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Ausgabe:

1907 Nr. 2

Spalte:

48-49

Autor/Hrsg.:

Ries, Joseph

Titel/Untertitel:

Das geistliche Leben in seinen Entwicklungsstufen nach der Lehre des hl. Bernard quellenmäßig dargestellt 1907

Rezensent:

Deutsch, Samuel Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 2.

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delt Verf. Nebenfächliches durchaus fouverän, ohne doch
an dem wirklich Konkreten und Charakteriflifchen vorüberzugehen
. Es liegt ihm gerade daran, das Realiftifche in
den Vorftellungen, welche aus den Gemälden fprechen,
hervorzukehren (S. 197), und er fieht bei anderen Erklärern
in diefer Hinficht einen Mangel (S. 20). Der
Darftellung merkt man ftark das Flüffige und Gewandte
des akademifchen Vortrags an. Dazu fpricht eine ausgezeichnete
Kenntnis und Kritik der ,literarifchen Quellen'
(d. h. der allisraelitifchen und der chriftlichen Literatur,
fowie der Infchriften) aus dem vorhergehenden Kap.
(S. 22ff.), wie aus manchen nachfolgenden Einzeldarstellungen
biblifcher, fpeziell neuteftamentlicher, Probleme
(Jenfeitsvorftellungen, Wunder, Mahle). Den eigentlichen
Umfchwung nach der Antike hin fieht v. Sybel in der
Kreuzigung Jefu oder vielmehr in den anfchließenden
,Hilfsvorftellungen' der Auferftehung und der Himmelfahrt
, nämlich den Wendepunkt zwifchen dem berechtigten
Diesfeitigen (,Religion der Erfüllung', als Reform
genommen) und dem Jenfeitigen im Chriftentum; ,fo löfte
es dem antiken Menfchen das Problem des Todes in
antikem Geifbe' (S. 14 f., u. ö.). Darüber läßt fich gewiß
(freiten.

Weiterhin wird über ,die Katakomben', ,Bau der
Katakomben', ,die Malereien der Katakomben', ,das Mahl
der Seligen', ,die Erlöfung', ,die Seligen im Himmel' gehandelt
und am Ende noch eine ,Syntax der figürlichen
Typen' gegeben. Die Kapitel über die Katakomben
orientieren über diefe gut und vollfiändig (das Diogenes-
Grab ift aber in Domitilla! S. 299 richtig gegen S. 103).
Im Kap. über die Mahle hätte als Spezialunterfuchung
noch die von Matthaei (Magdebg. 1899), in dem folgenden
noch die tüchtige von L. Clausnitzer über ,die Hirtenbilder
in der altchriftlichen Kunff, Halle 1904, beides
Erlanger Differationen (wie die von Krücke über den
Nimbus und verwandte Attribute 1905), angegeben werden
können. S. 267 wird ein Gemälde falfch gedeutet, woran
, wie ich zeigen werde, Wilperts in diefem Falle ungenügende
Abbildung (Taf. 232, 3) fchuld ift. Im Kap.
über die Erlöfung werden die Etlöfungstypen (Alttefta-
mentliche. Evangelifche), Erlöfungsmittel (Brot und Wafler
des Lebens. Taufe), der Erlöfer (Der gute Hirt. Das
Chriftkind) hehandelt. Diefe Anordnung ift fehr finngemäß
und illuftriert dem Kenner fchon das Wefent-
liche. Der Sinn der Bildwerke wird als fepulkral benimmt
, zum Glück nicht ,fepulkral-fymbolifch', was undeutlich
und überflüffig ift, doch mit ftärkfter Beziehung
auf den jenfeitigen Zuftand: ,Gott zu fchauen, das war
der Gedanke des antiken Chriften; darum (feilen ihn die
Gruftmalereien anbetend dar, vor dem Angefleht des
Herrn, der ihn aus dem Tod erlöft' u(w. (304). Diefer
Satz erklärt in der Tat am einfachften die mancherlei
Gemälde in den Katakomben. Ob daneben die verfchie-
denen Verfuche der literarkritifchen Methode zur Erklärung
der Bilderreihen (vgl. die kurze Zufammenftel-
lung am Schluß S. 302 f.) noch ihre Geltung behaupten
werden, wird die weitere Diskuffion lehren. Als Ein-
fchlag in dem Gewebe des eschatologifchen Hauptgedankens
, den die Bilder wiederfpiegeln, ließe fich eine aus
anderen Motiven früh zuftande gekommene Mufterreihe
alt- und neuteftamentlicher Beifpiele doch immer noch
verliehen. Aber es muß angefichts der Sybelfchen Ausführungen
zugegeben werden, daß das nicht mehr im
Vordergrunde flehen kann. Gewundert hat mich übrigens,
daß Verf. doch einige Male noch das Kreuz (z. B. S. 154)
abgebildet findet, wo es fich augenfeheinlich um dekoratives
Beiwerk handelt.

