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Ausgabe:

1907 Nr. 1

Spalte:

529-531

Autor/Hrsg.:

Schaeder, Erich

Titel/Untertitel:

Das Evangelium Jesu und das Evangelium von Jesus (nach den Synoptikern) 1907

Rezensent:

Lobstein, Paul

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529

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 19.

S30

Schaeder, Prof. D. Erich, Das Evangelium Jefu und das ! rettender, gebietender, fchöpferifcher Macht, wußte er
Evangelium von Jefusinach den Synoptikern). Ein Beitrag 1 diefem Sinne als den Inhaber des Geiftes oder des

zur Löfung der Frage in drei Vorlefungen. (Beiträge
zur Förderung chriftlicher Theologie. 10. Jahrgang
1906. Sechfies Heft.) Gütersloh, C. Bertelsmann
1906. (64 S.) gr. 8° M. 1 —

Diefe Schrift enhält drei auf der achten theologi-
fchen Lehrkonferenz in Mölln i. L. gehaltene Vorlefungen.
Zur Aufhellung des von Sch. formulierten und behandelten
Themas foll fpeziell der Blick auf Wellhaufens Arbeiten
über die Synoptiker geführt haben (24). Daher auch
die Auseinanderfetzung mit Wellhaufen (30—57) einen
fehr wichtigen Teil der Unterfuchung in Anfpruch nimmt,
während die Prüfung der Pofition Wredes (25—30) und
Tröltfchs (57—63) weniger umfaffend und eingehend ift.

Die von Sch. aufgeftellte Thefe ifi m. E. in ihrer
allgemeinen Faffung richtig: das Evangelium der Urge-
meinde von Jefus ift aus dem Evangelium Jefu von fich
felbft erwachfen; es befteht ein prinzipieller Einklang
zwilchen dem Urteil der Bekenner Jefu über ihn und
feinem eigenen Urteil über fich (19). Die Verneinung
diefes Satzes fcheint mir wie dem Verf. zugleich ge-
fchichtlich unbegründet und religiös gefährlich. Dagegen
dürfte die nähere Ausführung und Begründung der Thefe

Lebens Gottes, dann hat er fich als den Chriftus Gottes
gewußt'. So ift die Frage des Meffiasbewußtfeins Jefu von
der Seite feines Macht- oder Königsbewußtfeins her zu
beantworten. Nicht weniger anfechtbar ift derVerfuch, das
Verhalten Jefu gegenüber der Meffiasfrage zu erklären:
warum hat Jefus die Verhüllung feiner eigenen Meffianität
dem Gros des Volks gegenüber geboten? Mit dem Hinweis
auf die pädagogifchen Rücklichter] Jefu ift diefes
Verhalten nicht in erfchöpfender Weife erklärt. Im An-
fchluß an Kögel, verfichert uns Sch., daß ,die Verhüllung
der Meffianität Jefu im tiefften Sinne des Wortes heils-
gefchichtlich oder offenbarungsgefchichtlich notwendig
war. Jefus hätte die Menfchen, d. h. den beherrfchenden
Zug ihres Lebens, nicht kennen müffen, wenn er nicht
gewußt hätte, die Menfchenwelt unterwirft fich dem
Namen und Willen Gottes nicht, weder feinem gnädigen,
vergebenden, noch feinem fordernden Willen. Aus diefer
Gewißheit ergibt fich für Jefus die weitere Erkenntnis,
daß die Art, wie er für das Gros der Menfchen das
Reich Gottes aufrichtet oder Gott zur Herrfchaft bringt,
das Straf- oder Verderbensgericht ift. Indem er fich
als den Meflias weiß, weiß er fich demnach als den, der
die Welt im ganzen richterlich verwerfen muß. Jetzt
haben wir den Schlüffel, weshalb er feine Meffianität

vielfachen Widerfpruch hervorrufen. verbarg. Er wollte und follte nicht fofort das Gericht
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß S. das I an der widerftrebenden Menfchheit vollziehen. Er wollte
Verfahren der Erlanger nicht nur wie Hofmann und ! zuvor lehrend, helfend und leidend die Glieder der Menfch-
Frank es vertreten, fondern auch wie neuerdings Jul. ! heit, welche fich in Gottes Reich einführen laffen würden,
Kögel es weiter gebildet hat, zurückweift. ,Von der gewinnen' (34—35). Leider hat der Verf. keinen einzigen
Realität meines neuen Ich, fagen jene, meiner innern Text aus den Synoptikern zur Begründung diefer Kon-
Erfahrung aus kann ich den Schluß auf die gefchicht- | ftruktion beigebracht. Allerdings würde es ihm wohl
liehe Realität des fynoptifchen Jefus machen, von dem 1 nicht leicht gewefen fein. — Bei allen beachtenswerten
fie ausgeht'. ,In den fynoptifchen Evangelien, fagt Kögel, Bemerkungen, die Sch. gegen Wellhaufens Erklärung ge-
tritt uns ein Jefus entgegen, der bei aller heiligen Gegner- | macht, ift es doch fehr fragwürdig, ob die Hypothefe diefes
fchaft gegen die Sünde doch in Gottes Vollmacht und t Gelehrten auf einen zutreffenden Ausdruck durch das Ur-
aus Gottes Geift der gnädige Freund und Genoffe der j teil gebracht worden ift: ,Ift diefer Weg wirklich der rechte,
Sünder ift. Das Paradoxe an der Erfcheinung diefes dann bedeutet er an diefem entfeheidenden Punkt der Ge-

