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Ausgabe:

1907 Nr. 25

Spalte:

683-684

Autor/Hrsg.:

Kenyon, F. G.

Titel/Untertitel:

Greek Papyri in the British Museum, Vol. III 1907

Rezensent:

Schürer, Emil

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683

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 25.

684

Entwicklung des nationalen Rechts erlebte als die andern
Völker; jedenfalls muß diefer treibende Faktor gerade
wegen des Zufammenhangs von Religion und öffentlichem
Leben in Rechnung genommen werden. Bei der
Befprechung der rechtlichen Beziehungen der Familienglieder
ift der Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht
nicht befriedigend erklärt, denn der Ahnenkult ift
wohl kein zutreffender Grund. Vorzüglich i(t gefchildert,
wie die patria potestas und die patriarchale Form durch
die öffentliche Gewalt mehr und mehr befchränkt wurde.
Die Stellung des Weibs ift im allgemeinen treffend gezeichnet
, aber die perfönliche Bedeutung der einzelnen
Frau, die doch auch in Israel zeitweife markant hervortritt
, ift nicht betont. Der Abfchnitt über Trauerbräuche,
Totenklage ufw. ift am wenigften klar; allerdings hat E.
darin völlig recht, daß die Gebräuche auf mannigfaltige
Anfchauungen und Gefühle zurückgehen, aber die Furcht
vor den todbringenden Dämonen (im Unterfchied von
den abgefchiedenen Seelengeiftern) müßte beherrfchender
geltend gemacht werden und die ganze Auffaffung natürlicher
bleiben. Schwankend ift auch E.s Urteil über
altisraelitifchen Ahnenkult, den er in der Hauptfache für
Israel ausfchließen möchte.

Die Unterfuchung fteht auf der Höhe der Wiffen-
fchaft und beweift faft überall eine hervorragende Freiheit
der Betrachtung, umfaffende religionsgefchichtliche
Schulung und ein eindringendes Verftändnis, namentlich
in dem Gebiet des fozialen Rechts. Die vergleichende
Benutzung der Zuflände fremder Völker, namentlich des
babylonifchen Gefetzeskodex ift glücklich, nur die Mafai
find zu oft genannt. Durch Berückfichtigung des Spätjudentums
und des Talmud hätte die Studie noch gewinnen
können. Durchgehend ift gezeigt, was für tiefere foziale,
myftifche, religiöfe Gedanken in den äußeren Formen
des Zufammenlebens fich verbergen und in ihnen fich
ausfprechen. Dabei bleibt natürlich manches bloße Vermutung
, aber der Wert des Ganzen wird dadurch nicht
beeinträchtigt.

Tübingen. Volz.

Greek Papyri in the British Museum, Catalogue, with Texts.
Ed. by F. G. Kenyon, MA. DLitt., and H. J. Bell,
MA. Vol. III. London, Printed by order of the Tru-
stees 1907. (LXXIV, 388 p.) 40

Unter den hier mitgeteilten neuen Papyrus-Texten —
überwiegend Urkunden, welche fich auf privatrechtliche
Verhältniffe oder auf die Steuerverwaltung beziehen —
find namentlich zwei, welche auch fpeziell theologifche
Intereffen berühren.

1) S. 124—126, Papyrus aus dem 7. Jahre Trajans
(104 n. Chr.), enthält ein Schreiben des Statthalters von
Ägypten, welches anordnet, daß wegen der bevorftehen-
den Volkszählung (djcoygacpr}) alle, die aus irgend tiner
Urfache fich außerhalb ihres Bezirkes (vo/iög) authalten,
nach Haufe (sig xa tavxmp scptOxia) zurückkehren füllten,
um die herkömmlichen Angaben für die Volkszählung zu
machen und zugleich ihr Land zu beftellen. Der Text ift
allerdings fehr defekt; die Richtigkeit der von den Herausgebern
vorgenommenen Ergänzungen dürfte aber in keinem
wefentlichen Punkte zweifelhaft fein. Hiernach ift zu lefen:
Trjg xax oi[xiap aJioyQarpr/g Ov]vEOxco[örjg]
avayxatov zovg ajtoör]ur]Oapxag xa&- npxipa]
ör/Jtozs aix[iap aoto xojp Eavxojp]
pofimp jigoOa[payxa]oai E.xa[pEX]
&sip sig xa eav[xmp e]cp£Oxia tp[a]
xai xrjP Ovprjd-i] [oixopouiMP xrj[g ajto]
ygarpr/g jiXrjQmOaiOiP xai zrj jiqoot]xov
or] avxoig yscogyiai jiQOOxaQXEQr]Oa>[oip).
Man wird hier fofort daran erinnert, daß infolge des
Schatzungsbefehles des Auguftus ,alle reiften, um fich
aufzeichnen zu laffen, Ixaoxog sig zijp iavxov [al. iölav]
JtoXiP' (Luc. 2 s). Die Parallele ift freilich keine genaue.

