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Ausgabe:

1907

Spalte:

118-119

Autor/Hrsg.:

Kaftan, Julius

Titel/Untertitel:

Aus der Werkstatt des Übermenschen 1907

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 4.

Jahrbuch der evangelifchen Judenmilfion. L Band. Im
Auftrage des Ausfchuffes der Internationalen Konferenz
für Judenmifüon herausgegeben von Prof. D.
Dr. Hermann L. Strack. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche
Buchhandlung 1906. (124 S.) gr. 8° M. 2 —

Im Auftrage des ,Ausfchuffes der internationalen
Konferenz für Judenmiffion' bietet Prof. Strack in diefem
I.Bande des Jahrbuchs der evangelifchen Judenmiffion':
1) eine Gefchichte der internationalen Konferenz für Judenmiffion
, 2) die Vorträge, die auf der letzten internationalen
Konferenz für Judenmiffion in Amfterdam, 1906,
gehalten worden find, 3) eine von L. Meyer-Chicago
verfaßte Statiftifche Überlicht der heutigen evangelifchen
Judenmiffion.

1) Auf Anregung der Berliner ,Gefellfchaft zur Beförderung
des Chriftentums unter den Juden' tagte
im Jahre 1870 in Berlin die erfte internationale Konferenz
für Judenmiffion. Die zweite fand ebenfalls in
Berlin 1883 ftatt, die dritte 1890 in Barmen, die vierte
in Leipzig 1895, die fünfte in Köln 1900, die fechfte
in London 1903. Die fiebente trat am 24. und 25. April
1906 in Amfterdam zufammen. Diefe letzte verdiente
den Namen einer internationalen Konferenz mit voll-
ftem Recht: Großbritannien und Irland, Deutfchland,
Niederlande, Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland,
Nordamerika waren vertreten. Die Verhandlungen wurden
in englifcher und deutfcher Sprache geführt.

2) Strack druckt faft fämtliche Anfprachen und
Vorträge der 7. Konferenz in extenso ab und ermöglicht
dadurch einen genauen Einblick in die Leiftungen
diefer Konferenz und der gegenwärtigen Judenmiffion.
Auf die kurze Eröffnungsanfprache des D. van Nes folgten
zunächft 4 Referate, die mehr die theoretifche Seite
der Judenmiffion behandelten. Strack fprach über ,das
Wefen des Judentums', ebenfo van Nes über ,the essen-
tials of Judaism', Bieling über Jüdifche Polemik und
chriftliche Apologetik', v. Harling über ,Die Ausbildung
von Arbeitern der Judenmiffion'. Es fällt auf, daß Strack
das Referat v. Harlings nur im Auszuge bietet, alle anderen
Referate dagegen in extenso. Und doch war ficher-
lich v. Harlings Referat, das die wiffenfchaftliche und prak-
tifche Vorbildung von Arbeitern der Judenmiffion zum
Gegenftand hatte, vor allem einer eingehenden Mitteilung
würdig, v. Harling verfucht, die Konferenz für die Förderung
des Institution Delitzschianum in Leipzig zu intereffieren.
Die rege Polemik der judifchen Gebildeten gegen das
Chriftentum. die Harnacks ,Wefen des Chriftentums' zur
Folge gehabt hat, ftellt der Judenmiffion tiefgehende
wiffenfchaftliche Aufgaben. Das verkannte die Amfter-
damer Konferenz nicht, auch Stracks und Bielings Referate
verkennen das nicht und bieten neben einer reichen Fülle
von Tatfachenmaterial wertvolle Winke für die Bekämpfung
der jüdifchen Polemik mit geifiigen Waffen und wiffen-
fchaftlichem Rüftzeug. Dennoch ift die Konferenz wohl
nicht in dem Maße, als das wünfchenswert wäre, der
Frage nahe getreten: was tun wir zum Ausbau des De-
litzlchianums, zu feiner Sicherftellung und zu einer gründlichen
wiffenfchaftlichen Schulung unterer Miffionare?
Zwar ift auf v. Harlings Antrag hin der Befchluß gefaßt
worden: ,Die Konferenz erklärt es für durchaus wünfchenswert
, daß die Arbeiter der Judenmiffion eine tüchtige Fachbildung
befitzen. Sie empfiehlt darum den Milfionsge-
fellfchaften die Förderung aller auf eine folche hinzielenden
Beflrebungen, vor allem eine tatkräftige Unterftützung
des Institutuni Delitzschianum in Leipzig', aber über diefe
allgemeine Empfehlung ift man offenbar hier ebenfowenig
hinausgekommen als in der Frage, wie der jüdifchen
Polemik zu begegnen fei. Und doch wäre gerade die
eyangelifche Judenmiffion der Ort, um in gründlicher
wiffenfchaftlicher Erwiderung Büchern wie Efchelbacher
,Das Wefen des Judentums' u. ähnl. von evangelifcher Seite
zu begegnen. Freilich braucht die Judenmiffion zu einer

