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Ausgabe:

1907 Nr. 4

Spalte:

105-108

Autor/Hrsg.:

Kaftan, Julius

Titel/Untertitel:

Jesus und Paulus. Eine freundschaftliche Streitschrift gegen die Religionsgeschichtlichen Volksbücher von Bousset und Wrede 1907

Rezensent:

Wernle, Paul

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105 Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 4. 106

heraufgeftiegen zu fein,' (Die grundfätzliche Stellung der
katholifchen Kirche zur Bibelforfchung, Paderborn 1905,
S. 80). ,Heute kann er mit freudigfter Genugtuung in
hellem Herzensjubel das fortfchreitende Tageslicht begrüßern
' (S. 83).

Wie gerne würden die proteftantifchen Theologen
in diefen Jubel mit einllimmen! wie dankbar und hoff-
nungsfroh diefes Wiedererwachen der Bibelforfchung im
Schöße der Kirche Richard Simons und Alfred Loifys
wahrnehmen! Allein fchon der zuletzt hier niederge-
fchriebene Name ift dazu angetan, diefe Freude wefent-
lich herabzuftimmen. Und fieht man fich erft die durch
den optimiftifchen Kommentator erläuterten Texte näher
an, wie müffen da erft Sorgen und Befürchtungen den
Ton jenes .Herzensjubels' dämpfen! ,Was das Neue
Teftament betrifft, fo foll der Profeffor knapp und klar
lehren, welchen befondern Charakter die vier einzelnen
Evangelien haben und wie man ihre Echtheit beweift
' . . . ,Er foll es als feine heilige Pflicht betrachten
, niemals auch nur in dem kleinften
Punkte von der allgemeinen Lehre und von der
Tradition der Kirche abzuweichen: er foll freilich
alle wirklichen Fortfehritte diefer Wiffenfchaft und alles,
was der Scharfünn der Neueren hervorgebracht hat, für
feine Sache verwenden, aber er foll die vermeffenen Erdichtungen
der Neueren beifeite laffen; er foll nämlich
nur die Behandlung jener Fragen unternehmen
, deren Befprechug für das Verftändnis
und die Verteidigung der heiligen Schriften
nützlich ift' (Quoniam in re biblka VII. XIII. S. 19.
25—26). Nicht minder lehrreich find die drei durch die
päpftliche Kommiffion erlaffenen Entfcheidungen (S. 57
bis 78), vornehmlich die über die mofaifche Echtheit des
Pentateuchs abgegebene Erklärung, welche zwar die
Quellenkritik geltattet, aber doch in der eigentümlichen
Wendung, daß die Statuierung fchriitlicher und
mündlicher durch Mofes verwendeter Quellen zu-
läfiig fei. — In diefen Entfcheidungen erblickt P.
.einen gewaltigen Fortfehritt nach der Seite der wiffen-
fchaftlichen Freiheit für die katholifchen Exegeten. Das
wird befonders einleuchten, wenn man fich erinnert,
welche Folgen feinerzeit für den großen Richard Simon
die Behauptung hatte, daß ,Mofes nicht der Verfaffer
alles deffen fein könne, was in den ihm zugefchriebenen
Buchern fich finde' (S. 78). — Aus diefem Vergleich

.erklären' verfucht. Der Gegenfatz zwifchen ihm und
ihnen foll letztlich fein: ,Die modernen Theologen wollen
den Gedanken der Erlöfung in die Peripherie fchieben'
(S. 72), als ftände nicht bei Bouffet (Wefen der Religion
(S. 210) wörtlich zu lefen: ,im Zentrum der chrifUichen
Religion fleht der Erlöfungsgedanke, als moralifche Er-
löfungsreligion rückt das Chriflentum an die Spitze aller
Religionen'. Wenn Bouffet das Meffiasbewußtfein Jefu
erft am Schluß behandelt, fo fieht Kaftan darin das
Glaubensbekenntnis des modernen Chriften (S. 12); wenn
Wrede fich zum Meffiasbewußtfein Jefu fkeptifch verhält,
fo wäre das ,die Konfequenz der modernen Auffaffung'
(S. 52). Das find lauter pfychologifche Eintragungen, die
die Verftändigung erfchweren.

