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Ausgabe:

1907 Nr. 14

Spalte:

417-419

Autor/Hrsg.:

Guttmann, Julius

Titel/Untertitel:

Kants Gottesbegriff in seiner positiven Entwicklung 1907

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 14.

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Was an dem fpinoziftifchen Syftem impofant oder
achtungswert ift, wodurch es die Geifter gefeffelt hat,
wird man fchwerlich aus diefer Monographie erfchen.
Wer aber von dem Wunfeh erfüllt ift, fich gegen den
Zauber, den es ausüben kann, durch eine nüchterne Ana-
lyfe feiner einzelnen Beftandteile und eine vielfeitige
Beleuchtung zahlreicher Widerfprüche und Detailfehler,
die es enthält, wappnen zu laffen, wird von der Schrift
etwas haben. So mag denn auch die Beurteilung ver-
fchieden ausfallen je nach den Neigungen und Intereffen
des Lefers. Unabhängig freilich von diefen fubjektiven
Dispofitionen bleibt mindeftens eine Ausftellung. Unter
allen Umftänden ift es ein Mangel, daß der Tractatus
tlicologico-politicus außer Acht gelaffen worden ift.
Verf. begründet das damit, daß derfelbe nicht viel mehr
enthalte als ,eine Kritik des alten und neuen Teftamentes
mit einigen Anmerkungen des eigenen Syftems'. Diefe
Schätzung greift zu niedrig. Seine Bedeutung beruht
zum Teil darauf, daß er die Hauptquelle ift für die Kenntnis
der Anfchauungen Spinozas auf dem Gebiet der Reli-
gionspfychologie, einer Disziplin, zu deren modernen
Begründern der Amfterdamer Denker zählt, urd die doch
auch irgendwie zur Religionsphilofophie gehört.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Guttmann, Julius, Kants Gottesbegriff in feiner pofitiven

Entwicklung. (,Kantftudien'. Ergänzungshefte im Auftrag
der Kantgefellfchaft herausgegeben von H. Vai-
hinger und B. Bauch. No. I.) Berlin, Reuther und
Reichard 1906. (III, 104 S.) gr. 8° M. 2.80

Die vorliegende Arbeit Hellt fich die Aufgabe, die
pofitive Seite der Kantifchen Gotteslehre, die gegenüber
der kritifchen Behandlung des Gottesproblems durch Kant
gewöhnlich in den Hintergrund tritt, zu behandeln, indem
fie den Gottesbegiiff Kants in feiner Entwicklung
innerhalb der verfch'iedenen Phafen des Kantifchen
Denkens verfolgt.

Dementfprechend behandelt ein erfter Abfchnitt den
Kantifchen Gottesbegriff während der vorkritifchen Zeit,
zunächft denjenigen der Dilucidatio von 1755, welche
zwar aus erkenntnistheoretifchen Erwägungen den onto-
logifchen Gottesbeweis ablehnt, aber in dem kaum minder
fcholaftifchen Beweis aus der Möglichkeit alles Seins
einen Erfatz dafür bietet, fodann nach einer kurzen Erörterung
des Einfluffes der zu Anfang der fechziger Jahre
eintretenden empiriftifchen Wendung die Theologie der
Disscriatio von 1770, die ihr neues Gepräge durch die
Subjektivierung von Raum und Zeit erhält und dadurch
für Fragen wie die des zeitlichen Hervorgehens der Welt
aus Gott und des Weltanfangs eine neue Löfung fchafft
(S. 3 f.); endlich die Gotteslehre der von Pölitz herausgegebenen
Vorlefungen über Metaphyfik, die mit Heinze
in die vorkritifche Zeit der 70er Jahre verlegt und als
befonders inftruktiv für die Haltung Kants bezeichnet
werden. Noch immer hält er an einzelnen der überkommenen
Gottesbeweife feft, befonders an dem ihm
eigentümlichen Beweis aus der Möglichkeit alles Seins
und dem mit ihm kombinierten Argument, das aus der
eingefchränkten Natur der Dinge ein ihnen zugrunde
liegendes uneingefchränktes Sein folgert. Er ftimmt
auch dem kosmologifchen Beweife zu, fowie dem Beweis
aus der Wechfelwirkung, der aus dem Ineinanderwirken
der Dinge ihre innere Einheit, die Gemeinfamkeit ihres
Urfprunges in Gott erfchließt. Aber er fleht allen diefen
Beweifen ohne rechtes Vertrauen gegenüber (S. 8).

