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Ausgabe:

1907

Spalte:

409-413

Autor/Hrsg.:

Dalton, Herrmann

Titel/Untertitel:

Lebenserinnerungen. 2 Bände 1907

Rezensent:

Sell, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1907 Nr. 14.

gefchrieben; ich ließ deshalb den Bifchof von Mainz j dem nie flockenden Redefluß, in der herzhaften Schlagfragen
, ob er glaube, daß ich in meinem Haufe meinen | fertigkeit des Wortes und in der freireichsflädtifchen
Feinden die Waffen gegen mich felbft in die Hände geben | Unabhängigkeit der Gefinnung, die fleh auch den Großen
folle. Übrigens habe ich ihm die ganze Kifte mit den der Erde gegenüber den Mund nicht verbinden läßt! Der
Büchern zuftellen laffen mit dem Bemerken, er möge ! deutfehe Paftor ift im fernen Rußland, das er amtshalber,
fleh vor das Kruzifix niederwerfen und vor demfelben als Vifitator der dem Konfiftorialbezirk St. Petersburg

überlegen, was er mit der Schrift zu tun habe' (p. 40)
Diefe bis jetzt unbekannte fcharfe Bemerkung läßt auch
manche andere päpflliche Worte über die unbequemen
Bifchöfe der Minorität als glaubwürdig erfcheinen, um
fo mehr als fleh Granderath felbft über diefe inneren
PTeigniffe faft völlig ausfehweigt und fogar der ominö

unterftellten reformierten Gemeinden halb durchreifen
mußte, doch der warmherzige deutfehe Patriot geblieben,
zu der ihn Haus und Schule erzogen hatten; als Theolog
ein Schüler von K. J. Nitzfeh und begeifterter Anhänger
der Wichernfchen inneren Miffion, ifl er ein richtiger Vertreter
des Gedankens der evangelifchen Allianz geworden,

feften Behauptung Pius IX in feiner Unterredung mit i mit ihrer die Formeln der ökumenifchen Bekenntniffe mit
Philippus Guidi ,die Tradition bin ich' (Friedrich III p. I dem evangelifchen Chriftentum für identifch haltenden,
1113 f.) kein entfehiedenes Dementi entgegenzufetzen wagt j innerhalb diefer Grenzen aber weitherzigen, überall auf
(p. 397 f.) Auch die Rede des Kardinals Guidi, an der Werke der Liebe dringenden internationalen, interkonfef-
Granderath die Unzuverläffigkeit der Döllingerfchen Be- [ flonellen und die Enge alles Staatschriflentums weit hinter

fleh laffenden praktifchen Frömmigkeit. Gewiß eine anziehende
Erfcheinung und ein richtiges Vorbild für unfere
Diafporapfarer, die auch in äußerlichen Dingen viel von
diefem ihrem fo abgehärteten, bedürfnislofen, pflichteifrigen
Neftor lernen können, dereinen großen Teil unferes Vaterlandes
—■ und keinen geringen zu Fuß — fowie der weiten
Welt als Reifender durchftreift hat. Es ifl darum fchade,
daß es nicht gelungen ift, der allzu rafch laufenden Feder
fo viel Gewalt anzutun, daß unter wefentlicher Kürzung
der Jugendgefchichte und ftrafferer Zufammendrängung des
rath mit d'Ävanzo: ,er verlangte alfo mehr «als die Galli- Inhaltes des zweiten Bandes, dem recht wohl noch mehr
kaner felbft'. Es kann bei diefem Tatbeftande auch nicht j Subftanzielles aus der St. Petersburger Wirkfamkeit hätte

richterftattung befonders deutlich illuftrieren zu können
meint und die er uns deshalb faft in extenso mitteilt (p. 391 —
395), ift von Quirinus in ihrem wefentlichen Inhalte richtig
mitgeteilt worden (p. 522—527). Nur findet fleh die an-
ftößige Behauptung, die (vom Epifkopat getrennte und
perfönliche) Infallibilität des Papftes laffe fleh aus der
Schrift und Tradition nicht beweifen, nicht im Anfang
feiner Rede, fondern erft in der Mitte, und find die
fchlimmften Zurufe im ftenographifchen Protokoll nicht
verzeichnet. Und von feinem Standpunkt urteilt Grandewundernehmen
, daß Granderath's Eifer gegen die ,tenden-
ziöfe'BerichterftattungDöllinger-ITiedrichsfich mehr und
mehr abkühlt, und daß er fie und Schulte felbft mehrfach

beigefügt werden können, ein einziger handlicher Band
entftanden ift, als Vademecum für Auslandspaftoren zu
billigerem Preife. Indeffen wird, wer fich für die innere

wieder als Quelle zitiert (p. 236. 270 und fonft). Erwähnung Gefchichte des evangelifchen Deutfchland in den letzten
verdient fchließlich noch die tatfächliche Berichtigung zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts intereffiert, hier viel
der vielfach umgebotenen Rede, die Bifchof Stroßmayer ; Ausbeute finden, da der Verfaffer den etwas dünnen Faden
von Diakovär in der 63. Generalkongregation vom 2. Juni , der Jugendgefchichte mit kurzweiligen Schilderungen
gehalten haben foll, die aber tatsächlich von D. Jofe von Land und Leuten, mit hiftorifchen Exkurfen über
Auguftin de Escudero flammt und von diefem offenbar alle feine Aufenthaltsorte angenehm zu verftarken weiß,
dem bekannten Definitionsgegner unterfchoben wurde j Wir erhalten fo, wie wir das auch in den biographifchen
(p. 189 f.). I Büchern von Beyfchlag befitzen, anmutige Federzeich-

