Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1907 Nr. 16

Spalte:

468

Autor/Hrsg.:

Baumgartner, Eugen

Titel/Untertitel:

Geschichte und Recht des Archidiakonates der oberrheinischen Bistümer 1907

Rezensent:

Frantz, Adolf

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

467

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 16.

468

gänglichen Hahnen ein; aber es ift zu bedauern, daß der
Verf. diefe Spur nicht in allen Teilen feiner gehaltreichen
und anregenden Schrift mit gleicher Konfequenz und
Fertigkeit verfolgt hat.

Straßburg i. E. P. Lob dein.

Kabilch, Sem. Dir. Lic. M. R., Das Gewiifen, lein IMprung
und feine Pflege. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht
1906. (66 S.) 8° M. 1 —

Nach einigen einleitenden Seiten über die Bedeutung
des Problems und über die dasfelbe behandelnden Vorarbeiten
, unterwirft K. das Gewiffen einer dreifachen
Betrachtung, einer pfychologifchen (10—25), einer hiftori-
fchen (26—36) und einer metaphyfifchen (37—51), um
dann, ,als Frucht der Unterfuchung', die praktifche Frage
nach der Pflege des Gewiffens (51—66) zu erörtern. —
Zur Phänomenologie des Gewiffens liefert die Erfcheinung
des rügenden Gewiffens am erften den Anfchauungsftoff.
Das Gewiffen ift zunächft ein Gefühlsvorgang; die Vor-
ftellungen und Urteile, die es veranlaßt, find ein fekun-
däres Element. Dasfelbe gilt auch von dem Gewiffen,
wenn es nicht rügend, fondern lobend auftritt. Nicht
anders verfährt das vorlaufende Gewiffen. Hiezu fügt
der Verf. noch ,eine Kategorie des Gewiffens, die bisher
keine Beachtung gefunden hat', nämlich ,das aneignende
Gewiffen, eine Tat der Seele, vermöge deren neue uns
entgegentretende Maximen als fittlich angeeignet oder
als unfittlich verworfen werden'. In den weiteren hiftori-
fchen Ausführungen zeigt K. fehr treffend, daß zwifchen
dem durch die Pofitiviften im Intereffe der Relativität
geltend gemachten Entwickelungsgedanken und der absoluten
Verbindlichkeit der Gewiffensforderungen ,gar
kein Gegenfatz beliehen müffe'. ,Vollends gegen den
kategorifchen Imperativ in feiner Notwendigkeit und
Allgemeingültigkeit ift durch die hiftorifche Betrachtung
gar nichts vorgebracht. Aus dem ganzen Material, das
den Naturmenschen als jenfeits von gut und böfe er-
weifen foll, erhellt nichts andres, als was Kant nicht
müde geworden ift, zu betonen: die Formalität des
Sittengefetzes. Und wie des Sittengefetzes, fo feines
Organs in der Einzelfeele: des Gewiffens. . . . Dies ift
der einzige Fortfehritt auf dem Gebiet fittlicher Erkenntnis
, daß der Begriff der Allgemeinheit, der Kreis lebendiger
Perfönlichkeiten, immer weiter gezogen und das
wahrhaft Heilfame immer klarer erkannt wird'. Indeffen
deckt fich des Verf.s Auffaffung vom kategorifchen Imperativ
nicht in jeder Beziehung mit derjenigen Kants;
vielmehr gibt K. dem Imperativ ,bei aller Formalität
doch infofern einen materialen Grund, als eben ein
Zweckobjekt, das Wohl der Gefamtheit, feinen Inhalt
benimmt'. Nur der Fortfehritt in der Erkenntnis des
allgemeinen Zweckobjekts führt einen Wandel in dem
Inhalt diefes formalen Gefetzes herbei. — Die hiftorifche
Betrachtung führt uns zu der Grenze, wo die metaphy-
fifche Frage anhebt. Der empirifche Menfch befteht
mit der Anlage, Gefühle zu empfinden, die fein Handeln
fo zu beeinfluffen geeignet find, daß allgemeine Zwecke
dadurch gefördert werden. Und fo können wir die letzte
Definition geben: das Gewiffen, ein wefentliches Merkmal
des empirifchen Menfchen, ift die im Selbftgefühl der
Einzelfeele fich vollziehende Verwirklichung des Allgemeinen
als des Notwendigen. Das Allgemeine aber,
foweit es als unbedingt notwendig gedacht wird und in
lebendiger Geiftwirkung fich äußert, wie follen wir es
anders bezeichnen, als mit dem Namen Gottes des
heiligen Geiftes?' — Zuletzt wirft K. die Frage auf: diefe
fo erhabene Erfcheinung im Seelenleben des Menfchen,
wie ift fie zu pflegen von denen, die in Stellvertretung
des Allerhöchften das Wohl und Wehe der Menfchen-
feelen auf dem Herzen tragen? Da das Gewiffen ein
Gefühlsvorgang ift, fo ift zunächft jede Gefühlspflege

