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Ausgabe:

1907 Nr. 20

Spalte:

547-548

Autor/Hrsg.:

Brandscheid, Fridericus

Titel/Untertitel:

Novum Testamentum Graece et Latine 1907

Rezensent:

Gregory, Caspar René

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 20.

548

Zweifellos richtig ift, daß die gefchichtliche Geflalt
des Elia von der Sage überkleidet wurde, und G. findet
hier fchöne Worte über den religiöfen Gehalt und den
äfthetifchen Reiz der Sage. Aber fraglich ift mir die
literarkritifche Zerfplitterung der einzelnen Sagenkreife,
wie überhaupt die Fundamentaltheorie G.s von der Kürze
der Einzelfage und von der urfprünglichen Mündlichkeit
jeder Sage. In der Beurteilung der Gefchichtlichkeit
läßt fich G. zu fehr von der ftrengen Logik leiten, der
die Gefchichte in Wirklichkeit nicht immer gehorcht.
Die Behauptung, daß der Gott des hiftorifchen Elia
noch der furchtbare Gott der Naturgewalt gewefen fei,
wird durch 1 K 19, dem doch G. den größten gefchicht-
lichen Wert beimißt, widerlegt. Übrigens ift G. gerade
die Deutung von 1 K 19 wohl am wenigften gelungen.
Der Sinn der Offenbarung ift nach ihm der, daß Gott
nicht in der Naturerfcheinung felbft wohne, fondern
dahinter in ewiger Erhabenheit und Stille weile. Diefe
Erklärung ift nicht beffer als die herkömmliche. Zudem
ift durch die Loslöfung des Kap. 19 von 1 K 18 die
Offenbarung gar nicht mehr motiviert; viel wahrfcheinlicher
als die Loslöfung von 1 K 18 ift mir die Loslöfung der
Verfe 1919b ff., was außer dem fachlichen Widerfpruch
auch durch die textliche Unebenheit (vgl. I9i:sb, u
und 199-iia) nahegelegt wird. Das Wertvollfte an
dem Büchlein ift der erfte Abfchnitt, die Wiedergabe der
Eliastradition, wo G. feine großartige Kunft im Nacherzählen
beweiit.

Leonberg. Volz.

Brandscheid, Fridericus, Novum Testamentum Graece et
Latine, Textum Graecum recensuit, Latinum ex vul-
gata versione Clementina adiunxit, breves capitulorum
inscriptiones et locos parallelos uberiores addidit F. B.
Tertia editio critica recognita. Friburgi Brisg., Herder
MCMVI. I2<>

Pars prior: Evangelia. (XXIV, 652 p.) M. 2.40; geb. M. 3.40. —
Pars altera: Apostolicum. (VIII, 803 p.) M. 2.60; geb. M. 3.60.

Brandfeheid datierte das Vorwort zur erften Ausgabe
Weihnachten 1892, und zur zweiten Allerheiligen 1900.
Er ift am 1. Aug. 1902 heimgegangen. Für den oberflächlichen
Beobachter bietet diefe Ausgabe die Merkmale
einer wiffenfehaftlichen Arbeit. Der Verfaffer wirft
um fich fowohl in zwei Vorworten wie auch in den
Grundfätzen der Ausgabe mit den Namen von Hieronymus
, Vercellone, Scrivener, Lachmann, Tregelles, Tifchcn-
dorf, und Weftcott und Hort. Am Schluffe des erften Bandes
gibt er erttens eine kurze Lifte der Handfchriften
und der Verfionen, wobei es intereffant ift, daß er nur
die 7. Ausgabe von Tifchendorf anführt, obfehon die 8.
wirklich das Tageslicht erblickt hatte, ehe er feine erfte
Ausgabe lieferte, und obfehon er den in der 7. Ausgabe
noch nicht bekannten Kodex Sinaiticus anführt. Zweitens
gibt er eine Lifte der Stellen, die er in feiner 2. Ausgabe
geändert hat. Drittens bietet er kritifche Anmerkungen
. S. 611 fcheint er fich eine nicht fitatthafte Behandlung
der Versabteilung zu geftatten, aber es lohnt
fich nicht, aus noch anzugebenden Gründen, nachzufehen,
ob er wirklich Änderungen vorgenommen hat. Die
Änderungen, die Brandfeheid in der Vorbereitung der
3. Ausgabe vornahm, findet man S. XVI. XVII. Im 2.
Band werden diefe Änderungen für die dritte Ausgabe
S. V. VI geboten, und am Schluffe wieder eine Lifte,
diefelbe Lifte wie im i. Bande, der Handfchriften, eine
Lifte der in der zweiten Ausgabe geänderten Stellen
und eine Reihe von kritifchen Anmerkungen.

