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Ausgabe:

1907 Nr. 17

Spalte:

475-478

Autor/Hrsg.:

Holtzmann, Heinrich Julius

Titel/Untertitel:

Das messianische Bewußtsein Jesu 1907

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 17.

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babylonifchen Siebenertage, ein böfer Tag gewefen fei, I
an welchem man eben darum nichts unternommen habe.
Die babylonifchen Siebenertage feien überhaupt nicht
Unglücks-, fondern Bußtage gewefen (S. 124). Der bi-
blifche Sabbat aber trete überall als feftlicher Ruhetag
mit unzweifelhaft freudigem Charakter auf (S. 125). Trotzdem
weift aber Hehn felbft auf Züge in den Sabbatgeboten
hin, die an den düfteren Tag der Babylonier
erinnern (S. 122, 123). Der Zufammenhang wird alfo
doch enger fein als Hehn zugeben will. Andererfeits
ift freilich die Selbftändigkeit der Entwickelung auf
hebräifchem Gebiete fchon dadurch deutlich gekennzeichnet
, daß hier der urfprüngliche Zufammenhang mit
den Mondphafen aufgegeben ift und die fiebentägige
Woche ohne Rückficht auf diefe weiter rollt.

Göttingen. E. Schür er.

Zu den Teftamenten der zwölf Patriarchen.

Unter dem Titel ,An early source of the Testaments of j
the Patriarchs' haben im April-Heft der Jewisli Quarterly
Review (Nr. 75 S. 566 b) die Herren Charles und Cowley
aramäifche Stücke, die aus einer Genizah stammen,
herausgegeben.

Sie find der Meinung, daß in ihnen die Quelle vorliege
, aus der fowohl der Autor des Buchs der Jubiläen
als der der Teftamente der 12 Patriarchen gefchöpft haben
und daß diefe Texte nicht fpäter als 150 v. Chr. Geb.
angefetzt werden dürfen.

Indem ich auf eine bald zu veröffentlichende eingehendere
philologifche Behandlung diefer immerhin inter-
effanten Dokumente verweife, möchte ich zur Aulklärung j
weiterer Kreife hier nur feftftellen, daß der aus der Genizah
flammende jüdifch-aramäifche Text zweifellos erft
eine Übertragung aus einem fyrifchen Original ift.
Diefe Annahme wird zwar fchon durch die im Jüd.-Aram.
fehlenden Wörter SOlSnS. 573 I.3 (fyr. Juniperus' Low,

Aram. Pflanzenn. 64) und K5©15 (S. 574 1. I L KßittW) h.*J
,feines Mehl', auf die die Herausgg. felbft verweifen, fehr
nahe gelegt, ganz ficher aber wird fie dadurch, daß diefe
Texte eine für frühe Zeit ganz unerhörte Mifchung ver-
fchiedener jüd.-aram. Dialekte zeigen. So das paläftin.
Kttn 570,2 neben fonltigem KT!"!, das paläft. lin .wiederum'
572, 12 u. ö. neben fonftigem "PJT. Das Stärkfte aber ift,
daß für ,Monat' (fonft ftets Krn fo auch 575, 2. 10) einmal
Kttnin gebraucht wird (573, 16). Das ift ficher eine
künftliche — lautlich falfch gebildete — Form nach irnh,
die den fpäten Überfetzer verrät. Dergleichen weift auf
fpät- und nachtargumifche Zeit (81 bis io'Jhdt. nach
Chr. Geb.), in der auch andere Übertragungen aus dem
Syrifchen mit nur leichter Retouchierung des Dialekts
des Originals entftanden find.

Daß mit der Feftftellung des urfprünglich fyrifchen
Sprachcharakters diefer Texte auch die Beurteilung der
literarifchen Abhängigkeitsverhältniffe und die Zeit-
anfetzung fich ganz wefentlich verfchieben muß, braucht
für Kenner wohl kaum bemerkt zu werden.

Breslau. Siegmund Fraenkel.

Holtzmann, H. J., Das meffianilche Bewußtfein Jefu. Ein

Beitrag zur Leben-Jefu-Forfchung. Tübingen, J. C. B.
Mohr 1907. (VII, 100 S.) gr. 8° M. 2.60

,Ein rückläufiges Buch eines alternden Theologen',
fo könnte diefe Arbeit, wie der Verfaffer felbft am Eingang
mit einem leifen Anftrich von Selbftironie bemerkt,
beurteilt werden. Vielleicht ift aber das eigentlich
Charakterifche derfelben, daß fie dem Lefer den ganzen
Verfehlung enen Lauf der meffianifchen Forfchung in
lichtvoller, gedrungener Kürze vorführt. Und was den
alternden Theologen betrifft, fo ift er allerdings in der
eigenen Arbeit auf diefem Forfchungsgebiete und in der

Wertung der fremden ergraut, fo fehr, daß in feiner
Perfönlichkeit Alles, Eigenes und Fremdes, harmonifch
verwachfen erfcheint. Es wimmelt in dem Buche von
Anführungszeichen. In den Noten und im Texte begegnet
man überall lehrreichen Auszügen, prägnanten
Formeln, welche in der Entwickelungsgefchichte des
meffianifchen Problems markieren.