eine Vorbereitung der Gewiffenspflege; infonderheit ift
die Pflege des religiöfen Sinnes der Mutterboden, auf
dem die Gewiffenspflege erft ihre edelften Früchte zu
zeitigen vermag. Zur Gewiffenspflege gehört endlich
die Gewiffensentlaftung. Diefelbe liegt einerfeits in der
richtigen Normierung und der unaufhörlichen Kontrolle
des Gewiffensinhaltes, andrerfeits in der richtigen Schätzung
des Gewiffens felbft. Auch hier ift der erlöfende
Schritt vom Chriftentum getan, ja es liegt gerade hier
der Kern der Erlöfung, die durch Jefum geschehen ift.
In bewegten Schlußworten gibt der Verf. denjenigen,
welchen die Pflege des Gewiffens als der göttlichen
Stimme am Herzen liegt, den Rat: ,einen Tropfen weniger
von Goethe, vor dem felbft Kluge zuweilen taumeln,
und einen tiefen Trunk aus dem Geift des fcharf Ent-
fchiedenen, des feft Entfchloffenen, des Gotteskämpfers
den man vergebens wird fcheiden wollen von feinem
Herrn, dem Geift des Paulus' (66). — Dies die Gedanken
der Schrift des gründlich unterrichteten, nicht nur die
einfehlägige Literatur bis auf die neuefte Zeit beherr-
fchenden, fondern die fittlich religiöfen Erfcheinungen
felbftändig und unmittelbar beobachtenden und beurteilenden
Verfaffers. Ablichtlich hat er die biblifch-theolo-
gifche Seite der Frage außer Betracht gelaffen; dagegen
hat er die Ergebniffe der Naturwiffenfchaft und vor allem
der neueren Pfychologie zu Rate gezogen; feine Anknüpfung
an Wundt und feine Auseinanderfetzungen mit
ihm gehören zum Intereffanteften diefes Büchleins, das,
aus einem in Kiel gehaltenen Vortrag entftanden, gewiß
auch in diefer Form aufmerkfame und dankbare Lefer
finden wird.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Baumgartner, Lehramtsprakt. Dr. jur. et phil. Eugen,
Gefchichte und Recht des Archidiakonates der oberrhei-
nifchen Bistümer mit Einfchluß von Mainz und Würzburg
. (Kirchenrechtliche Abhandlungen. Herausgegeben
von U. Stutz. 39. Heft.) Stuttgart, F. Enke
1907. (XVI, 224 S.) gr. 8° M. 8.20

Über die Archidiakonate exiftiert aus neuerer Zeit
eine Reihe Unterfuchungen, die fich meift auf die Ver-
hältniffe beftimmter Diözefen befchränken. Das Gleiche
ift, wie fchon aus dem Titel hervorgeht, auch bei der
vorliegenden Abhandlung der Fall. Verf. gibt zunächft
einige kurze Ausführungen über den Archidiakonat der
alten Kirche, wobei er im wefentlichen den Forfchungen
von Leder (Kirchenrechtliche Abhandlungen, herausgeg.
von Stutz, Heft 23 u. 24) folgt. Sodann behandelt er
die Entwickelung der Archidiakonate in Konftanz, Bafel,
Straßburg, Speier, Worms, Mainz, Würzburg und gibt
anhangsweife einige Notizen über Trier und Salzburg.
Des weiteren geht er dazu über, die rechtliche Stellung
der Archidiakonen zu beleuchten und den Umfang der
von ihnen geübten Befugniffe feftzuftellen, wobei auch
die denfelben zufließenden, nicht unbeträchtlichen hinnahmen
erörtert werden. Den Schluß bildet eine Überficht
über die Reaktion von feiten der Bifchöfe gegen
die Machtfülle der archidiakonalen Gewalt. Wenn auch
die Schrift in den Hauptpunkten nichts fonderlich Neues
bringt, fo bietet fie doch bemerkenswerte Einzelheiten
wie auch eine überfichtliche Zufammenftellung bez. Verarbeitung
des bisherigen umfangreichen Materials, fo daß
die vom Verf. im Vorwort ausgefprochene Hoffnung,
daß feine Ausführungen die Kenntnis des für die Entwickelung
des kirchlichen Rechtslebens fo wichtigen
Inftituts erweitern werden, nicht ohne Berechtigung ift.

Kiel. FTantz.