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Ausgabe:

1907 Nr. 2

Spalte:

693-695

Autor/Hrsg.:

Frank, Gustav

Titel/Untertitel:

Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts 1907

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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693

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 25.

ganz leicht ift, da Berbig keine Quellen angibt. Namen
behandelt er willkürlich. Vgl. S. 89 Jüterbogk, S. 114
Krepp Matt Krapp, S. 257 Otto Braunfeld Matt Brunfels
, weil Luther irrtümlich Brunfeldium fchrieb, Enders
aber die Perfönlichkeit bei feinen Lefern als bekannt
vorausfetzen durfte. Sehr merkwürdig ift die Laune,

aber Schleiermacher, der durchaus zu ihr gehört und
der trotz des antifpekulativen Charakters feines Religionsbegriffes
doch die univerfale entwickelungsgefchichtliche
Gefamtanfchauung und die moniftifche Metaphyfik des
deutfchen Idealismus teilt, in fie nicht aufgenommen. Er
ift ftatt deffen an die Spitze der Vermittelungstheologie

welche plötzlich in dem letzten Teil des Buches vom ' geftellt, die allerdings feine begriffliche Technik, fein prak-
Kurfürften Johannes und von dem Kurprinzen Johannes j tifch-kirchliches Intereffe und feinen berühmten Namen
Friedrich, aber, ohne konfequent zu fein (vgl. S. 276), [ übernommen hat, die aber in Wahrheit durch die Wieredet
, letzterer aber wird S. 257 Z. 11 v. u. mit feinem
Vater verwechfelt. S. 139 wird aus dem Kardinal Matth.
Lang von Salzburg fchlankweg Luthers Ordensgeneral.
Ganz unftatthaft ift die Einfchiebung, die fich Berbig

deraufnahme des Sündenfalls und die fupranaturaliftifche
Entgegenfetzung der Bibel und des Chriftentums gegen
die übrige Religionsgefchichte feine eigentlichfte wiffen-
fchaftliche Gefamtanfchauung prinzipiell verlaffen hat.

S. 159 Z. 26—31 erlaubt hat, indem er eine ganz Enders ; Sieht man von diefer unrichtigen Einftellung Schleier-
3,203 entnommene Erläuterung als Luthers eigene ! machers ab, fo ift die zweite Hauptgruppe die Vermit-
Worte wiedergibt, was fich kaum anders als aus Be- j telungstheologie oder die Erneuerung eines mit der
nützung von Exzerpten ohne Vergleichung der Vorlage j neuen Philofophie und Humanität fich vermittelnden,
erklären läßt. Mit dem von Kawerau gerügten for- praktifch-gefühlsmäßigen und zugleich biblifch-objektivie-
mellen Mangel hängt es auch zufammen, daß S. 277 j renden Supranaturahsmus. Frank läßt fie im Grunde doch
Luther fchreiben foll, daß der Kurprinz fich ja (ein be- ; auch erft mit Neander beginnen und führt fie bis zu den
liebtes Füllwort, vgl. S. 276 Z. 24, S. 274 Z. 22) ganz j Männern der Jahrbücher für deutfche Theologie. Daß
dem Willen des Vaters füge, während Luther fagt, der ' Richard Rothe und gar Beck ihr zugeteilt find, kann ich
Kurprinz überlaffe die Entfcheidung in der Ehefache nicht für richtig halten; Rothe ift bei allem Elklektizismus
feinem Vater. j ein theologifches Original für fich, und Beck gehört dem

Ref. weiß die Energie, mit der fich der Verfaffer breiten Rahmen der Reftaurationstheologie zu. Indem ich
der Forfchungsarbeit auf dem Gebiet der Jugendzeit von einem fehr wenig glücklich komponierten Abfchnitt
der Reformation zugewendet hat, und den tapferen ,Liberale Theologen und Staatsmänner' abfehe, hebe ich
Mut, mit dem er an die Überwindung aller einem Theo- ; als dritte Gruppe die fehr überfichtlich dargeftellte und
logen im kirchlichen Amt begegnenden Schwierigkeiten i gruppierte Theologie der ,Theofophie und Orthodoxie'
gegangen ift, vollauf zu fchätzen, aber er würde ihm zu hervor, die von der Wiederbelebung des Pietismus her
peinlichfter Pünktlichkeit und dem davon bedingten lang- zur Reftauration des Infpirationsdogmas und exklufiven
fameren Tempo der Arbeit raten. Offenbarungswunders und von diefem zum erneuerten

Nabern G Boffert Konfeffionalismus fortfehreitet und die wiffenfehafthehe

_*_'_' Großmacht der Neuzeit, den deutfchen Idealismus, nur

~ i ., t» * t /- « is- ti. ■ • j li i mehr in Geftalt der fpäten Schellingfchen Theofophie

