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Ausgabe:

1907 Nr. 14

Spalte:

413-416

Autor/Hrsg.:

Reinhard, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Prinzipienlehre der lutherischen Dogmatik von 1700 bis 1750 1907

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 14.

414

Diefe Anmerkungen können das Gefamturteil nicht j mus, Sozinianismus, auch der Deismus hier gewirkt haben;
ändern, daß wir hier eine der lehrreichften Padorenfelbd- I mir fcheint dellenweife Lockes Reasonableness, die ja

biographien aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
befitzen, die einen weiten Kreis von Lefern verdient.

Bonn. K. Seil.

Reinhard, Lic. theol. Johannes, Die Prinzipienlehre der lu-
therifchen Dogmatik von 1700 bis 1750 (Hollatz, Buddeus,
Mosheim). Beitrag zur Gefchichte der altprotedan-
tifchen Theologie und zur Vorgefchichte des Rationalismus
. (Studien zur Gefchichte der altprotedantifchen
Theologie von Joh. Reinhard. Heft 1.) Leipzig, A.
Deichertfche Verlagshandlung Nachf. 1906. (VI, 104
S.) 80 M. 2.40

Der Verfaffer fetzt die Unterfuchungen über Ent-
dehung und Wefen der altproteftantifchen Prinzipienlehre
fort, die ich mit meiner Arbeit über ,Vernunft und Offenbarung
bei Melanchthon und Joh. Gerhard' 1891 begonnen
habe, und verfolgt die Ausläufer diefer Prinzipienlehre
bei den letzten Vertretern des Altproteftantismus. Er
hebt hier mit Recht Hollatz, Buddeus und Mosheim als
verhältnismäßig Brenge Fortfetzung der Tradition heraus,
neben denen die Wolffianer eine befondere Stellung

haben und ein den Übergang felbft vollziehender Mann | ift das Wefen der Autorität und Offenbarung,' Dinge zu

auch auf die Einleitung zu Leibnizens Theodizee wirkte,
geradezu zugrunde zu liegen mit dem charakteriftifchen
Ünterfchied, daß für Locke die poftulierten Myfterien
auch fachlich an fich zur Vernunft gehören und nur
übernatürlich geoffenbarte Vernunft darftellen, während
Buddeus auch bei der fachlichen Übernatürlichkeit bleibt,
vor allem um des Opfers und der Genugtuung willen,
die Locke beftreitet. Hierin liegt für Buddeus die Möglichkeit
, in die alte Tradition wieder einzulenken und
die neue natürliche Theologie famt ihren verbefferten
natürlichen Kriterien für die Anerkennung der Offenbarung
doch nur als einen apologetifchen Luxus zu behandeln
. Er fetzt an Stelle eines fupranaturalen Rationalismus
einen rationalen Supranaturalismus.

Ein weiter vorgefchrittenes Stadium zeigt Mosheim,
der die Orthodoxie gleichfalls ftreng, aber weniger aus
innerem Bedürfnis, als aus konfervativer Refpektabihtät
und pietiftifcher Neigung behauptet. Formell eignet er
fich die Definiermethode des kartefianifchen clarc et du
stinete an und betont er die Autorität rein um der Autorität
willen, ohne innere fachliche Notwendigkeit ihrer
Sätze, weshalb er fehr häufig die orthodoxe Formel auf
Grund unferes Nichtwiffens und - Verftchens empfiehlt. Es

wie Pfaff kein begriffliches Intereffe darbietet. bieten, die man nicht verfleht; eben deshalb find auch

Bei Hollatz zeigt fich die ungebrochene altorthodoxe fubtile Lehrdreitigkeiten zu vermeiden als zwecklos, und
Prinzipienlehre mitT der fcholaftifchen Erweiterung und man hat fich bei der Formel als folcher zu beruhigen.
■ * ■-----'----- c.„ r„:* i/r^K.,^v,tv,r,r. „^„r. Nach all diefen Seiten hin bietet Mosheim nur eine ermattete
, formaliftifch gewordene und Lehrftreitigkeiten
durch Vereinfachung aus dem Weg gehende Orthodoxie.
Wenn R. es ihm als Rationalismus anrechnet, daß er zur

pietiftifchen Anhauchung, die fie feit Melanchthon einer
feits und Gerhard andrerfeits angenommen hat.