I Denn Lucas ftellt fich unter der ,eigenen Stadt' nicht den
j Wohnort, fondern den Stamm-Sitz vor. Für die Rettung
der Gefchichtlichkeit der Lucas-Erzählung ift alfo damit
; nichts gewonnen. Aber es wird doch beffer als bisher
erklärlich, wie Lucas zu feiner Erzählung gekommen ift.

Die in dem Papyrus erwähnten Volkszählungen fanden
in der römifchen Kaiferzeit in Ägypten alle 14 Jahre ftatt.
Daß in das Jahr 103/4 eine folche fiel, war auch bisher
fchon bekannt (f. meine Geich, des jüd. Volkes 3. Aufl.
I, 514f.). Verfchieden davon find die jährlichen Aufnahmen
des beweglichen Befitzes, welche ebenfalls axio-
ygaepai hießen.

2) i8off., Papyrus aus d. J. 113 n. Chr., Rechnungs-
Ablegung der vier Kommiffare für die Wafferwerke einer
Metropolis über die Einnahmen und Ausgaben des letzten
halben Jahres, erftattet an den ihnen vorgefetzten ggera-
Ox?]g. Der Anfang lautet:

Arjfir/zQicoi yEyvppaOiugxr/xoxi E^ExaOxr/

IJaga ... (4 Namen) . . . xmp xEOagcop (pgopxioxop
lOaycoy*1 vöaxcop xaOzsXXojp xai xgnpojp (irjxgonoXEajg.
Aoyog Xrjpuazcop xai apaXojfia* xa>P apaXovuEPcop Eig xrpv
xmp vöaxmp lOaymyrjv xcop ajto Ilaymp xov dieXrjXvd-otog
ig L Tgaiavov KaiOagog xov xvqiov smg <Paa)ipi X xov
EPEormx0 iL] L.

Die Abrechnung bezieht fich alfo auf die letzten vier
Monate (Pachon, Payni, Epiphi, Mefori) des 16. Jahres
Trajans und die erften zwei Monate (Thoth und Phaophi)

1 feines 17. Jahres. Um welche prjxgojioXig es fich handelt,
wiffen wir nicht, wahrfcheinlich (nach der Herkunft des
Papyrus) um eine folche im füdlichen Teile von Mittel-

j ägypten. In der langen Lifte der Einnahmen findet fich
nun auch folgender Porten (S. 183 oben, Z. 57—61):
Agyopxmp l[ovöaimp jcgoOEvxrjg Orjßaiojp tir/piai"' <( gxn
llaycop <C Qxi] Havpi <C qxt] ExtEiip <C Qxr] Meöoqt} <C gxt]
t£ 11 Smd- < Qxr/ 'Paaxpi < Qxr/ / < r/Jg'/]
tvjEiov ouoimg . . [wie oben für 6 Monate] . . / <fj rpS,n
Die Juden von der Proseuche der Thebäer haben

i alfo für das ihnen gelieferte Waffer eine monatliche Ab-

| gäbe von 128 Drachmen gezahlt, im halben Jahre 768
Drachmen (y>§rj). Obwohl damit (nach dem Münzfuße
jener Zeit) Drachmen gemeint find, die nur etwa ein
Viertel des Wertes der alten Silber-Drachme betrugen
(f. Hultfch in Pauly-Wiffowas Real-Enz. V, 1630 im Art.
,Drachme'), fo ift die Summe doch recht erheblich. Augen-
fcheinlich hat man bei der Proseuche wegen der vor dem
Gottesdienft vorzunehmenden Reinigungen viel Waffer
gebraucht (f. meine Gefch. des jüd. Volkes Bd. II, 4. Aufl.

j S. 519). Sehr merkwürdig ift aber, daß eine Summe von
ganz gleicher Höhe auch für das svyEiOP zu entrichten
war. Was ift damit gemeint? Es kann fich wohl nur

1 um eine ,Gebetsftätte' handeln, die demnach von der
Proseuche zu unterfcheiden ift.

Die ,Proseuche der Thebäer' ift natürlich die Proseuche
der aus Theben (in Ober-Ägypten) flammenden
Juden. Diefe waren in der fraglichen ,Metropolis' fo
zahlreich, daß fie eine eigene Proseuche hatten; und es
muß in derfelben Metropolis noch andere jüdifche Pros-

1 euchen gegeben haben — ein neuer Beweis für die große
Zahl der Juden auch in Mittel- und Ober-Ägypten. Die
agyopxEg 'lovöaimp find wohl nur die Vorfteher der 1 he-
bäer-Gemeinde, nicht die der gefamten Judenfchaft der
Stadt. Im letzteren Falle wäre die Erwähnung nur der
Proseuche der Thebäer fehr auffallend.

Göttingen. E- Schürer.

Gräfe, Ed., Das Urchriftentum und das Alte Teltament. Rede,
gehalten beim Antritt des Rektorates zu Bonn am
18. Oktober 1906. Tübingen, J. C. B. Mohr 1907. (48 S.)
gr. 8° M. 1 —

In großen Zügen, mit notwendiger Befchränkung auf
das Wefentliche, fchildert Gräfes Rektoratsrede die Art,