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Ausgabe:

1907 Nr. 1

Spalte:

21-24

Autor/Hrsg.:

Scheel, Otto

Titel/Untertitel:

Die dogmatische Behandlung der Tauflehre in der modernen positiven Theologie 1907

Rezensent:

Lobstein, Paul

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2 I

Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 1.

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heit mit ihm berufene Perfönlichkeit ift die Erfüllung
aller Weisfagungen der Religionen, infonderheit der
chriftlichen. Keineswegs ift aber ein folcher Rückzug
auf das ,Eins ift not' im Sinne einer Zurückfchraubung
auf die biblifchen Anfänge des Chriftentums zu verftehen,
da jener allein maßgebende. Geift Chrifti fortwährend
am Werk ift, aus Menfchen Übermenfchen, Gotteskinder
zu fchaffen und den Katholizismus zu einer univerfalen
Religion auszuweiten, welche den ganzen religiöfen Prozeß
der Menfchheit in fich aufnimmt und verarbeitet. In
diefem Sinn fei der Gedanke der Tradition zu verftehen
(dazu darf der Unterzeichnete auch heute noch auf
,Kanon und Tradition' vom Jahr 1859 § 59 verweifen).
Ein Werk diefes Geiftes ift infonderheit das fich ftetig
vertiefende Verftändnis der zentralen Bitte des Vater-
unfers um das Kommen des Reichs. Der jüdifche Begriff
der Gottesherrfchaft ift nur der Rohftoff, daraus
Jefus fein fortfchreitender Verwirklichung entgegenreifendes
Ideal einer communio sanctorum formte, deren
äußere, gefchichtliche Erfcheinung die chriftliche Zivili-
fation ift. Dazu aber gehört als Organifation der religiöfen
Funktionen auch die Kirche, die man fich fchlechter-
dings gefallen laffen muß, weil, wer Waffer fchöpfen
will, ein Gefäß braucht. Aber eine Übertragung des
Satzes /etat c'est moi' auf das Verhältnis zur Kirche
kann nur dienen zur Bezeichnung der Stellung, welche
Chriftus einnimmt — alfo nicht der Papft. Zitiert wird
neben Kirchenvätern zuweilen Thomas a Kempis, und wie
das ganze Werk fich wie ein Andachtsbuch lieft, fo
hinterläßt es insbefondere den Eindruck, einen Erfatz
der Jmitatio' im Geift der modernen Religiofität für dafür
empfängliche Leferkreife bilden zu follen.

Baden. H. Holtzmann.

Scheel, Priv.-Doz. Lic. Otto, Die dogmatifche Behandlung
der Tauflehre in der modernen politiven Theologie. Zum

Teil Sonderabdruck aus der ,Zeitfchrift für Theologie
und Kirche', Jahrgang 1905. Tübingen, J.C.B.Mohr 1906.
(VIII, 258 S.) gr. 8° M. 4.50

Die hier vorliegenden Unterfuchungen find zum
größten Teil ein Sonderabdruck aus der Zeitfchrift für
Theologie und Kirche (Jahrgang 1905, S. 273 — 376,
44!—515), Sie bilden einen ,entlaftenden Ausfchnitt'
aus einem größeren, vorausfichtlich in Jahresfrift erfchei-
nenden Buch über ,die dogmatifche Bewegung in der pofi-
tiven Theologie feit Hofmann'.

Wie man die Lehre vom Abendmahl,den Exponenten
der dogmengefchichtlichen Entwickelung' genannt hat,
fo läßt fich diefes Urteil auf die Lehre von den Sakramenten
überhaupt, fpeziell aber auch auf die Tauflehre
übertragen. Es darf dies um fo eher gefchehen, als
innerhalb des evangelifchen Chriftentums die Rechtfertigung
der Taufe als eines Sakramentes immer wieder
aufs neue verfucht ift, man alfo gerade hier der Schwierigkeit
fich bewußt worden ift, die darin befiehl, den
fakramentalen Charakter der Taufe, insbefondere der
Kindertaufe, mit den Grundgedanken der Reformation
zu vereinigen. Je energifcher man diefe geltend machte,
defto gefährdeter erfchien der fakramentale Charakter
der Taufe; je mehr man den Zufammenhang des religiöfen
Lebens mit der Gnadenverkündigung des Evangeliums
ins Auge faßte, defto unficherer wurde im Ge-
famtentwurf die Stellung eines befondern Sakraments
der Wiedergeburt und Erneuerung; je mehr man das
Chriftentum als die Religion des Geiftes und der Wahrheit
, analog den großen geiftigen Bewegungen verftehen
lernte, defto problematifcher erfchien die überkommene
Rechtfertigung der fakramentalen Kindertaufe. So gehaltet
fich denn das Lehrftück von der Taufe zu einem
Kampfplatz, auf dem die Meinungen hart aufeinander
prallen' (4—5).

