als erledigt an.
vielmehr teleologifch beftimmtes Denken entgegengefetzt | Diefer Aufgabe fcheint mir der Verf. auch hier in hervorhat
. Denn diefer Unterfchied bedeutete Münfterberg j ragendem Maße gerecht zu werden. Iheologen freilich
einen fundamentalen Gegenfatz in der Methode. Die werden geneigt fein, die Dinge manchmal anders an-
Verf. dagegen wendet in ihren beiden Pfychologien ganz zufehen io namentlich in betreff der Lehrdisziplin und
diefelbe Methode an, und das ift: vornehmlich die einer : der Kirchenzucht; ihnen wird die Lage dadurch fachlich
nicht immer ficher kontrolierbaren Selbftbeobachtung. nichy" annehmbarer daß fie formal juriftifch richtig ift.
Allerdings weiß auch die Verf., daß deren Ergebniffe Nachr dieferu beye h,n bedarf eben> wle mlr fchernt, das
wegen ihrer fubjektiven Herkunft nicht durchaus zuver- 1 Kirchenrecht der Ergänzung durch eine ,Lehre vom
läffigfind. Aber wenn fie einmal in ihrer Ichpfychologie Kirchenregiment Sofern man aber über jenes in Beden
engen Bannkreis des einzelnen Subjekts überfchreiten Ziehung auf Preußen objektiven Befcheid wiffen will, wird
und deffen Wechfelbeziehungen zu anderen Subjekten in i man k..um e'nen zuverlaffigeren P uhrer finden können

als vorliegendes Buch.

Heidelberg. H. Baffermann.

die Betrachtung mit hineinziehen wollte, dann hätte fie
auch die Beobachtung anderer, die fchon Kant viel höher
hellte, als die Selbftbeobachtung, grundfätzlich und nicht

nur in ihrer lediglich experimentellen Ausprägung, die Bibliographie
den modernen Pfychologen allein geläufig ift, zur Geltung von Lic. theol. Paul Pape in Berlin,

bringen müffen. So entbehrt die Schrift der Verf., wie JDeutfcbc Literatur

freilich auch fonft fo oft die fpeziell pfychologifche Lite- „ , _ _^ .; . ' ■ ■■ '

ratur, der genügenden methodifchen, und das heißt immer Z^^^^^^^^J^XJ^^
auch logifchen Grundlagen. Diefer Mangel wird auch vom J. 1906. 2 Vorträge. Freiburg i. B., Herder 1907. (VII, 39 S.)
nicht aufgehoben durch manche feine pfychologifche 1 gr. 8" M. 1 —-