folchen Aufgabe gründlich gefchulte, wiffenfehaftlich
in Judentum und Chriftentum gründlich gebildete Vertreter
, die den Juden zeigen können, daß die Bekenner
des Chriftentums nicht engherzige, unwiffenfchaftliche
Menfchen, fondern wiffenfehaftlich gebildete Leute find.
Städte wie Berlin und Leipzig, in denen fich Judenmiffions-
feminare befinden, wären vor allem geeignet, durch ihre
Univerfitäten derartige Vertreter der Judenmiffion heranzubilden
. Nicht am wenigften würde es der Judenmiffion
nützen, wenn fie energifch den Thalmud, Midrafch etc.
unter wiffenfchaftliche Lupe nähme und den Juden Kennt-
niffe auf diefem Gebiet und die wahre Beurteilung ihrer
Literatur nach Wert und Unwert weithin und wirkfam
nahe brächte. Mit Recht verlangt Paflor Bieling (S. 58),
daß den Juden die Ergebniffe der wiffenfchaftlichen, und
zwar auch der ,pofitiven' Theologie, zugänglich gemacht
werden, wie das bei denen der .liberalen'Theologie bereits
der Fall ift. Intereffant ift, daß er dabei auch Beyfchlag
als einen ,pofitiven' Theologen empfiehlt. Nun wohl, die
meift ,pofitiven' Vertreter der Judenmiffion mögen Werke
fchaffen, die die Beachtung der Juden finden. Das wäre
nur zu wünfehen. Strack, Dalman etc haben ja in
diefer Beziehung bereits vielerlei Vortreffliches geleiftet.

An die mehr theoretifchen Referate fcbließt fich
eine Reihe in englifcher Sprache gebotene Ausführungen,
die praktifche Fragen behandeln. Wilkinsons Referat
über ,tke moral dcfensibility of some of the methods
employed in Jewish Missions' betont, daß materielle Hilfe
nur dann von der Miffion gewährt werden foll, wenn
der betreffende Jude fich tatfächlich in großer Not befindet
, alfo die Liebe und Menfchlichkeit eine Hilfe
fordert. Rev. Gidney fchildert ^Mission Schools for Jews',
eine Frage, die auch das Referat von Rev. Nicol ,The
value of the school in Jewish Missions1 behandelt. Überall
da, wo die rein jüdifch-orientahfehe Unkultur vorhanden
ift, hat die Judenmiffion durch ihre Schulen einen
überaus fegensreichen Einfluß. Sie bereitet dadurch den
Boden für höhere Bildung und damit zugleich für das Chriftentum
. Das 9. und 10. Referat behandeln ,the missiou
work among Jewish women', gewiß auch ein wichtiges
Arbeitsfeld.

3) Aus der ftatiftifchen Überficht, die L. Meyer-
Chicago verfaßt hat, kann jeder, der diefen Dingen fern
fteht, erfehen, daß die Judenmiffion über die ganze Erde
verbreitet ift.

Zum Schluß fei nochmals betont: es ift mit befon-
derer Freude zu begrüßen, daß die 7. internationale
Konferenz für Judenmiffion ihre wiffenfchaftlichen Aufgaben
hervorhebt. Zu wunfehen aber wäre, daß man
fich, befonders in Deutfchland, nicht bei diefer Erkenntnis
allein beruhigte, fondern durch wiffenfchaftliche Taten
noch mehr als bisher den Juden nachwiefe, daß fie, wenn
fie ihrer Religion in vollem Umfang treu bleiben, zur
Verknöcherung und Unkultur verdammt find, wenn fie
ihr aber nicht in vollem Umfang treu bleiben, dann gar
keinen Grund haben, ihr Sonderdafein gegenüber dem
echten Chriftentum aufrecht zu erhalten.

Gotha. Fiebig.

Kaftan, Oberkonfift.-Rat Prof. D.Julius, Aus der Werkftatt
des Übermenfchen. Heilbronn, E. Salzer 1906. (80 S.) 8°

M. 1 —

An der Hand eines von Nietzfche geplanten, aber
nicht vollendeten Syftems feiner Philofophie gibt K.
einen hochintereffanten und zuverläffigen Einblick in das
Werden feiner ganzen Gedankenwelt. Statt feine Entwicklung
, wie üblich, in drei Perioden zu teilen, die
peffimiftifche, die pofitiviftifche und die letzte optimift'ifche
Zarathustraperiode, nimmt er ihrer nur zwei an indem
er die mittlere als den Ubergang von der Weltverneinung
/-".yWeltbejahung verftehen lehrt. Denn die pofit.viftifche
Wiffenfchaft half N. die .wahre' Welt der Religion Moral