Frank, weil. Prof. D. Guftav, Die Theologie des neunzehnten fich anzueignen vermag. Ein letzter Abfchnitt, die Ro-

Jahrhunderts. Aus dem Nachlaffeherausgegeben und mit ; mantik, Myftizismus und Pietismus, Philalethen und Licht-
einem Lebensabriß des Verfaffers verfehen von Prof. Dr. i freunde, das junge Deutfchland überaus knapp behan-

Georg Loefche. Mit dem Bildnis des Verfaffers. (Ge-
fchichte der Theologie. Vierter Teil.) Leipzig, Breitkopf
& Härtel 1905. (LH, 571 S.) gr. 8" M. 9 —
In dem Nachlaffe des bekannten Hiftorikers der
proteftantifchen Theologie hat fich eine druckfertige

delnd, ift ein fehr unorgamfeh angeflickter Nachtrag.

Die Darfteilung ift von dem Herausgeber S. XVII fo
zutreffend gewürdigt und charakterifiert, daß dem nichts
hinzuzufügen ift. Fleiß und Kenntnis der Literatur find
auch in diefem Bande bewunderungswürdig. Die Wiedergabe
der Lehren ift in den ausführlicheren Hauptftellen

Darftellung der Gefchichte der Theologie des 19. Jahr- äußerft präzis und zutreffend, das ftark perfönliche Ge-
hunderts gefunden, die Franks Kollege Loefche, mit einer präge trotz faft völliger Vermeidung jedes Urteils in Stil
biographilchen Einleitung verfehen, den bisherigen drei 1 und Darftellung unverkennbar. Das Buch ift eine Fund-
Bänden als vierten hinzugefügt hat. Freilich geht der , grübe für jedes Studium diefes Teils der modernen

Band nur bis etwas über die Mitte des Jahrhunderts
hinaus; die Reorganifation der von Radikalismus und Orthodoxie
zertrümmerten und zugleich durch die Aufnahme
der hiftorifch-kritifchen Forfchung fich regenerierenden

Geiftesgefchichte und für den die hauptfächlichen Lehrer
ftudierenden Theologen. Aber bei aller lebhaften Bewunderung
für eine derartige Literaturkenntnis und eine
derartige ,profopographifche' Vorführung der theologifchen

fpekulativen Theologie in der Tübinger Schule, auch | Schriftfteller muß ich doch die bereits vom Herausgeber
die Umbildung der lutherifchen und Vermittelungstheo- angedeuteten Bedenken noch fehr viel mehr betonen,
logie zu der die Spekulation abflößenden und aus einem , als diefer getan. Es kommt nicht fo oft vor, daß ein
antipietiftifch verftandenen, großzügigen Lutherftudium Gelehrter dreißig Jahre dem Studium einer fo ausge-
fich regenerierenden Schule Ritfchls find nicht mehr zur . dehnten und großenteils fo ungenießbaren und deprimie-
Darftellung gelangt; von der aus der hiftorifch-kritifchen ! renden Literatur zuwendet; da hätte man wünfehen
Behandlung der Bibelwiffenfchaft und der Dogmenge- mögen, es wäre die Ernte folcher Arbeit für die Gefchichte
fich ergebenden religionsgefchichtlichen Schule fchichte der Probleme und Gedanken reicher ausgefallen,
ift erft recht nicht die Rede. Die Charakterilierung der Autoren durch ihre eigenen

So ift es immerhin nur ein Teil der Theologie des Worte, wobei meid die abfonderlichen und grotesken
19. Jahrhunderts, der zur Darfteilung kommt. Dabei herausgehoben find, und durch die Urteile ihrer Zeitge-
fcheint mir die Gliederung des Stoffes keineswegs ganz noffen, wo auch meift die fchroffen und wunderlichen
zutreffend. Der erfte Abfchnitt behandelt die philofo- bevorzugt find, gibt zwar das fremdartige Zeitkolorit
phifche und fpekulative Theologie bis zur ihrer Kata- wieder, aber die Ideen der betreffenden Theologen wer-
ftrophe in der theologifchen Revolution Straußens und den dadurch oft nur undeutlicher. Manche Bilder, wie
der Junghegelianer und dann der politifchen Revolution die von Renan, Lagarde, Kierkegaard, Vinet find dar-
mit ihrer Folge der Reaktion und der Abwendung des über faft zu Karikaturen geworden, bei denen man die
allgemeinen Intereffes von der Theologie. Es ift im we- i außerordentliche Bedeutung und Wirkung diefer Männer
fentlichen die Theologie des deutfchen Idealismus und nicht ahnt. Aber der Widerfpruch muß noch weiter
ihre vorläufige Auflöfung in Reftauration einerfeits und gehen. Eine derartig knappe Darftellung müßte eine
in moniftifchen Radikalismus andrerfeits. Leider ift nun Gefchichte der Probleme und Ideen fein, wenn fie einen