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Ausgabe:

1907 Nr. 21

Spalte:

574-577

Autor/Hrsg.:

Peabody, Francis

Titel/Untertitel:

Jesus Christus und der christliche Charakter 1907

Rezensent:

Wernle, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 21.

574

ungünftigcr Verhältniffe nicht vollständigen Literaturangaben
über jedem einzelnen Paragraphen, fondern auch
für gar manche treffende Bemerkung allgemeinerer oder

^Ä^Ä^3&ÄS?S3Ä2aI . SÄT* tESSTK*X-TÄw

Peabody, Prof. Francis G., Jefus Chriftus und der christliche
Charakter. Vorlefungen aus Anlaß des deutfch-ameri-
kanifchen Gelehrtenaustaufches in englifcher Sprache

Vorzügen manche Mängel gegenüberstehen. Zunächst
der, daß die dem Buche einverleibten, übrigens Sehr
zahlreichen Übersetzungen oft recht viel zu vvünfchen
übrig lafSen, weil Weber nämlich zu wenig Philologe
im eigentlichen Sinne ift, um ganz felbftStändig inter-

terfemefters 1905/6. Autorisierte Überfetzung von E.
Müllenhoff. Mit dem Bildnis des Verfaffers. Gießen,
A. Töpelmann 1906. (V, 279 S.) gr. 8° M. 4—;

geb. M. 5 —

pretieren zu können, und darum oft genug in Abhängig- j Ninck, Johannes, Jefus als Charakter. Eine Untersuchung,
keit von weniger exakten oder etwas antiquierten Uber- Leipzig, J. C. Hinrichsfche Buchhandlung 1906. (VIII,

fetzungen erheblich hinter dem zurückbleibt, was Sich
heute leiden läßt. Dieter Abhängigkeit ift (ich Weber
übrigens bis zu einem gewiffen Grade Selbst bewußt
und geSteht Sie, Statt Sie zu verbergen zu Suchen, freimütig
ein, ein immerhin anerkennenswerter Zug.

Und dann, ja dann noch zwei andere Dinge. Pietätvolle
Verehrung ift etwas Sehr Schönes, und bleibt es
auch dann, wenn Sie befangen und blind macht. Aber
Schade ift es doch, daß Sich Webers Verehrung für feinen

376 S.) gr. 8» M. 3.50; geb. M. 4.50

Will man diefen beiden Büchern gerecht werden, So
Suche man nicht in ihnen, was Sie nicht Sind: weder im
Strengen Sinne hiftorifche Untersuchungen mit den
Mitteln der Quellenanalyfe, Textvergleichung und exakten
hiftorifchen Kritik, noch pfychologifche Untersuchungen
, mittelst einer Scharfen Definition des Charakters,
feiner Ableitung aus ererbten und erworbenen Elementen

Lehrer Hommel in feinem Buche gelegentlich in der j und dem Verfuch, die Gefetzmäßigkeit feiner Entstehung
Vertretung durchaus unbegründeter Hommelfcher An- | und Ausbildung zu verfolgen. Von Solchen hiftorifchen
Sichten kundgibt. So ift es auch — dies in eigener ' und pfychologifchen Erörterungen find zwar beide Bücher

Sache_ eineldommelfche Anficht, daß meine, nunmehr [ durchzogen, ganz befonders dasjenige von Ninck, aber