Eine Hauptfchwierigkeit der Aufgabe lag in der
Ordnung der weit verzweigten, in ihrer Art und Bedeutung
fehr ungleichmäßigen Materien. Ein chronologifches
Vorgehen hätte fortgefetzte Wiederholungen zur Folge
gehabt und dem Erfaffen der fachlichen Zufammenhänge
Eintrag getan. Aber gerade auf die innere Zufammen-
gebörigkeit der Dinge kam es H. an und er hat fie in
gedrungener und einleuchtender Weife dargetan.

Voran geht eine allgemeine Orientierung über die
neueren Verfuche, den Meffianismus entweder aus dem
Lebensbild Jefu auszumerzen oder ihn feilzuhalten und
feine Eigenart zu beftimmen. Die erfte radikale Alternative
findet ihre hauptfächlichften Stützpunkte in der
Menfchenfohnfrage und in der Kritik des Markusevangeliums
. Ift der Menfchenfohn eine Erfindung der Gemeinde
oder ift das Gefchichtsbild des älteften Evange-
liften überhaupt eine dogmatifche Konftruktion, fo wird
das meffianifche Element im Leben Jefu auf ein Minimum
oder gar auf Null reduziert. In dem Maße als bei dielen
auflöfenden Tendenzen, die Aufmerkfamkeit auf den
Chriftianifierungsprozeß der meffianifchen Idee innerhalb
der Gemeinde hingelenkt wird, gibt man auch den ge-
fchichtlichen Jefus einem hoffnungslofen Dunkel preis.
Man errichtet auf dem apoftolifchen und nachapoftolifchen
Boden intereffante und reichgegliederte Bauten, um es
die Welt nicht merken zu laffen und es zuletzt vielleicht
felbft nicht mehr zu merken, wie wüft und leer es auf
dem Bauplatz des Leben Jefu ausfieht.

Der negierenden Forfchung flehen diejenigen gegenüber
welche für das Wahrzeichen der Meffianität als einer
urfprünglichen gefchichtlichen Größe kämpfen. Die hier
fich einftellenden Abftufungen find mannigfaltiger Art
und werden vom Verfaffer mit Schärfe und Feinheit gezeichnet
. Man läßt das meffianifche Moment entweder
von Anfang an oder erft fpäter, gegen Schluß der Laufbahn
Jefu, wirkfam werden. Die Meffianität Jefu wird von
Einigen in jüdifchem Sinne gefaßt. Jefus ift der Meffias
,sans p/irasel. Die Mehrzahl der Forfcher denkt lieber
an eine indirekte Meffianität, welche nur die zeitlich
bedingte Form des religiöfen Ideals Jefu darfteilt. Im
Gegenfatz gegen die beiden letzteren Betrachtungen fleht
die Theorie von dem proleptifchen und futurifchen
Meffianismus. Als äußerfte Konfequenz reiht fich hier
der Eschatologismus von A. Schweitzer an, der ein
uranfängliches Hinftreben Jefu zu dem übermenfehlichen
Ziele mit um fo gewaltigerer Stimme verkündigt, als es
fich weniger durch einleuchtende Gründe dem hiftorifchen
Urteil von felbft aufdrängt.

Die exegetifchen Grundlagen für die Meffianität
werden mit befonderer Rückfichtnahme auf die von A.
Merx dagegen erhobenen Inftanzen unterfucht. Unter
den wichtigften hier behandelten Momenten ragen hervor
der Einzug in Jerufalem, die Davididenfrage und der
Prozeß Jefu. Ob man die gefchichtlichen Höhepunkte
feines Lebens oder feine Äußerungen in Bezug auf
Gefetz und Sitte oder feine ganze Haltung in den Konflikt
- und Heilungsberichten ins Auge faßt, Alles weift
auf die Meffianität als auf den tragenden Untergrund
feines Dafeins. Steht die Tatfache felber feft, fo ift hingegen
das ,Wie' diefer Meffianität fehr fraglich. Ohne
Rekurs auf Pfychologie wird man hier nicht auskommen
und die Berechtigung folcher Methode innerhalb gewiffer
Schranken wird trefflich dargetan. Nur mittelft Divina-
tion find z. B. Probleme wie die Geburtsftunde des Mel-
fiasbewußtfeins (Taufe, Verfuchung, Verklärung), die Motive
der meffianichen Zurückhaltung, der Sinn der Namen