Diefe Ausgabe beanfprucht auf diefe Weife wiffen-
fchaftliche Bedeutung. Der römifch-katholifche Theolog,
der fie in die Hand nimmt, dürfte meinen, aus ihr
wenigftens in der Hauptfache fich über den Stand des
neuteftamentlichen Textes zu unterrichten. Es gibt eine

fehr einfache Weife, die Bedeutung und den Wert diefer
Ausgabe feftzuftellen. Der griechifche Text des Neuen
Teftaments weift drei Stellen auf, über deren Echtheit
das Urteil längft gefällt wurde. Wiffenfchaftlich ange-
fehen ift jede von den drei Stellen unecht. Es dürfte
unter folchen Umftänden in einer Ausgabe wie der vor-

: liegenden der Herausgeber zwar die Schätzung der Echtheit
oder Unechtheit für fich vornehmen, aber er dürfte
in keinem Falle verfehlen, feine Lefer über den Stand
der Zeugen für diefe drei Stellen zu unterrichten. Die
Stelle 1 Joh. 5 7. 8 gehört überhaupt nicht in das griechifche
, aber auch nicht in das lateinifche Neue Teftament.
Die ,himmlifchen Zeugen' flehen richtig beurteilt in keiner
griechifchen Handfchrift, obfehon in verfchiedenen Formen
fie in zwei jungen Kleinfchrift-Handfchriften vorhanden
find. Gerade ein gelehrter römifcher Katholik
hat vor kurzem es wahrfcheinlich gemacht, daß diefe
Worte von dem Häretiker Priscillian herftammen. Jeder,
der auch nur eine blaffe Ahnung von der Textkritik des
Neuen Teftaments hat, würde beftimmt erwarten, daß
Brandfeheid in irgendwelcher Weife von diefer korrup-
teften aller Stellen im Neuen Teftament berichten würde.
Es ift unglaublich aber wahr, daß, foweit ich entdecken
kann, er keine Silbe, kein Zeichen diefer Stelle widmet.
Die gefälfehten Worte ftehen im Texte, als ob fie völlig
ficher wären und in keiner der Liften werden die Worte
berührt. In bezug auf die Wiffenfchaft und in bezug auf
die Wahrheit ift das empörend. Alle jene wiffenfehaftlichen
Verweifungen auf Handfchriften und Zeugen enthalten
das Verfprechen, zwingen den Herausgeber als
ehrlichen Forfcher dazu, diefe Stelle zu kennzeichnen,
und vor allen anderen zu kennzeichnen. Er fchweigt

I fich aber aus. Die Stelle Joh. 753—811 ift unzweifelhaft
eine Interpolation. Dasfelbe gilt für diefe Verfe wie für
I Joh. 57.8. Brandfeheid hätte leugnen können, daß die
Verfe interpoliert find. Er müßte aber die Zeugen herbeiführen
, die Stelle beleuchten. Wieder aber deutet
kein Wort oder Zeichen an, daß diefe Verfe nicht unbe-
zweifelt find. Ebenfo verhält es fich mit Mk. 169-20.
Ebenfo werden diefe unechten Verfe durch Schweigen
als urecht und unbezweifelt dargetan. Es ift das eine
Unehre für den Herausgeber und für die Theologen,
die dem Erzbifchof von Freiburg die Billigung der Ausgabe
empfohlen haben.

Leipzig. Cafpar Rene Gregory.

Munoz, A., II codice purpureo di Rossano e il frammento
Sinopense. Con XVI tavole in cromofototipia, VII in
fototipia e 10 illustrazioni nel testo. Roma, Danesi
editore MCMVII. (Bl. [2], S. 32, Bl. [4j, 21 Tafeln.)
48x37 cm.

Nach Gebhardt und Harnacks durch das Roffano
Dom-Kapitel vereiteltem Verfuch, eine Pracht-Ausgabe
des Kodex Roffanenfis der Evangelien zu veranftalten,
und nach Arthur Hafeloffs durch Unwohlfein und Eile
beeinträchtigter photographifcher Wiedergabe der Bilder
in jener Handfchrift, erhalten wir jetzt durch Antonio
Munoz, deffen Name fpanifch klingt, eine üppig ausgeplättete
Ausgabe in Farbenphotographie. Munoz befpricht
die Bilder diefer Handfchrift und die Bilder der nunmehr
Parifer Evangelien-Handfchrift aus Sinope. Er lobt die
Roffanenfis-Bilder auf Köllen derjenigen aus Sinope,
meines Erachtens kaum mit Recht. Verfchiedenes, was
er dem Sinopenfis vorwirft, trifft nicht zu. Er meint
zum Beifpiel, daß die Fleifchkonturen im Sinopenfis
ftets dicke fchwarze Striche find, während das Gegenteil
eher der Fall ift. Höchftens auf einem Bild, A 3, könnte
man etwas Derartiges beim linken Fuß Jefu merken.
Die Bewegung und die Gewandung find eher beffer im
Sinopenfis, obfehon gewiffe Drapierungen, gewiffe Falten
| in Umwürfen der Jünger in geringem Maße die klaffifche