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Ausgabe:

1907

Spalte:

150-151

Autor/Hrsg.:

Thilo, Chr. A.

Titel/Untertitel:

Die Religionsphilosophie des Descartes und Malebranche 1907

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 5.

die auch das chriftliche Vertrauen auf fie unmöglich ifl, I
einfach das Bild maßgeblich, das die Offenbarung in der
heiligen Schrift und deren Extrakt in den Glaubensartikeln
des apoftolifchen, ja auch der anderen altkirchlichen
Symbole darbietet. Zum deutlichen Bewußtfein
ift diefer pofitive Zufammenhang zwifchen der fides
historica und der fiducia den Reformatoren allerdings
erft gekommen, feit fie durch Servet, Campanus u. a.
einige auch ihnen für wefentlich geltende Glaubensartikel
angefochten Iahen. Aber die Elemente diefer Auffaffung
find bei ihnen doch fchon von Anfang an da, wenn auch
noch nicht der grundfätzliche Traditionalismus, in dem
fich Melanchthon feit etwa 1532 faft blindlings der alt- j
katholifchen Dogmatik anvertraute, wohl weil er es nicht
für möglich hielt, ohne diefe Inftanz allein durch die j
Beweisführung aus der heiligen Schrift mit den Anhchten 1
Servets erfolgreich fertig zu werden.

Mit ihrer Anerkennung und Forderung des fides
historica hängt nun aber auch der Widerfpruch der Re-
formatoren gegen die katholifche fides implicita innerlich j
zufammen. Das erkennt man allerdings deutlicher als
aus den reformatorifchen Ausfprüchen felbft aus der ;
fpäteren orthodoxen proteftantifchen Theologie. In diefer
wird nämlich immer wieder betont, daß das Merkmal der |
notitia deshalb in den vollftändigen Glaubensbegriff hineingehöre
, damit die fides implicita, die nichts weiter als
ignoratio fei, als unzuläffig ausgefchloffen werde. Ferner
verwirft Chemnitz einmal {Examen conc. Trid. Genev.
1641, p. 159) ausdrücklich die Anficht des Marcioniten 1
Apelles, daß, wenn man nur an Chriflus als den Gekreuzigten
glaube, es auf die Zuftimmung zu den übrigen
Teilen des Gottesworts nicht mehr groß ankomme. Vielmehr
will Chemnitz, ohne daß man durch Fürwahrhalten I
der ganzen göttlichen Offenbarung Gott die ihm gebührende
Ehre erweife, kein Vertrauen auf Gott als j
chriftlich möglich gelten laffen. Dies war nun aber auch |
fchon ganz der Standpunkt der Reformatoren, die noch
alle Artikel des Symbols, ja darüber hinaus manche J
andere, für das /undamentum hielten, auf das nach 1. Kor. j
3, uff. die verfchiedenen kirchlichen Lehrer Sonderlehren
von verfchiedenem Werte aufrichteten. Denn auch
ihnen kam es immer wieder darauf an, daß auf Gott und
Chriflus. fowie fie fich beide vorftellten, das chriftliche j
Vertrauen gefetzt werde, während fie, unter der Voraus-
fetzung anderer Vorftellungen von Gott oder Chriftus,
auch kein richtiges chriftliches Vertrauen auf beide für
möglich hielten. Sehen wir davon jedoch ab, und verletzen
wir uns vielmehr in unfere eigene moderne Auffaffung
, daß chriftliches Gottvertrauen fehr wohl auch
möglich ift, indem von der uberlieferten biblifchen und
altkatholifchen Lehre mehr oder weniger, fei es als
legendarifch oder wenigftens als religiös gleichgiltig preis-
gegeben wird, fo ift es nirgends erfichtlich, weshalb mit
einer folchen fiducia nicht auch in weitem Umfang fides
implicita verbunden fein follte. Und diefe Konfequenz
hat in feiner Weife bereits Nicolaus Hunnius vertreten,
indem er feine Lehre von den fundamentalen und den nichtfundamentalen
Glaubensartikeln aufftellte. Daß jedoch I
die Reformatoren die fides implicita verwarfen, gefchah
direkt zu Gunften der fides explicita nach dem Maßftabe
der heiligen Schrift oder mindeftens des Apoftolikums,
und höchftens mittelbar auch im Intereffe der richtigen
fiducia, fofern eben auch diefe-ohne jene nicht richtig
fein kann. Unter diefen Umftänden aber ift es mir immer
mehr fraglich geworden, ob wir heute überhaupt noch
ebenfo wie die Reformatoren und die Orthodoxen ein
vorherrfchendes Intereffe an einer grundfätzlichen Be-
ftreitung der fides implicita haben können, zumal es fich
aus den gründlichen Forfchungen des Verf. immer wieder
ergibt, daß fides implicita und fides explicita keine abfo-
luten. fondern lediglich relative und nur graduell ver-
fchiedene Gegenfätze find, da unter dem Namen fides
implicita niemals ein vollftändiges religiöfes Nichtwiffen

zugelaffen, und unter dem Namen fides explicita niemals,
felbft von Calvin nicht, ein vollftändiges hiftorifches und
dogmatifches Wiffen gefordert worden ift.