Buddeus zeigt die technifch damit volldändig überein-
ftimmend dargelegte Autoritäts- und Offenbarungslehre,

neben der aber nicht bloß eine über völlig neue Dis- j Offenbarung auch die bona consequentia aus der Bibel
ziplinen wie Naturwiffenfchaften und Weltgefchichte fich folgenden Sätze heranzieht, fo ift das unrichtig; denn das
erdreckende Vernunftdisziplin fleht, fondern die auch bezieht fich auf die altkirchlichen Dogmen und die fcho-
ihre Anerkennung neben dem testitnpnium Sp. S. reichlich laftifche Eigenfchaftslehre, die auch von den Älteren nur
durch Kriterien und Poftulate diefer Vernunft empfängt. 1 unter diefem Rechtstitel eingeführt worden waren und ein-
Bei ihm ift die Vorausfetzung, ohne die eine ftabile geführt werden konnten. Fortfchrittlich ift hier nur die
Dogmatik im Proteflantismus fo wenig exiftieren kann ; geftarke Betonung des Unterfchieds von Zentralem und
als "im Katholizismus, die ebenfo offizielle Stabilität der Peripherifchem in der Bibel, indem nur das Dogmatifche
Philofophie, bereits wankend. Die Philofophie oder Ver- 1 in ihr göttlich ift, im übrigen aber die Bibel eine menfeh-
nunft umfaßt die neue kaufal- mechanifche Naturwiffen- licheSeite hat, die erfte Wirkung der Bibelkritik. Das eigent-
fchaft, die neue kaufal- analytifche Pfychologie, die neue lieh Neue liegt auch hier in der Apologetik für die Aner-
von der letzteren angeregte Univerfalgefchichte; fie hat j kennung der orthodoxen Offenbarung und ihres ortho-
mit neuen Irrlehren bedeutfamer Art in den modernen doxen Inhaltes. Das testimonium Sp. S., der entfeheidende
Syftemen zu kämpfen und bedarf daher einer Erweiterung Punkt der alten Prinzipienlehre, tritt zurück und wird
und Neuformulierung, die recht im Sinn diefer matten | zur Beglaubigung durch ethifche Wirkungen, die aus
Fortfetzung und Ergänzung der humaniftifchen Philofophie natürlichen Urfachen gewöhnlicher Pfychologie nicht er-
lediglichein verftändiger Eklektizismus ift. Es ift nur nicht klärt werden können. Das Testimonium, das die Infpi-
mefir bloß der Eklektizismus aus den antiken Sekten und { mertheit der ganzen Bibel bis auf Wort und Vokal hatte
etwa dem neu-fcholaftifchen Ariftotelismus, fondern der | bisher beglaubigen müffen, kann diefe Totalbeglaubigung
Eklektizismus der auch die modernen cartefianifchen und j gegenüber einer leife kritifch betrachteten Bibel nicht mehr
nacheartefianifchen Syfteme heranzieht, übrigens äußer- ! leiden. Der Begriff des pfychologifchen Wunders im Gelich
und oberflächlich genug. Von hier aus entwirft die , genfatz zur fondigen pfychologifchen Gefetzlichkeit taucht
neue Philofoohie noch weitergehende Podulate über Not- 1 auf, laßt fich aber dann nur mehr auf die natürlich angeb-
... " _ . . ,^,0 , 1 r _ j* ^ifQ lif-hniVtif^rUla^K^-£,n^fi-,;c-v,-Qi:^:xr— r>_________1 • 7

wendigkeit und Art der Offenbarung, als fie die alte
Lehre' von der Lex naturae fchon entworfen hatte, zeigt
de Kriterien zur Unterfcheidung vorgeblicher und wirklicher
Offenbarungen oder zur Beurteilung der Religions-
gefchichte, leitet de zur Auffuchung einer Übernatur

lieh nicht erklärbaren ethifch-religiöfen Regungen beziehen.
Auch die alten criteria humana externa et interna treten
zurück und aus ihnen hebt fich einerfeits das Naturwunder
im Gegenfatz gegen das Naturgefetz als entfeheidende
Beglaubigung heraus, und tritt andrerfeits für das Ge-

"b r' hühtP an ein fchchenfein diefer Wunder die ganze philologifch-hidon-
lichen und natürlichen OffenbarungsgelcnlcnlP ' der fcne Gelehrfamkeit der neuen Bibelforfchung und Kir-
univerfalgefchichtlicher Horizont und ein a chengefchichte ein, die die Entdehung und Aus-

(nach dem Sündenfall einfetzenden) ^ntWiCKClu«B » ; breitun„ des Chriftentums als nur durch Wunder erklär-
den der Horizont des Altproteftantismus 10 ^DtgcK- ^ ^ ^ Wunder der Bjbel als auch nach menfch-
hatte. Immerhin aber id an diefen ratl°n*{f" weiteres Heben Begriffen durch gute gefchichtliche Uberlieferung
turalismus dann doch ganz einfach una on bezeugt erweifen. Auch hier geht Reinhard leider wenig

die altorthodoxc Autoritätslehre angeklebt una a { ^ ^ Ejnflüffe ein> die Mosheim zu diefer Pofition ge-

in alter Weife die Dogmatik entwickelt, als od haben. Er fieht darin nur ein Erlahmen der fach-

gefchehen wäre. Das Intereffantede ™eröei ™art bier , hch übernatürlichen Erfülltheit durch Geid und Gehalt
Nachweis der auf Buddeus einwirkenden ^raue' eg der Bibel und daher einen Rückzug auf äußere Kriterien
freilich gibt Reinhard nur fehr dürftige "ngaoe: , , ^ bJoß forme]1 aut0ritätsmäßig behaupteten Orthodoxie,
wäre fehr intereffant zu fehen, wie Grotius, Arminianis