Damit bahne ich mir den Weg zur Anerkennung
des fehr Beachtenswerten an diefer Kritik moderner
Jefus- und Paulusforfchung. Kaftan findet Bouffets
Hauptfehler darin, daß er zunächft Jefu Wirkfamkeit
bloß als prophetifch fchildert, erft zuletzt das Meffianifche
ergänzt und es als eine fchwere Laft für Jefus felbft
bezeichnet. Statt deffen fei vielmehr vom Meffiasbewußtfein
Jefu auszugehen und feine ganze Tätigkeit als
meffianifch zu begreifen, und zwar, wie Kaftan urteilt,
aus der Spannung zwifchen apokalyptifcher Vorftellungs-
welt und innerlich begründetem Meffiasbewußtfein heraus
, wodurch die Vergegenwärtigung der Heilszukunft
bedingt fei. Nun hat Bouffet freilich die Meffiasfrage
aus methodifchen Gründen zurückgeftellt wegen ihres
fpäten Hervortretens für Volk und jünger (Jefus S. 11)
und um das Unfichere erft nach dem Sichern darzu-
ftellen (S. 81). Und dies Methodologifche fcheint Kaftan
gar nicht gefehen zu haben. Aber auch fo fordert
Bouffets Darfteilung die Kritik heraus. Es hätten felbft
bei diefer Zurückftellung des Meffiasproblems deutlicher
die Punkte hervorgehoben werden müffen, wo Reichgottespredigt
, Forderung, ja die Frömmigkeit Jefu felbft
über das Prophetifche hinausweifen auf ein in der
Gegenwart anbrechendes Definitives, Abfchließendes.
Diefe Punkte find überall vorhanden, fie deuten eben
auf das ,Geheimnis' hin, das fich aus Jefu Wort und
Bild nie wird einfach austilgen laffen, fobald dem
Meffianifchen überhaupt irgendwie in feinem Bewußtfein
Raum gegeben wird. Dies Geheimnis aber — auch
darin fcheint mir Kaftan recht zu haben — ift für
Jefus ein frohes gewefen und durchaus keine Laft, wie

von Einft und Jetzt fchöpft offenbar der Verf. den bellen | Bouffet nur darum urteilen konnte, weil er fich den Ab-

Teil feines Mutes und feiner freudigen Hoffnung; die
Selbftbefcheidung und die Geduld, die er einftweilen
übt, gehört zur Betätigung des Gehorfams und der Demut
, welche die Seele der katholifchen Frömmigkeit
bilden. Bei aller Bewunderung, die der proteftantifche
Theologe auch einer folchen Stimmung und Stellung zu
zollen vermag, kann er doch nicht umhin, zu urteilen,
daß unter den von dem Herausgeber fo optimiftifch betrachteten
Verhältniffen, es fowohl um die wahre Freiheit
der Wiffenfchaft als um die Selbftändigkeit der perfön-
lichen Glaubensüberzeugung gefchehen ift.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Kaftan, D. Julius, Jefus und Paulus. Eine freundfehaft-
liche Streitfchrift gegen die Religionsgefchichtlichen
Volksbücher von D. Bouffet und D. Wrede. Tübingen
, J. C. B. Mohr 1906. (78 S.) 8° M. —80

Eine freundfehaftliche Streitfchrift, die fcharf und
unerbittlich unfre Fehler aufzeigt, fobald fie fich zugleich
bemüht, uns zu verftehen und unfer ernftes Wahrheit-
fuchen gelten zu laffen, foll uns willkommen fein.
Kaftan hatte die Abficht, eine folche zu fchreiben;
gelungen ift es ihm nicht. Er hat, ohne es zu wollen,
lieh feine Gegner ftark konfluiert und ftatt fie zu
widerlegen aus diefen und jenen falfchen Motiven zu

fland Jefu von feinem Volk zu groß, den ftark konfer-
vativen Zug in allem, was ,Glaube' ift, zu klein vorftellte.
Bei all dem halte ich — gegen Kaftan — Bouffets Anordnung
für richtig, ja angefichts des Wredefchen Vor-
ftoßes für einzig gerechtfertigt, und Kaftan wird in-
zwifchen aus Alb. Schweitzers Buch gefehen haben,
welche Gefahren die meffianifche Konftruktion des
Lebens Jefu mit fich führt. Und rein gar nichts kann
ich mir bei Kaftans ,Spannung' in Jefu Predigt denken,
da ich nicht einfehe, wie apokalyptisches Meffiastum und
innerliche Begründung diefes Glaubens fich im Weg find.
Die Spannung kommt viel einfacher daher, daß Jefus fich
als König eines noch verborgenen Zukunftsreiches weiß,
und infolge deffen das Hoffen und das Haben in feiner
Seele fich ftreiten. Das eben ift der Kern des Melfias-
geheimniffes.

Die Kritik, die Kaftan an Wrede übt, bezieht fich
vor allem auf deffen /Theologie' des Paulus. Einig mit
Wrede in deren Grundgedanken, nämlich der Erlöfung
von der Welt, findet er Wredes Hauptfehler in der Auffaffung
diefer Erlöfung als eines objektiven Vorgangs
(Kreuz und Auferftehung Jefu), der dann lehrhaft im
Glauben einfach hinzunehmen fei. Erlöfung fei bei
Paulus vielmehr in erfter Linie ein fubjektives Erlebnis,
eine Wirklichkeit, in der Paulus und die Chriften leben|
keine Lehre von objektivem Gefchehen. Wrede habe
nach dem intellektualiftifchen Vorurteil der Orthodoxie

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