Der zweite Abfchnitt, mit der Überfchrift: ,Der Kan-
tifche Gottesbegriff während der kritifchen Zeit in theo-
retifcher Beleuchtung' fchickt einige Bemerkungen voraus,
mit welchen zu den wichtigften Streitfragen in der Auslegung
der Kantifchen Lehre überhaupt Stellung genommen
wird. Mit Recht wird auf Grund der bisherigen

Diskuffionen des Problems — insbefondere gegen die
| Cohenfche Deutung des Dings an fich als Aufgabe eines
Ganzen der Erfahrung — angenommen, daß Kant die
Exiftenz eines Dings an fich, und zwar nicht bloß aus
praktifchen, fondern auch aus theoretifchen Gründen
wirklich lehrte (S. 22 ff, wobei S. 23 hätte berückfichtigt
werden dürfen, daß für den nur ,problematifchen Wert' des
jNoumenon'derUnterfchied zwifchen der negativen und der
pofitiven Bedeutung desfelben wefentlich ift). In der Dar-
ftellung des Gottesbegriffes der Kritik der reinen Vernunft
wird dann befonders betont, daß die darin gegebene Zu-
rückführung der Notwendigkeit Gottes auf das fubjektive
Prinzip des Unbedingten nicht nur als kaufale Erklärung
der Gottesidee zu verftehen ift, fondern daß in ihr zugleich
auch der Erkenntniswert des Gottesbegriffes, feine
pofitive Bedeutung auf theoretifchem Gebiet begründet
werden foll. Die Gottesidee hat nämlich zugleich regulative
Bedeutung. Wir bedürfen ihrer, ,um unlerer wiffen-
fchaftlichen Forfchung in dem Begriff einer unbedingten,
einheitlichen Welturfache einen fteten Sporn zu bieten'.
Der Verf. gelangt aber zu dem Refultat, daß diefer Ge-
i danke einer regulativen Verwendung der Gottesidee fich
nirgends als fruchtbar erwiefen habe. Je eindringlicher
Kant die wiffenfehaftliche Notwendigkeit eines folchen
regulativen Prinzips erweift, defto ficherer wird die
Wiffenfchaft fich auch ohne die Hilfe des Gottesbegriffes
feiner bedienen. Es ift nicht abzufeilen, wie
folche in ihrer fachlichen Berechtigung ohnehin legitimierten
Vorausfetzungen der Naturbetrachtung, wie der
Gedanke der Einheit des Mannigfachen oder die teleo-
logifche Betrachtungsweife durch ihre Symbolifierung in
der Gottesidee gewinnen follten. Der Gedanke der regu-
1 lativen Bedeutung der Gottesidee ift nur ein Vernich
Kants, dem Gottesbegriff, den er feiner natürlichen und
hiftorifch gegebenen Bedeutung als Abfchluß allen Erkennens
beraubt hat, wenigftens irgend einen Wert für
unfer Ei kennen zu refervieren' (S. 34 f.).

Doch neben diefer Bedeutung des Gottesbegriffes
für unfer empirifches Erkennen facht Kant ihm auch die
Beziehung zu einem objektiven Sein zu erhalten, indem
er an mehreren Stellen den Gottesbegriff als den fich
unferer Erkenntnis entziehenden aber tatfächlich exiftie-
renden Grund des fyftematifchen Zufammenhanges der
Sinnenwelt bezeichnet. Aber abgefehen von den mannigfachen
erkenntnistheoretifchen Schwierigkeiten, die aus
diefem den Standpunkt der ftrengen Immanenz eigentlich
preisgebenden Verfuch erwachfen, bleibt bei diefem
Rettungsverfuch auch von dem Gottesbegriff kaum
etwas übrig. Er verflüchtigt fich zu einem bloßen
unbeftimmten Etwas, das der Erfahrung zugrunde liegt
und von dem wir nichts Pofitives ausfagen können
(S. 41). Der Gedankengang des Verf.s berührt fich hier
nahe mit der Problemftellung, zu welcher Ref. in den
Ausführungen feines Werkes ,Fries und Kant' über ,die
regulativen Prinzipien und die tranfzendenten Hypothefen'
(Fries und Kant, II. Teil, 1906, S. 197 ff.) gelangt ift; nur
daß hier in der konfequenten Verfolgung der regulativen
Bedeutung der Ideen felbft eine .Beziehung zum objektiven
Sein' gefunden wird, nämlich in dem Satz, daß
regulative Prinzipien, eben weil fie Subftrate der von
der Wiffenfchaft anzuftrebenden größtmöglichen Einheit
der Erfahrungserkenntnis liefern, in dem Maße, als fie
dies tun, zu wirklichen Hypothefen werden müffen. Damit
würde fich aus der pofitiven Bedeutung, die Kant
felbft den tranfzendenten Ideen zugefteht, eine hypotheti-
fche Überfchreitung des Erfahrungsgebietes und eine Erkenntnis
des Tranfzendenten innerhalb gewiffer Grenzen
ergeben.

Der dritte Abfchnitt der Schrift behandelt ,den
Kantifchen Gottesbegriff während der kritifchen Zeit in
ethifcher Bedeutung'. Entfprechend feiner Auffaffung der
Kantifchen Lehre vom Ding an fich wendet fich hier der
Verf. gegen Cohens Verflüchtigung der ethifchen Meta-