Die hier angedeuteten inneren Widerfprüche treten
bereits in der Tauflehre der altorthodoxen Dog-
matik hervor, die der Verf. einer gründlichen und fcharf-
finnigen Analyfe unterwirft (6—80). Hierauf geht er zu
dem den Grundftock feiner Arbeit bildenden Gegenftand
über (81—258).

Die erfte Gruppe der Theologen, welcher die Unter-
fuchung des Verf.s gilt, umfaßt folche, die die altpro-
teftantifche Tauflehre auf der Grundlage theofophifcher
Motive weiterzubilden fuchen (81—132). Diefe Verfuche
find befonders in norwegifchen und dänifchen Kreifen
zu Haufe, die uns Sch. in dankenswerter Weife näher
bringt. Sie find aber, namentlich durch Martenfens Ver-
mittelung, auch in Deutfchland eingedrungen. Mit Recht
hebt Sch. den unlutherifchen Charakter diefer Theorie
hervor. Sie gibt das bezeichnende Merkmal der luthe-
rifchen Gnadenlehre völlig preis: lehrt fie doch wiederum
die Gnade als eine Naturkraft verftehen; damit ift, ab-
gefehen von ihren fonftigen Widerfprüchen und mannigfachen
Unklarheiten, über fie das Ürteil gefprochen.

Einen zweiten Verfuch, die altproteftantifche Tauflehre
umzubilden (132—184) unternehmen Theod. Kaftan,
Althaus, H. Cremer. Indem fie die ,foteriologifche' Deutung
des Wiedergeburts- und Erneuerungsbegriffs der
alten Dogmatiker bei fchließlichem Feflhalten am Sakramentsmotiv
zur Geltung bringen, (teilen fie den Theologen
vor Probleme, die nicht gelöft werden können oder die
im Rahmen der evangelifchen Dogmatik nicht geduldet
werden dürfen.

Hatten fich diefe Verfuche als undurchführbar her-
ausgeftellt, fo mußten andere Wege eingefchlagen werden.
Eine der Hauptfchwierigkeiten, an welchen jene Theorien
gefcheitert waren, lag in dem Widerfpruch zwifchen der
Rechtfertigung des Sakramentsmotivs und einer damit
zufammenhängenden Identifizierung von Kindertaufe und
Erwachfenentaufe. Es erfchien daher ,das Nächftliegende
zu fein, durch Abftriche geringerer Art die größten
Hinderniffe zu befeitigen und auf Grund der alfo vorgenommenen
Reduktion des Problems Herr zu werden'
(184). So wiefen Bunke, Stöcker, Saul, unter Beibehaltung
des Sakramentsbegriffs, der Kindertaufe eine andere
Stellung als der Erwachfenentaufe zu: jene müffe auf
das Sakrament der Anwartfchaft oder Berufung zum
Heil reduziert werden (184—197), eine Kompromislöfung,
welche den heftigften Proteft Cremers, Hardelands u. a.
hervorriet.

Im Gegenfatz zu letztgenanntem Reduktionsverfuch
beantragen Hardeland und Romberg eine einfache Re-
priftination der altlutherifchen Tauflehre (197T). Wird die
zunächft unterfchiedlofe Kinder- und Erwachfenentaufe
als das Sakrament der Wiedergeburt und Erneuerung
angefehen, fo muß fich das Intereffe diefer modernen
Repriftination um die Theorie vom Kinderglauben konzentrieren
. Die anfpruchsvollen religionspfychologifchen
Erörterungen über diefen Glauben, den man unter der
Flagge des Geheimnisvollen und Übervernünftigen in
der Religion zu retten hofft, gelangen fchließlich doch
zu dem Bekenntnis, daß man vor einem Rätfei ftehe,
und find den altproteftantifchen Theorien in keinerlei
Weife überlegen.

Das Buch fchließt mit einer Charakteriftik der Sakra-
mentslehre M.Kaehlers, ,die freilich auf eine befondere Betrachtung
der Sakramente nicht verzichtet, die aber (o
referviert fich verhält, daß man von ihr aus den Übergang
mag finden können zu der Pofition, die, wenn ich
recht fehe, eine wirkliche Überwindung der Schwierigkeiten
verheißt' (228). — In der Tat fchließt fich das
dogmatifche Ergebnis Sch.s vor allem darin an K.s Verfuch
an, daß es mit dem reformatorifchen Gedanken, ,das
Wort fei der Nerv der Taufhandlung' Ernft macht.
Diefes Wort als verbum promissionis ift notwendigerweife
exhibitiv: als wirkfames Gnadenmittel kann die
Taufe dogmatifch nur das Bad der Wiedergeburt den-