Bonn. O. Ritfchl.

Thilo, Chr. A., Die ReligionsphiloTophie des Descartes und
Malebranche. (Religionsphilofophie in Einzeldarftellun-
gen. Herausgegeben von O. Flügel. Heft VI.) Langen-
falza, H. Beyer & Söhne 1906. (III, 76 S.) gr. 8n M. 1.25

Wer nicht bereits völlig abgeftumpft ift durch den
Mißbrauch, der vielfach mit der Bezeichnung .Religionsphilofophie
' getrieben worden ift, wird wohl zunächft
angefichts des Titels diefer Schrift ein leichtes Gefühl
des Unbehagens verfpüren. Denn derfelbe kündigt einen
Bericht über den Arbeitsertrag zweier Philofophen auf
einem Gebiete an, auf dem fich die Betreffenden kaum
oder doch nur in fehr geringem Maße betätigt haben.
Allerdings könnte fich der Verf. unter anderm auf den
Vorgang Pünjers berufen, der in feiner Gefchichte der
.chriftlichen' Religionsphilofophie wie zahlreiche fonftige
Metaphyfiker fo auch Descartes und Malebranche behandelt
. Trotzdem bleibt das Unternehmen ein nicht
einwandfreies, und feine Unzweckmäßigkeit kommt denn
auch früh genug in der an Anklagen und Rekriminationen
reichen Darftellung zum Ausdruck.

Befprochen wird zuerft Descartes. Es wird ihm
nachgerühmt, daß er richtige Anfchauungen in bezug auf
,das Verhältnis der Religionsphilofophie zur pofitiven
Theologie' an den Tag lege, fofern er drei Arten von
Wahrheiten unterfcheide: folche, die allein in das Bereich
des Glaubens fallen; folche, die zugleich durch die natürliche
Vernunft begründet werden können; endlich folche,
die ausfchließlich vor das Forum der letzteren gehören.
Ebenfo benimmt aber wird ihm alsbald vorgeworfen, daß
er ,noch gar kein Bewußtfein über das pofitive Wefen
und den Zweck' der Religionsphilofophie habe. Statt
fich mit deren Aufgaben, die genauer gekennzeichnet
werden, zu befaffen, begnüge er fich vielmehr damit, ein
Syftem der Metaphyfik zu entwerfen. Und nun wird in
Ermangelung eines Befferen eben diefe bekannte Metaphyfik
befchrieben, das heißt, es wird ausführlich ge-
fchildert, wie der große franzöfifche Philofoph nach Überwindung
des allgemeinen Zweifels das Dafein Gottes
beweift, wie er über die unendliche Subftanz und die
endlichen Subftanzen und die Beziehungen diefer Sub-
ftanzen zu einander denkt; und es wird weiterhin noch
kurz angedeutet, was er zum Problem der Theodizee,
zur Unfterblichkeitsfrage, zur Ethik fagt oder auch —
nicht fagt oder doch, nach Herbart fagen follte. Wie
immer in Thilofcher Gefchichtsfchreibung wird die Darftellung
durch ungeduldige Kritik fortwährend in empfindlich
Hörender Weife unterbrochen. Das muß ftets von
neuem als Fehler bezeichnet werden. Anderfeits ift aber
auch anzuerkennen, daß der Autor bei feiner Bericht-
erftattung durch eine gewiffe Originalität wohltätig berührt
, fofern er fich da um die beftehende Lehrüberlieferung
kaum kümmert und auf Grund felbftändiger Quellen-
ftudien nach eigener Methode und eigener Dispofition
fein Thema erörtert.

Was von der Befprechung Descartes' gilt, das gilt
der Hauptfache nach auch von derjenigen Malebranches.
Nur ift die Situation hier infofern günftiger, als es fich
um einen Theologen handelt, der für die Frömmigkeit
als folche lebhaft intereffiert ift, und, wie ausdrücklich
hervorgehoben wird, es fpeziell darauf abgefehen hat
beftimmte religiöfe Anfchauungen und Stimmungen durch
feine Philofophie zu rechtfertigen. Indeffen was fchließ-
lich dargeboten werden kann, ift doch nicht die Wiedergabe
einer Lehre Malebranches über Wefen und Wahrheit
der Religion, fondern im Grunde nur eine Schilderung
der Modifikationen, denen der Oratorianer die kartefiani-