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Ausgabe:

1907 Nr. 20

Spalte:

551-552

Autor/Hrsg.:

Wilk, Karl

Titel/Untertitel:

Antonius von Padua. Eine Biographie 1907

Rezensent:

Lempp, Eduard

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55i

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 20.

552

Wilk, Karl, Antonius von Padua. Eine Biographie. (Kir-
chengefchichtliche Abhandlungen. Herausgegeben von
M. Sdralek. Fünfter Band.) Breslau, G. P. Aderholz
1907. (VIII, 98 S.) gr. 8° M. 2 —

Als im Jahr 1901 A. Lepitre die erfte katholifche
Biographie über den h. Antonius von Padua herausgab,
die auf Wiffenfchaftlichkeit Anfpruch machen konnte,
da wunderte ich mich nicht, daß er von den Wundererzählungen
, die in den bisherigen mehr erbaulichen
Biographien die Hauptfache gewefen waren, zu retten
fuchte, was möglich fchien. Ihm war zu Hilfe gekommen,
daß Ferdinand Marie d'Araules kurz zuvor die Legende
Rigaldis entdeckt und herausgegeben hatte, durch die
eine Menge Wundergefchichten, die vorher erft aus dem
Liber miracidorum bekannt gewefen waren, auf eine
Quelle zurückgeführt wurden, die mindeftens 50 Jahre
älter war. Er klammerte fich daran, daß diefe Quelle
vielleicht noch am Schluß des 13. Jahrhunderts entftan-
den fein kann, und überfchätzte ihr gefchichtliches Gewicht
ganz bedeutend, indem er nicht genügend bedachte,
was auch eine zeitliche Diftanz von nur 70 Jahren für
einen weiten Spielraum fchafft für die fromme Dichtung.
Zu verwundern war höchftens, daß er noch dazuhin fich
von vielen Landsleuten und fogar von Felder wegen
Hyperkritik fchelten laffen mußte, welchen Vorwurf er
am allerwenigften verdiente. W. geht einen Schritt weiter
• als Lepitre; ihm ift es nicht um die Wunder, fondern
um die Wahrheit zu tun, die ,poetifche Währheit' jener
Legenden will er der erbaulichen Literatur übrigens nicht
nehmen. Er unterfucht und benützt alle die neuen
Quellen, die feit meiner Arbeit in der Ztfchr. f. Kirchen-
gefch. neuentdeckt und durch Kerval fo bequem zugänglich
gemacht find, die übrigens alle noch weniger zur
Bereicherung unterer Kenntniffe über Antonius beitragen
als Rigaldi. Es ift erfreulich, mit welcher Sachkenntnis
und Objektivität er arbeitet. In manchen Einzelheiten
geht er über meine Refultate hinaus, wobei er nach
meiner Anficht immer noch zuviel auf Rigaldi fich verläßt
, einmal tritt er in ausführlicher Begründung meiner
Schätzung des Thomas von Ecclefton gegenüber dem
speculum vitae entgegen, und da kann man ja in der Tat
verfchiedener Anficht fein, wenn mich auch feine Gegengründe
nicht ganz überzeugen konnten. Aber im ganzen
bin ich, fo fehr ich über den Ton und Inhalt der Abhandlung
erfreut bin, doch etwas enttäufcht über die Fort-
fchritte, die hier gemacht find: W. vermißt bei meinen
Auffätzen, daß fie faft gar nicht auf das Innenleben des
Heiligen eingehen, aber der Weg, den W. eingefclilagen
hat, um diefe von mir felbft lebhaft gefühlte Lücke
auszufüllen, kann nicht zum Ziel führen; er zieht anfechtbare
Schlüffe aus z. T. fpät entftandenen hiftorifchen
Erzählungen, während wir doch eine ganze Reihe von
echten Schriften des Antonius felbft befitzen. Zur Kenntnis
des äußeren Lebens des Antonius tragen diefe allerdings
nichts bei, aber das Innenleben muß aus diefen
Quellen erften Rangs, denen gegenüber alle Legenden
nichts bedeuten, zu erfchließen fein. Ich habe mich auch
bemüht, das Mögliche aus diefen Quellen zu fchöpfen,
aber ich war dabei überall gehindert durch die Unficher-
heit der gedruckten Ausgaben; doch glaubte ich deutlich
nachgewiefen zu haben, daß und wo unzweifelhaft echte
Schriften des Heiligen zu finden find, wenn es auch dem
Proteftanten von feinem Schwarzwaldpfarrdorf aus nicht
möglich war, zu ihnen zu gelangen. Nun hat der, foviel
ich weiß, inzwifchen verflorbene Lokatelli begonnen, die
Predigten des Antonius herauszugeben, leider fagt er
nicht, woher er fie abdruckt, und mir ifts nicht gelungen,
dies zu erfahren. Aber von einer katholifchen Univerlität
aus wäre das doch vielleicht möglich gewefen. Jedenfalls
glaube ich das fagen zu dürfen, daß die kleinen Korrekturen
und Ergänzungen in Einzelheiten, die durch neue
hiftorifche Quellen möglich werden, für die gefchichtliche