glücklich erdroffelten und verfenkten Bemühungen um Sie geben ihnen nicht ihr eigentümliches Gepräge. Es
die Entzifferung der hittitifchen Infchriften in der Haupt- | find beidemal durchaus moderne Spiegelungen der Hi-
fache vergeblich gewefen find. Ungereimtheiten, wie Sie J ftorie, Verfuche, das Geschichtliche in das Netzwerk mo-
Elommel aufzutifchen für angemeffen erachtet hat, um ' derner, vor allem ethifcher Kategorien einzufangen und
das zu erweifen, hat kein Geringerer als Brockelmann zu gliedern, wobei es ohne manche mehr oder weniger
einft ein Satyrfpiel genannt. Ob Weber viel mehr von Starke hiftorifche und pfychologifche Zurechtlegungen
den Infchriften kennt, als die Anficht Hommels oder | nicht abgeht und — befonders bei Peabody, Schon nach
die Mefferfchmidtfche Sogenannte Kritik über meine ' dem Titel, viel weniger bei Ninck — die praktische Ver-
Entzifferungsarbeiten? Und doch Spricht er auf S. 276 wertung die Stoffbehandlung aufs Stärkste beeinflußt. Das
von ,So gut wie völlig dunklen hethitifchen Hiero- Zusammentreffen beider in der Herausarbeitung des Cha-
glyphentexten'. Muß denn Winckler mit feiner Gefolg- , rakters Jefu ift nicht zufällig. Es find, im Unterschied
Schaft Stets das letzte Wort behalten? Ob, dies im An- j von der mit hundert Zufälligkeiten und bloßen Möglich-
fchluß hieran, Weber Studien über den Mitanni-Brief j keiten rechnenden Leben-Jefu-Forfchung, Verfuche, die
gemacht haben Sollte? Wohl Schwerlich. Auch darum hat Grundrichtung Seines Willens, das Fette, Klareund Bleibende
der Referent Sich recht eifrig bemüht und auch, wie mit ' feiner PerSon herauszustellen. Während dies aber bei
ihm Andere, Allerlei, und zwar etwas Mehr als Diefe, | Ninck in einfacher Freude an dem individuellen und un-
herausgebracht. Und dies hat, glaube ich, von Nie- j wiederholbaren Phänomen gefchieht, das nur in Sehr
mandem bestritten werden dürfen. Warum Spricht denn ; beschränktem Maß einer direkten Nachahmung fähig ift,
nun Weber auf S. 274 ohne Einschränkung von der ,un- J wohl aber als einzigartige höchste Offenbarung Gottes
verstandenen' Mitanni-Sprache? Doch das find Kleinig- , religiös gewürdigt werden will, geht Peabody umgekehrt
keiten. Bedauerlicher aber finde ich es — freilich, und j von dem Allgemein-Gültigen und Übertragbaren in Jefus
erfreulicher Weife, wird Weber mit manchen Anderen aus, um daraus den christlichen Charakter abzuleiten für
darin einen Vorzug finden —, daß auch Webers Buch eine jede und ganz befonders für unfre fozial bewegte Zeit,
in dem Zeichen der von Winckler erfundenen, aber nie Den englifch gehaltenen, jetzt verdeutschten Berliner

auch nur mit dem Schatten eines BeweiSes bedachten 1 Vorlefungen Peabodys ift eine befonders weite Verbreitung
,altorientalifchen Himmels- und Weltanfchauung' Steht , zu wünfchen weniger wegen einer Originalität und Neu-
und in ihrem Banne der affyrifch-babylonifchen Mytho- ! heit, die zu beanfpruchen fie viel zu befcheiden find, als
logie gewaltfame und doch allzu fchablonenhafte Deu- wegen der Gefundheit und Wahrheit, die ihnen einen
tungen aufzwingt. Ich fürchte, daß er mit Solchen Ver- hohen erzieherischen Wert verleihen. Diefer Mann —
Suchen den Tatfachen und der Wirklichkeit kaum in einem I das fpürt man jeder Seite an — will nicht glänzen und
Falle nahe kommt. Zu welchen ungeheuerlichen Konfe- bezaubern, fondern feinen Zuhörern Wahrheiten ans
quenzen diefe Verranntheit in gänzlich wefenlofe und un- j Herz legen, die gerade um ihrer Schlichtheit und Brauchgreifbare
, halb myftifche Dinge führt, hat Niemand beffer j barkeit willen gering gefchätzt zu werden pflegen. Er
als jungft Weber an Sich felbft gezeigt. geht von der Notwendigkeit christlicher Charaktere für die

Doch damit genug. Als ein Ganzes betrachtet und Bewältigung unfrer fozialen Aufgaben aus und will zeigen,
»rn Hinblick auf feinen Zweck haben wir allen Grund, wie in Charakter und Lehre Jefu die Grundzüge folcher
das von Vielseitigkeit zeugende, gewandt geschriebene j christlichen Charaktere enthalten find. An Jefus felbft ift
Weberfche Buch froh zu bewillkommnen und diefe 1 ihm der hervorragendste Eindruck der der Kraft und
Frucht harter, Sicher oft entfagungsvoller Arbeit in karg j Meifterfchaft im Ethifchen wie im Intellektuellen; fie

bemeffenen Mußeftunden als eine fchöne und fehr ver
dienftliche Leistung anzuerkennen. Ich perfönlich habe
Weber dafür zu danken, daß er — fo weit find wir gekommen
, daß man das hervorheben muß — mir und
meinen Arbeiten gerecht zu werden Sucht, obwohl er

äußert Sich in der verfchwenderiSehen Freigebigkeit feiner
Sympathie und fertigt Sich in der Einfamkeit. Solche
Kraft ift dem Verfaffer auch das Ziel jedes christlichen
Charakters, deffen Werden und Wachfen und dann deffen
persönliche und foziale Konfequenzen er nun verfolgt.

Hommels Schüler ift und als Zauberlehrling im Banne I Man wird vielleicht finden, daß die dabei verwandten
des Hexenmeifters Winckler Steht. Kategorien, z. B. Gerechtigkeit, Liebe, Leben oder BeMarburg
Tenfen herrfchung des Körpers, des Geiftes, des Gemüts trotz

fe' J 1 der konkreten Ausfüllung etwas Abstraktes, Schablo nen-