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Ausgabe:

1907 Nr. 2

Spalte:

52-53

Autor/Hrsg.:

Schieß, Traugott (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Bullingers Korrespondenz mit den Graubündnern. II. Teil. April 1557 - August 1566 1907

Rezensent:

Virck, H.

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 2.

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um gründliche Revifion herbeizuführen. Denn aufs Neue
wird hier beftätigt, wie unfelbftändig in der Polemik vielfach
gearbeitet ift. Gibt es doch für den Laien nichts
Überrafchenderes, als daß felbft ein Döllinger für feine
Auffehen erregende Skizze ,Luther', welche zuerft im
Freiburger Kirchenlexikon erfchien und dort auch noch
für die zweite Auflage trotz Döllingers gründlicher Umkehr
wieder geboten wurde, nicht aus dem Studium
fämtlicher Werke Luthers erwachfen ift, fondern aus
Jarkes ,Studien und Skizzen zur Gefchichte der Reformation
' und einzelnen Schriften Luthers (S. 222, 227). Es
ift lehrreich, daß Döllingers fpäteres, dem Ultramontanismus
unbequemes Urteil über Luther und fein Studium
fämtlicher Werke Luthers Hand in Hand gehen. Daraus
ergibt fich für die Zukunft die nicht mehr von Rom abzu-
weifende Forderung, daß, wer über Luther im katholifchen
Lager urteilen will, muß Luthers Werke felbft ftudieren,
darf nicht mit Exzerpten fich begnügen, oder nur auf
Tifchreden und einige wenige Schriften, wie die Predigt
über das ehliche Leben fich befchränken. Das Studium
der Schriften Luthers muß frei gegeben werden, wenn
auch nur der erfte Schritt zur Vorbereitung einer Ver-
ftändigung gefchehen foll.

Wer aber Hegemanns Werk zufammen mit Walthers
Handbuch genau gelefen und daneben auch nur einen
Teil der einfchlägigen katholifchen Literatur felbft kennen
gelernt hat, der wird unbedingt die Befeitigung jenes
widerlichen Geruchs fordern, welche diefe Literatur aus
der dumpfen Luft des Vorftellungskreifes der Zölibatäre
mit fich bringt, jenes Suchens nach allem, was in Luthers
Schriften über gefchlechtliche Dinge fich findet und nach
mönchifchem Gefchmack fich auslegen läßt. Wohl zu
beachten ift die Wendung, welche das katholifche Urteil
in der Zeit der Aufklärung nahm. Hier find Hegemann
die Arbeiten Karl Geigers und Haußleiters zu gute ge

ift gut gefaßt' ftreichen. Zu Thomas Veit S. 68 vgl.
RE. 163, 558. S. 72 L Nigrinus ftatt Migrinus. S. 76
Z. 6. Piftorius ftatt Luther. S. 84. Z. 5. v. u. ift Gelach =
Gallach im Judendeutich tonsuratus, Pfaff.

Nabern. G. Boffert.

Bullingers Korrefpondenz mit den Graubiindnern. II. Teil.
April 1557—Auguft 1566. Herausgegeben von Traugott
Schieß. (Quellen zur Schweizer Gefchichte.
Herausgegeben von der Allgemeinen Gefchichtfor-
fchenden Gefellfchaft der Schweiz. 24. Band.) Bafel,
Bafler Buch- und Antiquariatshandlung vorm. A. Gee-
ring 1905. (LXXIV, 740 S.) gr. 8° M. 16 —

Die Hoffnung des Herausgebers, die Korrefpondenz
Bullingers mit den Graubündnern in 2 Bänden zu bewältigen
, hat fich als eitel erwiefen. Dem vorliegenden
2. Bd., der den erften um mehr als 250 Seiten übertrifft,
wird ein ßter mit dem Reft der Korrefpondenz folgen.
Und vielleicht würde auch diefer nicht ausreichen, wenn
nicht der Herausgeber fich entfchloffen hätte, fchon in
diefem 2. Bd. Nebenfächliches ganz wegzulaffen und
Minderwichtiges nur im Auszug wiederzugeben. Nur
fo war er imftande, in diefem Bande nicht weniger als
c. 900 Briefe unterzubringen. Den weitaus größten Teil
diefes Bandes füllt der Briefwechfel Bullingers mit Johannes
Fabricius, der von Februar 1557 bis an feinen
Tod im Sept. 1566 das verantwortungsvolle Amt eines
Predigers an der Martinskirche in Chur und damit zugleich
des 1. Geiftlichen im Bündnerlande bekleidete. Da fomit
diefer Band, wie der Herausgeber fagt, gewiffermaßen
eine Sonderausgabe der Korrefpondenz jener beiden
Männer enthält, fo fteht er an Mannigfaltigkeit des Inhaltes
etwas hinter dem erften Band zurück, entfchädigt
kommen; der letztere hat fich durch feine Studie ,Luther I dafür aber durch den tiefen Einblick, den er uns in die

in römifchen Urteil' mit feinen Mitteilungen über den 1 Seelen der durch die innigfte Freundfchaft mit einander