Jefus ift die Gewähr, der Erweis feiner Gefchichtlichkeit. ! fchichte den Sieg des Entwickelungsgedankens' (45). _

Sein durchgehender Gnadencharakter, der mit feinem Die letzten Seiten der Sch.fchen Schrift find einer allerdurchgehenden
richterlichen Ernft gepaart ift, bürgt für 1 dings fehr fummarifchen Auseinanderfetzung mit Tröltfch
feine gefchichtliche Realität'. Sch. findet mit Recht, daß 1 gewidmet. Wie kann von Abfolutheit des Chriftentums
diefe Pofition, die Cremers Gedanken wieder aufnimmt, die Rede fein, wenn es doch ein Gebilde der Gefchichte
daß man mit hiftorifchen Tatfachen vom Gewiffen aus ift? Antwort: Jefus verkündigt fich als den Machthaber
fertig wird, weder das Intereffe des Glaubens befriedigt, j über die Welt. Indem er diefe Macht in Anfpruch nimmt,
noch der hiftorifchen Einficht genügen kann. Vielmehr legt er fich Abfolutes und Abfolutheit bei . . . Jefu Natur

müffe die hiftorifche Unterfuchung bei der Entwickelung
des Selbftbewußtfeins Jefu einfetzen. ,Das Selbftbewußt-
fein Jefu ift der letzte, notwendige Punkt, auf den wir
hier flößen müffen' (20). Zur Feftltellung diefer Tatfache
greift der Verf. auf die in feiner Studie ,Die Chriftologie

gebundenheit löft feine Abfolutheit nicht auf ... Ift
fich doch Jefus bewußt gewefen, daß er feine leibliche
Ohnmacht und Gebundenheit nicht wie ein ehernes Gefetz
an fich trug, dem er fich nicht entwinden konnte. Er
hätte jeden Augenblick die Macht, welche er über den

der Bekenntniffe und die moderne Theologie 1905' aus- Naturlauf befaß, auf fein eigenes Naturleben anwenden,
gefprochenen Gedanken zurück (f. Theol. Ltztg. 1906, 1 er hätte wirklich fich von der Zinne des Tempels herun-
Nr. 5). Von dem bereits dort behaupteten Standpunkt , terlaffen, er hätte wirklich, wie er fterbend am Kreuze
aus prüft Sch. die Löfungsverfuche Wredes und Well- j hing, herunterfteigen können. Er wandelt ja auch auf
haufens. ,Sie find die maßgebenden verneinenden Geifter, 1 dem Meer. Die Naturgebundenheit Jefu hat immer etwas
welche es hier zu beachten gilt, jeder in feiner Weife, ! Freiwilliges an fich' (59—61). Wie fteht es aber mit
Wellhaufen der ungleich umfaffendere und doch auch I der fittlichen Abfolutheit Jefu? Zur Beantwortung diefer
gefchichtlich vorfichtigere' (24). Der Wert der Sch.fchen Frage befchränkt fich Sch. auf die Deutung des Wortes
Schrift liegt in ihren polemifchen Ausführungen; er hat j Jefu an den reichen Jüngling (Mk. 1017f. Vgl. die oben
gegen Wrede und Wellhaufen eine Reihe wirklich treffen- angeführte Schrift des Verf.s S. 107). Als möglich läßt
der Inftanzen ins r"eld gefuhrt, die auch dadurch ihre | er die von Beza und vielen anderen vorgefchlagene ErKraft
nicht einbüßen, daß fie in einen weiteren Zufam- ' klärung gelten: ,das Gutfein in ruhender Vollkommenheit
menhang pofitiver Ausführungen eingeflochten find, die ' ift nur bei Gott; Er felbft ift fo doch nur der Gute, daß
keineswegs überzeugend genannt werden können. Zu : er es immer, auf dem Wege des Gehorfams wird' (63).
diefen problematifchen Sätzen rechne ich namentlich die Als das ,wahrfcheinlichfte'fcheine ihm indeffen folgendes:
bereits in der Schrift von 1905 aufgeftellte Behauptung. I ,Wir haben es mit einer Äußerung der Demut Jefu zu
daß der fynoptifche Chriftus ein ,weltumfaffendes Macht- tun, die durch die eigentümliche Haltung des reichen
bewußtfein' gehabt habe. ,Hat man aber das weltum- , Jünglings motiviert ift. Der Jüngling hat fleh mit Um-
Paffende Königtum Jefu, dann hat man feine Meffianität. gehung Gottes an Jefus herangemacht: Guter Meifter,
'Jer Chriftus ift der König. Und zwar der König der I was muß ich tun, daß ich das ewige Leben erbe? jefus
Welt. Wußte fich Jefus im Befitze weltumfpannender, weift ihn mit ganzer Energie auf Gott, den er beifeite

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