Die beigegebenen Abbildungen find oft nur Umrißzeichnungen
nach älteren Katakombenwerken ,der größeren
Deutlichkeit zulieb' (S. V), auch wo fie notorifch ungenau
find. Lieber hätte ich gefehen, wenn Verf., gerade
zur Uluftrierung feiner Buchüberfchrift, außer den charakteriflifchen
Skulpturen am Eingange feiner Kapitel

(beachte namentlich den Porträtkopf auf S. 140) auch
noch parallele Mufter der heidnifchen Antike, z. B. die
Deckengemälde von der Via Latina, gegeben hätte.
Jedenfalls darf man der Fortfetzung feines begonnenen
Werkes mit hoher Spannung entgegenfehen.

Betheln (Hannover). E. Hennecke.

Ries, Repet. Dr. Jofeph, Das geiftliche Leben in feinen Ent-
wicklungsftufen nachderLehre des hl. Bernard quellenmäßig
dargeftellt. Freiburg i. B., Herder 1906. (XI,
327 S.) gr. 80 M. 7 —

Eine eigne Unterfuchung der Theologie des h. Bernhard
ift gewiß nichts Überflüffiges, da die hervorragende
Bedeutung des Mannes allerfeits anerkannt wird, andrer-
feits es doch nur gewiffe Hauptpunkte derfelben find,
die man in neuerer Zeit zum Gegenftande der Unterfuchung
gemacht hat. Freilich kann nun verftändigerweife
auch davon nicht die Rede fein, eine vollftändige Theologie
Bernhards geben zu wollen. Es ift bekannt, daß
er kein zunftmäßiger Theolog war; eine Menge von
Fragen, die Andere fehr ernftlich befchäftigt haben, ließ
er einfach auf fich beruhen, in vielen anderen folgte er
lediglich der Autorität der kirchlichen Lehre; was aber
ihm eigentümlich ift, das liegt grade auf dem Gebiete,
das der Verf. der vorliegenden Schrift glücklich herausgegriffen
hat, auf dem des geiftlichen Lebens. Denn hier
redet Bernhard von dem was er felbft erlebt hat, was
ihm aus Erfahrung bekannt war, und hierüber hat er
auch am meiden und am felbftändigften gedacht und
geforfcht, wiewohl auch hier in anderer Weife als die
Scholaftiker, nämlich immer in engem Anfchluß an die
eigne Erfahrung.

Der Verf. handelt zunächft einleitungsweife, aber fehr
ausführlich, von Bernhards myftifch-praktifcher Lehr- und
Lebensrichtung. Dabei kommt er denn auch auf Bernhards
Beurteilung des Welt- und Ordenslebens. Was er
dabei mit Denifle gegen Luther fagt, laffe ich bei Seite,
bemerken aber muß ich, daß er Bernhards Schätzung
des Ordenslebens viel zu fehr abfehwächt. Das ift ja
freilich felbftverftändlich, daß B. die Möglichkeit, im weltlichen
Leben feiig zu werden, nicht beftreitet. Das Ziel
aber, zu dem er möglichft Jeden zu bringen fucht, ift
doch das Mönchsleben. Ries hat nicht beachtet, daß, wo
B. von Martha und Maria redet, die erftere bei ihm in
der Regel nicht Typus des Lebens in der Welt, fondern
des dienenden Lebens im Klofter, des Lebens der Kon-
verfen, ift. Diefer Umfland will bei der Beurteilung der
Äußerungen B.s wohl im Auge behalten fein. — B.'s
Kenntnis der Kirchenväter überfchätzt der Verf. gewiß,
wenn er fie feiner Bekanntfchaft mit der heil. Schrift zur
Seite Hellt. Die letztere war eine außerordentliche, wie
fie zu allen Zeiten feiten ift; in der Kenntnis der Kirchenväter
kommt er dagegen den Gelehrten unter den Zeit-
genoffen nicht gleich; m. E. hat B. von den Kirchenvätern
nicht grade viel gelefen, aber das Wenige gründlich
, wie das befonders von Auguftin gilt. In zwei anderen
Punkten muß ich dagegen dem Verf. wefentlich
zuflimmen, einmal darin, daß er B. gegen den Vorwurf
des Pantheismus verteidigt — ich muß wenigftens fagen,
daß ich mir noch nicht habe klar inachen können, worin
das pantheiftifche Element bei B. liegen foll. Auch darin,
daß B. nicht ftark von dem Areopagiten beeinflußt ift,
wird der Verf. recht haben, nur geht er aber doch wohl
zu weit, wenn er deffen Einfluß fchlechthin leugnet. Was
Hugo v. St. Viktor betrifft, deffen Einfluß R. ebenfalls
leugnet, fo muß ich hier ein Fragezeichen fetzen. Über
das theologifche Verhältnis der beiden Männer find ver-
fchiedene Vermutungen ausgefprochen worden, aber eben
nur Vermutungen — die Sache bedürfte aber einer eigenen
i Unterfuchung, und diefe hat auch der Verf. nicht angeftellt.

Weiter wird, nun im erden Abfchnitt die menfehliche