Piariften Joh. Siegfr. Wifer, den Überfetzer von Luthers
Briefen, verdient gemacht, während Geiger fich vorzugs-
weife mit den füddeutfchen Männern der Aufklärung
befchäftigte. Man fieht, wie die Aufklärung ebenfo wie
die theologifchen Gegenfätze innerhalb der proteftan-
tifchen Theologie fo auch die Gegenfätze der Konfeffionen
und damit das harte Urteil über Luther erweichte. Aber
fie konnte das nur, weil fie auf das oberfte Prinzip des
Katholizismus, die Einheit der Kirche, das sentire cum
ecclesia verzichtete. Wie weit zu hoffen ift, daß Männer
wie Mart. Spahn, Seb. Merkle ufw. dem Wahrheits- und
Gerechtigkeitfinn im katholifchen Urteil über Luther eine
Gaffe fchaffen, wagt Ref. nicht zu fagen, aber wenn jene
Stimmen, welche eine Verftändigung mit Proteftanten
fuchen, mehr als ein leerer Schall fein follen, dann muß
Hegemanns fleißige Arbeit zur Revifion des katholifchen
Urteils über Luther führen, wie fie durch die ebengenannten
Männer einigermaßen angebahnt ift.

Sehr zu bedauern ift, daß Hegemann nicht in einem
Schlußkapitel einen Überblick über die Lutheromaftiges
der letzten 50 Jahre mit biographifchen Nachweifen und
Aufklärungen über die Pfeudonymen, hinter denen fich
lichtfcheue Kämpen verbergen, gegeben hat. Wer weiß,
wer Conftantinus Germanus, wer Bufenbacher ift? Es
würde ficher gut fein, wenn die katholifche Welt erkennen
würde, wie unwürdig es ift, wenn ihre Domkapitulare und
Dompröpfte im Lutherhaß diefelben Bahnen gehen, wie
ein Berlichingen und Bufenbacher. Leider ift Hegemann
ein fonderbares Verfehen begegnet, indem er den Klofter-
präzeptor Joh. Ferdinand Gaurn in Blaubeuren (S. 112)
zu einem Kloftergeiftlichen machte. Er fcheint von dem
Denkendorfer Klofterpräzeptor Joh. Albrecht Bengel und
den evang. theolog. Seminaren Württembergs, den fog.
Klofterfchulen, nicht genügend Kunde zu haben. Mit
aller Energie möchte Ref. den Satz S. 55 ,die charakte-
riftifche Eigenart beider Reformatoren (durch Maimbourg)

verbundenen Männer gewährt, deren fittlicher Adel, Ge-
wiffenhaftigkeit, Treue und Hingebung an ihren Beruf
aus den Briefen in herzerquickender Weife hervorleuchtet.
Wenn fchon von dem . Bd. gefagt werden konnte, daß
fich die politifchen und kirchl. Zuftände des gefamten
Europa darin widerfpiegeln, fo gilt dies auch von dem
2. Bande. Namentlich aber find es die Vorgänge in Italien,
Frankreich und Deutfchland, die fortwährend mittelbar
oder unmittelbar auf Graubünden zurückwirken. Ift dies
fchon eine Folge der Lage des Landes, das an der Grenze
der Machtfphäre von Spanien, Frankreich und Öfterreich
gelegen, die wichtigften Alpenpäffe beherrfchte, fo nicht
minder des Umftandes, daß die Bevölkerung des Landes
ein vortreffliches Material für die von den Mächten auf-
geftellten Heere bot und deswegen von ihnen auf das
eifrigfte umworben wurde. Frankreich und Spanien haben
lieh eine Reihe der einflußreichften Leute durch Penfionen
dienftbar gemacht, deren bald offen bald im geheimen
geführter Kampf das Land mit ewiger Unruhe erfüllt.
Bedenkt man ferner, daß das Land konfeffionell gefpalten
war (in der proteft. Stadt Chur befand fich fogar der Sitz
eines kath. Bifchofs) und dazu auch in nationaler Hinficht
die größeften Gegenfätze in fich barg, fo kann man fich
eine Vorftellung von dem Inhalt der Briefe machen, die
der 1. Geiftliche des Landes, der fich recht eigentlich in
der Mitte diefes Treibens befand, an Bullinger richtete
Bullingers Briefe hinwiederum find angefüllt mit oft recht
wertvollen Nachrichten, die er durch feinen ausgebreiteten
Briefwechfel aus Deutfchland, Frankreich, England, Schottland
, Polen erhalten hatte und dann feinem Freunde zu-
fandte, der fich dafür feinerfeits durch Mitteilung von
Neuigkeiten aus dem Konzil und Italien dankbar erwies.
Leider werden diefe Nachrichten bis zum Erfcheinen des
3. Bandes zum größten Teil totes Kapital bleiben. Denn
da der 1. Bd. ohne Regifter ausgefandt wurde, fo fehlt
es natürlich auch dem 2. Band und ift bis zur Vollendung