Kenntnis des Heiligen wenig bedeuten; es follte aber
niemand mehr eine Biographie desfelben zu fchreiben
unternehmen, ehe die echten Schriften, die zu Padua
liegen müffen, herausgegeben, gründlich ftudiert und auch
mit den andern unter feinem Namen laufenden verglichen
find; denn erft dann vielleicht kommt man einen wirklichen
Schritt hinaus über die Refultate, die fchon vor
20 Jahren gewonnen worden find. Freilich ift das Studium
der Schriften des berühmten Volksredners, auch
wenn die Frage der Echtheit beantwortet wäre, eine
mühfame und wenigftens für unfer Empfinden recht langweilige
Arbeit, aber fie allein kann eine zuverläffige
Antwort geben auf die Fragen über das Innenleben des
Hei.ligen, über feine Stellung zu dem Ordensgründer, den
Ordensidealen und den zu jener Zeit fo lebhaft geführten
Ordensftreitfragen.

Stuttgart. E. Lempp.

Moeller, Priv.-Doz. Dr. jur. Emft v., Die Elendenbriider-

fchaften. Ein Beitrag zur Gefchichte der Fremdenfür-
forge im.Mittelalter. Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1906. (III, 176 S.) gr. 8° M. 3.50; geb. M. 4.50

Die Gefchichte der mittelalterlichen Brüderfchaften
ift von fozialem, rechtsgefchichtlichem und kirchenge-
fchichtlichem Standpunkt aus fehr intereffant, vom Standpunkt
der Kirchengefchichte, weil man aus diefen Brüderfchaften
beffer als aus vielen andern Erfcheinungen das
Maß des kirchlichen Einfluffes, die Art der populären
kirchlichen Frömmigkeit, auch die Wirkung der kirchlichen
Dogmen erfehen kann. Es fehlt aber noch viel
zur gründlichen Erforfchung diefer Erfcheinungen. Darum
ift uns eine fo mühevolle und tüchtige Einzelunterfuchung
wie die M.s über die Elendbrüderfchaften fehr erwünfcht.
Elendgilden waren ,Brüderfchaften, die für das chriftliche
Begräbnis und das Seelenheil armer Fremder borgten und
fich zuweilen auch ihrer Beherbergung und Verpflegung
in Krankheiten widmeten' (S. i65). Es hat viele Brüderfchaften
im Mittelalter gegeben, welche keinen weiteren
Zweck hatten, als gegen einen mäßigen Beitrag Schmäufe
mit Freibier, vergnügtes Vereinsleben, Leichenbegängnis
in der Kirche am eigenen Alter, Begräbnis mit Lichtern
und Seelenmeffen zu gewähren. Auch bei den Elendbrüderfchaften
war das die Hauptfache, aber fie begnügten
fich doch nicht ganz damit, fondern fetzten fich zur Aufgabe
, den Elenden d. h. den Ortsfremden, Wallfahrern,
Pilgern, Gutes zu tun. Freilich ,auf Schritt und Tritt
ergibt fich, daß die Mitgliedfchaft nicht nur um der
Elenden, fondern in erfter Linie um der Luft am Ge-
noffenfchaftsleben willen und zum Heil der eigenen Seele
begehrt war. Die Fürforge für die Elenden war nur
Mittel zum Zweck' (S. 134). So wurde denn nur der
allerkleinfte Teil der Einkünfte für die Elenden verwendet
, alles übrige für die Genoffenfchaft felbft, und auch von
diefem allerkleinften Teil charakteriftifcher Weife wieder
nur das Wenigfte zur Fürforge für die lebenden Elenden,
für Elendherbergen und Elendfpenden, weitaus das Meifte
zu Begräbnis und Seelenmeffen für die toten Elenden.
Das ift echt mittelalterliche kirchliche Liebestätigkeit, die
überall zuerft das eigene ,Verdienft' und nicht Hilfe für
den Notleidenden fucht und fo aller großartigen Mildtätigkeit
den Wert und den Erfolg von vornherein nimmt.
Aber merkwürdig ift nun, wie M. den Nachweis führt,
daß diefe Elendbrüderfchaften eigentlich nur auf dem
Gebiet des deutfchen Reiches fich finden, und auch da
hat er in Süddeutfchland nur 8 Brüderfchaften ermitteln
können, alle andern in Norddeutfchland. Es gibt hauptfächlich
zwei Verbreitungsgebiete, ein größeres zwifchen
Hamburg, Braunfchweig, Jena, Prag, Soldin, Altenkirchen,
Odenfe, und ein kleineres zwifchen Koblenz, Reil an der
Mofel, Neuenheim bei Heidelberg und Frankfurt a. M.
(S. 106), und zwar tauchen die Brüderfchaften faft plötz-