Und fchließlich foll auch das nicht vergeffen werden,
daß das Regifter (p. 729—745) zu diefem dritten Bande
fehr viel forgfältiger gearbeitet ift als die früheren, wie
daß überhaupt der Druck und die Ausftattung des Werkes
dem Herderfchen Verlag alle Ehre machen.
Bremgarten. A. Bruckner.

Dalton, Herrmann, Lebenserinnerungen. 2 Bände. Berlin,
M. Warneck. gr. 8° M. 5—; geb. M. 6 —

I. Bd. Aus der Jugendzeit. 1833—58. 1906. (XII, 504 S.) —
II. Bd. Auf des Lebens Mittagshöhe. 1858—88. 1907. (XII, 470 S.)

In zwei Bänden von im Ganzen mehr als 950 Seiten,
entrollt hier einer der im proteftantifchen Auslände der

ganzen Welt bekannteften, gegenwärtig in Deutfchland , der Mutter. Mufterhaft einfach und frei erzogen, mit früh

nungen aus dem Leben des vormärzlichen gebildeten
chriftlichen Bürgertums in Mitteldeutfchland in einem,
fowohl vor wie nach der Revolution von 1848 von der
eigentlichen ,Reaktion'verfchonten kleinftaatlichen Gebiet.
Daltons Abdämmung von einem reichen unabhängigen
Angloamerikaner, der dreimal die Welt umreift hat, als
Wellingtons Adjutant bei Waterloo verwundet ward und
dann bei einem zufälligen Aufenthalt in Frankfurt in der
Liebe zur fchönen, künftlerifch begabten Tochter eines
pfälzifchen Friedensrichters endlich feine Heimat fand,
fich bald am Main feßhaft machte, um nach Verlud
feines großen Vermögens jählings zu fterben, erklärt
vieles in der Eigenart des Sohnes, der fich dennoch
fchon ganz früh zum Prediger beftimmte, wefentlich
unterm Eindruck frommer Lehrer und der Frömmigkeit

lebenden praktifchen Theologen ein Bilderbuch feiner ' entwickeltem Naturfinn und regem Kunftftreben findet er
Entwickeluncz und feiner über 30jährigen pfarramtlichen feinen geiftigen Standort in den alten Klaffikern, in der

Wirkfamkeit auf einem der belangreichften ,Auslands
poften' deutfeher evangelifcher Kultur, nämlich in der
deutfehen reformierten Gemeinde zu St. Petersburg.
Niemand wird das Werk des nunmehr 74jährigen, noch in
vollfter Kraft und fchriftftellerifcher Rulligkeit flehenden
ehrenreichen Verfaffers ohne reiche Belehrung aus der
Hand legen, wenn es gleich nur wie eine Nachlefe zu
den vielen früheren apologetifchen, homiletifchen, kirchen-
hiflorifchen Werken feiner Hand, feiner zahlreichen Reife-
befchreibungen erfcheint. Es liefert den biographifchen
Rahmen für das alles und ift ein Denkmal fchöner Pietät

deutfehen Vorzeit, in den Erinnerungen an die Freiheitskriege
: über alles geht fchon dem Knaben die Bibel.
Dazu tritt dann auf der Univerfität in Marburg, Berlin,
Heidelberg der Eindruck der pofitiven Vermittelungs-
theologie. Das Namenverzeichnis des erften Bandes führt
einige Hundert Zeitgenoffen, Lehrer, Bekannte, Freunde
des Verfaffers und des Haufes an, von nicht wenigen
erhalten wir auch Photographieen alten Stiles. Vorbildlich
ift, was wir von der anerzogenen Abhärtung, der
genügfamen Rüftigkeit, dem Studienfleiß und der tapferen
Unabhängigkeit der Gefinnung des jungen Dalton erfahren,

gegen Eltern, Voreltern, Lehrer jeder Art und gegen ! eines Fußgängers und Gefundheitsapoftels, der die heutige
die vielen bedeutenden Menfchen, mit denen Dalton in j Welt einfach befchämt. Den Theologen dürften am meiften
Berührung gekommen ift. Ein Frankfurter feiner Jugend- die Schilderungen aus den Univerfitätszeit intereffieren,
heimat nach, wie Beyfchlag, an den er auch erinnert in I auch, daß Dalton mehr aus Büchern und aus dem Um-